Kapitel 10

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Kapitel 10:
Der Anruf erreichte Steff am Dienstagmittag, drei Tage nach ihrem Ausscheiden aus der Show. Sie saß auf ihrer Couch, in eine Decke gewickelt, vor ihr auf dem Tisch eine Tasse mit dampfendem Tee. Der Fernseher lief, doch Steff konnte nicht mal genau sagen, was sie sich da gerade anschaute. Sie würde es niemals zugeben, aber das Ende ihrer Zeit bei Let's Dance setzte ihr doch mehr zu als gedacht. Sie war die letzten Tage abwesend und unmotiviert gewesen, hatte es kaum geschafft sich aufzuraffen und ihre Wohnung zu verlassen. Den Jungs hatte sie geschrieben, dass sie sich vermutlich irgendwo eine Erkältung eingefangen hatte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal eine Bandprobe abgesagt hatte, doch sie wollte in diesem Zustand niemandem unter die Augen treten. Die Jungs hatten ihr zwar gute Besserung gewünscht, doch ihnen war anzumerken gewesen, dass sie Steff kein Wort abkauften. Trotzdem hatten sie sie nicht drauf angesprochen. Sie wussten, dass Steff, wenn die Zeit gekommen war, von ganz alleine auf sie zukommen würde, um ihnen ihr Herz auszuschütten. Steff redete sich ein, dass es die feste Aufgabe war die ihr fehlte, die Abwechslung, die das tägliche Training ihr gebracht hatte, das ständige Lernen, die neuen Erfahrungen und auch die körperliche Anstrengung. Doch tief in ihr wusste sie, dass das Alles nur ein sehr kleiner Teil des Problems war. Es war Yvonne, die sie am allermeisten vermisste. Yvonne, die sie immer wieder anspornte, das Beste aus sich herauszuholen. Ihr Lachen, wenn Steff sich mal wieder komplett vertanzte und das Ganze durch eine wenig elegante Bewegung zu kaschieren versuchte. Ihre Nähe, wenn sie ihr neue Tanzschritte erklärte und mit ihren Händen fast schon übervorsichtig ihre Körperhaltung korrigierte. Das Gefühl ihres Körpers, der sich warm gegen den von Steff presste, wann immer die Beiden gemeinsam tanzten. Das stolze Funkeln in ihren blauen Augen, wenn sie einen Durchgang fehlerfrei durchgetanzt hatten. All dass hatte eine größere Lücke in ihrem Herzen hinterlassen, als sie es für möglich gehalten hätte. Umso größer war ihre Überraschung, als das laute Klingeln ihres Handys sie nun aus ihren Gedanken riss und Yvonnes Name auf dem Display aufblinkte. Steff debattierte für einen Moment mit sich selber, doch eigentlich war ihre Entscheidung von vorneherein klar. Sie nahm ihr Handy in die Hand und drückte auf annehmen. „Ja?" Yvonnes Stimme klang ein wenig zögerlich. „Steff?" Steff konnte es sich nicht verkneifen, mit den Augen zu rollen, obwohl sie wusste, dass Yvonne sie nicht sehen konnte. „Ne, der Weihnachtsmann. Natürlich bin ich es, du hast schließlich meine Nummer gewählt." Sie bereute den harten Klang ihrer Stimme fast ein wenig, aber nach ihrer letzten Begegnung mit der Tänzerin, hatte sie nun wirklich keinen Grund freundlich zu ihr zu sein. Egal wie sehr sie sie auch vermisste. Und es war sowieso besser, dass Yvonne nicht wissen zu lassen. Am anderen Ende der Leitung hielt Yvonne für einige Sekunden inne. „Ja, sorry, dumme Frage, ich weiß.  Also warum ich eigentlich anrufe..." Steff setzte sich kerzengerade hin. Würde sie jetzt endlich ihre längst fällige Entschuldigung bekommen? „Ich habe gerade einen Anruf vom Sender bekommen. Robert hat sich den Knöchel verstaucht. Er und Judith können nicht länger mittanzen. Wir sind wieder dabei... also, wenn du noch willst..." Gut, keine Entschuldigung. Das wäre auch noch schöner gewesen. Trotzdem machte ihr Herz einen kleinen Satz und bevor sie sich davon abhalten konnte, kam ihre Antwort wie aus der Pistole geschossen. „Machst du Witze? Natürlich!" Dann zögerte sie doch kurz, überkommen von einer plötzlichen Unsicherheit. „Wenn es für dich okay ist..." Yvonne schien tatsächlich kurz mit sich zu ringen. „Klar. Ich freu mich." Die Lüge in ihrer Stimme war selbst durchs Telefon nicht zu überhören. Steff ignorierte sie allerdings gekonnt. „Also, wann treffen wir uns zum Training?" „Gar nicht. Also zumindest nicht heute. Ich muss mir erstmal eine Choreo aus den Fingern ziehen. Allerdings müssen wir in zwei Stunden im Studio sein. Interview mit Punkt 12. Wir müssen das heute noch abdrehen, damit sie morgen groß in der Sendung ankündigen können, dass wir wieder dabei sind." Steff war schon von der Couch aufgesprungen und suchte ihre Sachen zusammen. „Kein Ding. Wir sehen uns gleich." Sie beendete das Gespräch und verschwand im Badezimmer – Es war an der Zeit sich wieder in einen Menschen zu verwandeln. Ihr plötzlicher Tatendrang überraschte sie selbst ein wenig, doch bereit eine Stunde später saß sie geduscht, angezogen und mit einem Hauch von Make-Up im Gesicht im Auto und machte sich auf den Weg ins Studio. Erst jetzt begann sie über das bevorstehende Zusammentreffen mit Yvonne nachzudenken und leichte Zweifel machten sich in ihr bemerkbar. Sie hatte nicht die geringste Ahnung wie sie Yvonne entgegentreten sollte. Ihr Konflikt stand noch immer wie eine riesige, unüberwindbare Wand zwischen ihnen und Steff wusste, dass sie definitiv zu starrköpfig war, um den ersten Schritt auf die Tänzerin zuzumachen – und sie bezweifelte, dass Yvonne überhaupt einen Grund sehen würde, sich für ihr Verhalten zu entschuldigen. Steff würde also wohl weiter auf Abstand gehen, und hoffen, dass die Beiden zumindest auf eine neutrale Art und Weise miteinander umgehen könnten. Sie hoffte nur, dass das nicht auch bedeutete, dass sie sich wieder nicht richtig auf das Training konzentrieren könnten, und ihr Comeback in der Show nur von sehr kurzer Dauer sein würde. Doch das war ein Problem der Steff der Zukunft. Jetzt musste sie erstmal dieses Interview überstehen und hoffen, dass der Reporter nicht irgendwelche Fragen stellen würde, die sie oder Yvonne in eine unschöne Lage bringen würden. Inzwischen hatte sie das Studio erreicht und während sie durch die ihr allzu vertrauten Flure lief, kam fast so etwas wie eine freudige Nervosität in ihr auf. Das Interview würde in der Lounge stattfinden, um dem Zuschauer etwas von der vertrauten Let's Dance Kulisse zu geben. Mit Ausnahme von ein Paar Bühnenbauern war der riesige Raum leer und als Steff die letzten Stufen zur Empore heraufschritt, erblickte sie Yvonne sofort. Es war das erste Mal, dass Steff sie ganz bewusst in normaler Alltagskleidung sah, ohne die weite Jogginghose und das sportliche T-Shirt, oder die äußerst gefährlichen Show-Outfits. Stattdessen trug sie eine enganliegende blaue Jeans und ein olive-grünes T-Shirt, dass, sehr zu Steffs Freude, so geschnitten war, dass es kurz über ihre Bauchnabel endete, und einen schmalen Streifen ihrer Haut freilegte. Steff fiel es sichtlich schwer den Blick von Yvonne zu lösen. Für einen Moment blickten die Beiden sich nur schweigend an, bis Yvonne ihr schließlich knapp zunickte. „Hi." Kein Lächeln, kein Anzeichen, dass sie ihrer Freundschaft nochmal eine Chance geben wollte. Steff schaffte es kaum ihre Enttäuschung zu verbergen. „Hey." Dann schwiegen sie. Die Stille zwischen ihnen war schwer und unangenehm, doch niemand von ihnen startete einen Versuch, sie zu unterbrechen. Steff atmete erleichtert auf, als nach einer gefühlten Ewigkeit endlich der Reporter mit einem breiten Grinsen zu ihnen stieß. „Na da sind ja unsere beiden Glückspilze!" Die drei schüttelten sich kurz die Hände und schon nahm das Interview seinen Lauf. Der Reporter bat Steff und Yvonne sich nebeneinander auf eines der Sofas zu setzen. Die Beiden kamen seinem Wunsch zwar nach, doch wieder rutschte Yvonne sofort so weit wie möglich von Steff weg. Steff biss sich auf die Lippe. Na das würde im Fernsehen bestimmt ganz wunderbar wirken. Ein Ausdruck purer Harmonie. Der Reporter schien die Anspannung zwischen ihnen allerdings nicht weiter zu bemerken. Er startete direkt mit der ersten Frage. „Stefanie, Yvonne. Jetzt ist die Bombe also geplatzt. Ihr Beide dürft wieder mittanzen. Wie habt ihr euch gefühlt, als ihr davon erfahren habt?" Steff warf Yvonne einen Blick zu. „Willst du anfangen?" Yvonne nickte. „Also zunächst einmal tat es mir unheimlich für Robert und Judith leid. Die beiden haben in dieser Staffel wirklich tolle Tänze gezeigt und ich hoffe das Roberts Verletzung schnell wieder verheilt." Sie schwieg kurz, fuhr dann aber fort. „Aber natürlich würde ich lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte mich nicht gefreut, als der Anruf kam. Ich bin unheimlich glücklich, wieder zurück auf dem Tanzparkett zu sein und in den nächsten Shows hoffentlich alle zu überzeugen." Steff erwähnte sie mit keinem Wort. An diesem Punkt war das für sie nicht mal eine Überraschung. Weh tat es trotzdem irgendwie. „Und bei dir Stefanie?" Sie schreckte hoch. „Steff bitte, sonst fühle ich mich noch älter." Sie lachte und der Reporter fiel mit ein. „Yvonne hat mich heute Mittag angerufen. Ich bin fast vom Sofa gefallen, damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Ich habe das Tanzen und alles was da dazugehört definitiv mehr vermisst als ich dachte und bin froh jetzt noch eine Chance zu bekommen." Der Reporter nickte verstehend. „Ihr beide habt in dieser Staffel bisher ziemlich polarisiert. Euer Rauswurf kam für viele überraschend, aber die letzte Show ging für euch mit einem ziemlichen Leistungsabfall einher. Woran lag das?" Steff merkte, wie sich Yvonne neben ihr anspannte. Steff wusste, dass diese Frage für sie die perfekte Gelegenheit war, Yvonne eins auszuwischen. Es wäre ein leichtes, sie hier öffentlich für ihr Verhalten anzuprangern, allen zu zeigen, was hinter den Kulissen zwischen den Beiden wirklich ablief. Doch als Steff schließlich das Wort ergriff, zuckte sie nur mit den Schultern. „Ich glaube das war wirklich mein Fehler. Ich war im Training schon nicht ganz bei der Sache, hatte Probleme mir die Schritte zu merken. Letztendlich ist jeder Tanz anders, und der Jive hat mir einfach so gar nicht gelegen. Aber hey, von jetzt an kann es nur noch besser werden." Sie hörte, wie Yvonne neben sich erleichtert die Luft ausstieß. Sie hatte anscheinend wirklich damit gerechnet, dass Steff sie bloßstellen würde. Als ob Steff nicht wissen würde, dass das ihrer Karriere massiv schaden würde. Als ob Steff das jemals übers Herz bringen würde. Wieder blickte der Reporter Yvonne an. „Yvonne, auch wenn wir uns in einer relativ toleranten Zeit befinden, ist es immer noch eine Seltenheit, dass wir bei Let's Dance gleichgeschlechtliche Paare im Wettbewerb haben. Macht es für dich einen Unterschied, dass du in dieser Staffel mit einer Frau tanzt?" Jetzt war es Steff, die gespannt in Yvonnes Richtung blickte. Doch Yvonne setzte nur ihr bestes, falsches Lächeln auf und grinste in Steffs Richtung. „Prinzipiell Nein. Allerdings ist das ist meine erste Staffel in der Show, deswegen ist ein Vergleich schwer. Aber trotzdem muss ich sagen, dass für mich eine deutlich geringere Umstellung ist, als ich am Anfang gedacht habe. Ich habe unheimliches Glück mit Steff als Tanzpartnerin." Mit diesem letzten Satz wurden ihre Gesichtszüge weicher. Ihr Lachen wirkte nicht mehr ganz so aufgesetzt und wenn Steff es nicht besser wissen würde, dann hätte sie beinahe gedacht, die Worte waren ernst gemeint. „Steff, wie ist es bei dir? Denkst du, die Entscheidung der Zuschauer euch nach Hause zu schicken wurde auch von der Tatsache beeinflusst, dass ihr zwei Frauen seid?" Steff antwortete ohne zu zögern. „Nein, das glaube ich nicht. Wir sind rausgeflogen, weil wir an dem Abend die schlechteste Leistung gebracht haben nicht mehr und nicht weniger." Wieder nickte der Reporter. „Danke. Noch eine letzte Frage an dich. Bist du mit Yvonne als Tanzpartnerin zufrieden? Letzte Woche hast du auch mit Christina getanzt und so den Vergleich gehabt. Wenn du dich also jetzt für irgendeine Tänzerin entscheiden könntest, würde deine Entscheidung immer noch auf Yvonne fallen?" Yvonne neben ihr schien auf der Couch ein wenig in sich zusammenzuschrumpfen. Diese Frage war einfach so... typisch RTL. Steff tat in dem Moment das erstbeste was ihr einfiel. Sie griff nach Yvonnes Hand und drückte sie leicht. Für die Kameras musste das ganze wie eine Geste der Freundschaft und des Vertrauens wirken. Doch sie sagte so viel mehr aus. Zu ihrer Überraschung zog Yvonne ihre Hand nicht weg und erwiderte den Druck. „Ich habe Christina und auch die anderen Tänzerinnen wirklich gerne, aber meine Antwort lautet ganz klar ja. Ich würde mich definitiv wieder und wieder für Yvonne entscheiden. Ich will nicht lügen, manchmal treibt sie mich in den Wahnsinn, aber sie hat mir so unfassbar viel beigebracht und die Zeit hat uns schon irgendwie ganz schön zusammengeschweißt. Wir haben das hier gemeinsam angefangen und werden das auch gemeinsam zu Ende bringen. Egal was passiert." Sie lächelte Yvonne an, doch Yvonne hatte den Blick gesenkt. Ihre Worte schienen sie sehr bewegt zu haben und Steff meinte in ihrem Augenwinkel sogar eine Träne aufblitzen zu sehen. Das kam unerwartet. Auch der Reporter schien mit Steffs Antwort sehr zufrieden zu sein. „Das sind doch mal schöne Worte für den Abschluss. Es ist schön, dass ihr zwei wieder dabei seid. Ich glaube, wir sind alle gespannt, was wir von euch noch zu sehen bekommen werden." Dann wurde die Kamera mit einem leisen Klicken abgeschaltet und der Reporter bedankte sich für ihre Zeit und verabschiedete sich kurze Zeit später. Steff und Yvonne blieben alleine zurück und bevor sich wieder die unangenehme Stille über sie legen konnte, begann Yvonne mit unsicherer Stimme zu sprechen. „Danke, dass du... du weist schon." Steff hob nur eine Augenbraue. „Danke, dass ich dich gerade nicht in aller Öffentlichkeit in die Pfanne gehauen habe? Traust du mir sowas wirklich zu?" Der vorwurfsvolle Ton in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Yvonne hob entschuldigend die Hände. „Nein Steff... oh Gott ich... Ich weiß doch auch nicht." Sie schien einen Moment mit sie zu debattieren, dann wurde ihre Stimme noch ein kleines bisschen leiser. „Können wir... Können wir irgendwo ungestört reden?"

Let's Dance (Your Way into my Heart)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt