Spaziergang durch fremde Welten

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Schnell schlüpfte sie in ihre Turnschuhe und steckte ihren Schlüssel ein.
Mehr würde sie nicht brauchen.

Lächelnd schloss sie die Tür hinter sich und atmete die frische Nachtluft ein.
Sie liebte es draußen zu sein.
Sie liebte die Natur.

Als der erste Regentropfen ihren nackten Arm striff, wurde ihr Lächeln breiter.
Sie liebte Regen.
Sie liebte laue Sommernächte, in denen die Grillen zirpen, die Frösche ein Konzert geben und die Eulen auf Jagd gehen.

Begleitet von den Geräuschen der Nacht setzte sie einen Fuß vor den anderen und ließ das hellgelbe Haus mit der grünen Tür hinter sich.
Mit jedem Schritt fühlte sie sich freier und konnte gar nicht aufhören zu lächeln.
Wie sie es liebte.

Sie wusste, sie durfte es nicht und doch tat sie es fast täglich.
Es war wie eine Droge für sie.
Doch sie hatte nie versucht, sie zu bekämpfen.
Vieles hatte sie versucht zu bekämpfen, doch dies nie.

Spazieren gehen.
Sie hasste und liebte es zugleich.

Sie hasste es, weil sie ihren Gedanken nicht mehr entfliehen konnte.
Sie liebte es, weil sie in andere, fremde Welten eintauchen konnte.

Und wie eigentlich immer, überwog die Liebe den Hass.
So auch dieses mal.

Sie schloss ihre Augen und verließ sich voll und ganz, auf ihre restlichen Sinne.
Ihre Hände striffen die Blumen, die in 2 Monaten wieder verwelkt wären.
Ihre Ohren hörten die Uhus und Eulen, die man nur in der Nacht hören konnte.
Ihre Nase roch den intensiven Geruch von den Blumen, der mit einem Hauch von Benzin gemischt wurde.

Mit noch immer geschlossenen Augen machte sie sich auf den Weg.
Auf den Weg zu ihrem Platz.

Heute machte sie einen extra langen Umweg.
Sie wollte ihre Sinne benebeln lassen.
Sie wollte alles vergessen.
Sie wollte leben.

Als sie ihre Augen, immer noch benebelt wieder öffnete, saß sie in ihrem Lieblingsfeld.
So oft schon war sie hier gewesen und hatte den Flugzeugen, beim Starten und Landen zu gesehen.

Vorsichtig strich sie mit ihren Fingern, über den Vergissmeinnicht, der neben ihr wuchs und schaute in den bewölkten Himmel.
Nur vereinzelt lugten Sterne hervor und strahlten sie an.

Vorsichtig ließ sie sich nach hinten fallen und schaute weiter gen Himmel.

Sie spürte es.
Sie fühlte es.

Sie hatte nicht mehr lange.
Das wusste sie.

Eine einsame Träne rann ihre Wange hinunter.
Sie hatte keine Angst davor.

Sie würde so gerne wissen, was passiert, wenn es passiert.
Sie würde so gerne wissen, ob sie dann weiter lebt.

Als Stern?

Wenn sie ein zweites Leben als Blume bekommen würde.
Sie würde Vergissmeinnicht wählen.

Keuchend schnappte sie nach Luft.
Sie wollte nicht sterben.
Sie wollte noch nicht in die fremde Welt.

Ihr Brustkorb zog sich zusammen und ihr stiegen Tränen in die Augen.

Der Atem wurde flacher,
ihr Gesicht blasser
und ihr Herz schwacher.

Sie starb.

Sie kam nun in eine fremde Welt.

Ein Spaziergang durch fremde WeltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt