Wie man die Wahrheit erfährt

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Lange Zeit, nachdem die Schritte des Drachen und Dämons verhallen, lehne ich immer noch mit dem Rücken an der Tür. Das Blut rauscht mir in den Ohren, sodass ich nichts anderes hören kann. Ich weiß, was ich fühlen sollte. Trotz allem, was passiert ist, weiß ich, dass der König mir etwas bedeutet – mehr als mir lieb ist. Mein Herz sollte schmerzen, mein Körper sollte zittern, meine Gedanken sollten sich überschlagen - doch nichts davon geschieht. Mein Herz schlägt in einem ruhigen Takt, während mein Körper keinerlei Regung zeigt. Noch nie zuvor sind meine Gedanken so klar gewesen, wie in diesem Moment.
     Mit stumpfen Schritten stolziere ich zu meinem Bett und lasse mich darauf fallen, während ich den Zettel öffne, den mir Falco gebracht hat.

Davina,

das was in Vael Storm passiert ist, ist wahrscheinlich das Schrecklichste, was jemals passiert ist. Du hast deine Mutter verloren, aber ich habe meine Gefährtin verloren. Mir ist bewusst, dass du die Bedeutung dieses Wortes nicht begreifen kannst. Als Mensch hast du sowohl das Glück als auch das Pech nie zu erfahren, was es heißt, einen Gefährten zu haben. Früher war ich traurig, dass du nie am eigenen Leib spüren wirst, wie es sich anfühlt seinen Gefährten das erste Mal zu sehen, doch heute beneide ich dich darum. Seinen Gefährten zu verlieren ist mehr als nur mit Herzschmerz verbunden. Gerne hätte ich so reagiert wie du, aber ich konnte nicht. Ich möchte, dass du mich verstehst, Davina. Wir Werwölfe können uns nicht gegen den König auflehnen. Es ist uns körperlich nicht möglich. Aber ich brauche dich, Davina. Es wäre mir ein Leichtes deine Spur zu wittern und zu folgen, doch ich möchte das du freiwillig zu mir zurückkommst. Du bist das Wichtigste auf der Welt für mich. Ich bin mir sicher, du hast schon erfahren, was mit Kova geschehen ist. Ich wünschte, ich wäre da gewesen, um dir eine Stütze zu sein. Ich weiß, du bist eine starke Frau. Vielleicht brauchst du mich nicht, aber ich brauche dich. Bitte komm zu mir nach Kyrae zurück. Ich hab dich lieb.

Ich lasse den Zettel sinken. Noch immer zittere ich nicht. Meine Augen brennen nicht einmal. Ich fühle mich innerlich taub. Warum?
     Ein Krächzen weckt meine Aufmerksamkeit. Ich schaue auf und beobachte Falco, wie er zu mir gleitet und sich auf meinem Schoß niederlässt. Seufzend lasse ich die Schultern hängen, ehe ich mich nach der Schublade unterhalb der Kommode strecke und eine Feder und einen kleinen Behälter, indem sich Tinte befindet, heraushole. Ich drehe die Kappe auf, tunke die Feder herein und setze die Spitze auf das Papier an.
     Rowan ist der Grund, warum ich hiergeblieben bin, und nun ist er der Grund, warum ich nicht mehr hier sein möchte. Mich hält hier nichts mehr. Mein Entschluss steht fest, doch ehe ich auch nur einen Strich auf das Papier machen kann, durchzuckt ein Schmerz meinen gesamten Körper, der mich innehalten lässt.
     »Was«, wispere ich. Ich lasse Feder samt Papier fallen und kralle meine Nägel in das Bettlaken. Mein Herz schlägt kräftig gegen meinen Brustkorb und bringt mein Blut in Wallungen. Mein Körper fühlt sich heiß an. Es ist beinahe so, als würde ich verbrennen, obwohl ich keine Flammen auf meinem Körper ausmachen kann. Stöhnend lege ich meine Finger um meinen Hals, ehe ich den Halt verliere und vom Bett falle. Das Poltern, das unweigerlich ertönt ist, als mein Körper den Fußboden berührt hat, höre ich nicht. Das Rauschen meines Blutes und das klimpernde Geräusch, als wäre Glas gebrochen, ist das Einzige, was ich wahrnehmen kann. Ich verkrampfe mich und winde mich auf dem Boden.
Wann hört das auf.
     »Davina.« Bei den Göttern. Ich hoffe inständig, dass es nicht Rowan ist, der mich so erbärmlich auf dem Boden vorfindet. Ich möchte aufschauen, mich vergewissern wer in mein Schlafgemach gestürmt ist und mir behutsam über meinen Rücken streichelt, doch meine Sicht ist verschwommen. Ich kann noch nicht einmal erkennen ob es sich hierbei um eine Frau oder einen Mann handelt.
     »Kämpf nicht dagegen an. Lass es zu.« Die Worte sind nicht mehr als ein Flüstern, das mich unweigerlich schmunzeln lässt. Dieser Typ, ganz gleich ob Frau oder Mann, kann gut reden. Wie kommt diese Person nur auf die Idee, das ich in der Lage wäre diesen unsagbaren Schmerz zuzulassen. Sauerstoff entweicht meinen Lungen und als wäre das nicht genug, fühlt es sich so an, als würden meine Knochen brechen. Ich schreie.
     »Lass es zu«, höre ich den Fremden noch einmal Flüstern, ehe ich mich in kompletter Dunkelheit befinde.

DragonbloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt