Daheim erwartete sie ein schuldbewusster Demir, der am Tisch saß und die drei Päckchen anstarrte. Shyla blieb wie erstarrt im Türrahmen stehen und blickte ihren Bruder an. All die schrecklichen Worte, welche sie ihm an den Kopf geworfen hatte, fielen ihr wieder ein und sie machte den Mund auf, doch es kam kein Laut hinaus. „Gaia hat mir erzählt, was Ruth dir angetan hat." Meinte Demir und blickte mit zorniger Miene auf Shylas bandagierten Hände, in welchen mittlerweile das Blut zum Vorschein kam. Auch Errus hatte sie angestarrt, als sie in das Zimmer in jener Wache gegangen war. „Es war meine Schuld. Ich bin zu spät gekommen, ich war nur froh, dass sie mich nicht gefeuert hat." Demir Miene blieb weiterhin steinhart. „Das ist doch Schwachsinn, einem Visaner wäre so etwas nicht passiert." „Ein Visaner arbeitet auch nicht in der bescheuerten Firma." Schnaubend ließ sich Shyla auf den Tisch nieder und blickte auf das Päckchen, in welchem das süße Gebäck lag. „Das habe ich für dich übriggelassen als Entschuldigung." Sie seufzte und machte sich daran den bereits blutigen Verband von ihren Händen zu lösen, doch Demir kam ihr zuvor und legte ihre Hände sanft auf den Tisch. „Lass mich das machen." Eine Zeit lang saßen sie schweigend gegenüber, während Demir ihre Wunden sanft säuberte. Shylas Herz machte einen Satz und sie riss sich zusammen. „Demir, ich ... es tut mir so unendlich leid, was ich zu dir gesagt habe, dass sie nur den Sex in eurer Beziehung gewollt hatte, das stimmt nicht, sie hat dich gemocht und mir tut es unendlich leid, dass ihr jetzt getrennt seid. Du musst wissen, dass egal, was ich gesagt hätte, sie ohnehin gegangen wäre. Kira ist ein Mensch, der, wenn er einmal von etwas fasziniert ist, dann kann man ihn nicht daran hindern, seinen Weg zu gehen."
Eine weitere Pause entstand und Demir seufzte laut auf. „Ich weiß." Meinte er schließlich und wollte ihre Hände wieder neu bandagieren. „Mir tut es leid, dass ich dich eine Hure genannt hatte, das stimmt nicht." „Doch." Flüsterte Shyla und blickte ihn an. „Ich habe mich wieder mit dem Mann von dem Wirtshaus getroffen und ...." Demir hielt in seiner Bewegung inne und blickte sie erstaunt an. „Das gibt es doch nicht, du magst ihn!" Ein Lächeln schlich sich auf Shylas Gesicht. „Ich kenne ihn noch gar nicht und es ist auch noch nicht viel zwischen uns, aber er bedeutet mir etwas und ich fühle etwas, so wie ich es noch nie bei einem Mann gefühlt hatte." „Das freut mich wirklich für dich. Es ist komisch, wenn du dich erneut mit jemanden triffst. Normalerweise..." „Lasse ich ihn sofort abblitzen, ich weiß." Beschämt strich sie sich eine Locke hinter ihr Ohr. Demir machte ein Geräusch, was eine Mischung aus einem Lacher und einem Schnauber war und blickte zur Seite. „Was die Sache mit Kira betrifft, die hätte sowieso nicht gehalten. Ich wollte mehr und sie nicht, das ist mir nach unserem Streit auch klargeworden." „Ich bin für dich da." Sanft drückte sie seine Hände und lächelte ihn an, ihren Bruder, der eben auch nicht perfekt war. Demir grinste zurück und wollte sich gerade den Verband schnappen, als Shyla ihn zurückhielt. „Der Wohltäter hat diesmal wieder zugeschlagen mit mehr als sonst." Sie nahm die Salbe in die Hand und schmierte diese großzügig auf ihre Wunden. „Meine Güte." Demir blickte fassungslos auf die Medizin, die sie erhalten hatte. „Weißt
du, was das heißt?" „Das er sehr aufmerksam ist?" Shyla runzelte die Stirn, ahnungslos worauf er hinauswollte. „Das heißt, dass er weiß, dass du verletzt wurdest, dass du in der Firma Lux arbeitest, das ist irgendwie...... komisch" „Er weiß auch, wo wir wohnen, er schickt uns diese Päckchen." „Aber sie sind für dich bestimmt, sonst würde jetzt keine Salbe dabei sind, er beobachtet dein Handeln und passt seine Geschenke daran an." So hatte sie das Ganze noch nicht beobachtet. Nach dem ganzen Chaos hatte sie sich noch nicht mit dieser Tatsache auseinandergesetzt, dass sie einen Stalker hatte, der jeden ihrer Schritte beobachtete.
„Aber selbst, wenn, er hilft mir, uns allen." „Trotzdem ein bisschen komisch." Shyla sollte eigentlich beunruhigt sein und sich Gedanken darüber machen, wieso er wusste, dass sie verletzt war und was das bedeutete, doch Elias Geständnis und Errus Drohung hatte sie mehr aufgewühlt, dagegen war ein Stalker nichts. Ein Putschversuch. Das war ein Wahnsinn. Sie wollten Halus Tat wiederholen. Seit der Rebell sich gegen die Monarchie vor so vielen Jahren aufgelehnt hatte, war viel anders geworden. Vorher sind die Menschen nichts als Sklaven gewesen, mittlerweile konnte sie wenigstens ihre eigenen Entscheidungen treffen und waren in Freiheit. Dennoch hatten die Visaner Narrenfreiheit und wenn sie einen Menschen angreifen würden, so entständen keine Konsequenzen oder zumindest wenig. Sie konnte Elias Zögern gut verstehen, denn ihnen ging es immer noch schlecht unter dem Regime, aber zumindest waren sie keine Sklaven mehr. Ein Putschversuch würde sie wieder zu den rebellierenden Menschen machen, eine Stigmatisierung, mit welcher sie ohnehin schon zu kämpfen hatten. Halus hatte damals die Pflanze gefunden, die Liquablüte, welche gegen die Kräfte der Visaner wirken sollte. Eine unglaubliche Kraft war in jener unscheinbaren weißen Blüte, die zu früheren Zeiten an jeder Ecke wuchs. Nach dem Aufstand und der großen Wende wurde sie verboten und die Topaner hatten ihre Magie eingesetzt, sodass diese nie wieder wachsen würde. Wie es scheint hat es dabei ein Schlupfloch geben, sonst würde jetzt nicht die Rede von ihr sein. Der damalige König war ein grausamer, so erzählten es jedenfalls die Legenden und er hatte einen Topaner als Forscher in seinem Reich, Kaleb, welcher viele Menschen in seinen Laboren einstellte, in welchen er die magischen Gegenstände und Pflanzen dieses Reiches untersuchte. So waren auch ein Geschwisterpaar in jenem Labor tätig: Halus, der Rebell und Delroy, der Erfinder. Der eine ein Zerstörer, der andere ein Genie, welchem wir jetzt auch noch heute eine Menge zu verdanken haben. Einerseits die Bauwerke und die technischen Neuerungen, andererseits die Anerkennung der Menschen. Durch seinen Intellekt konnte das menschliche Volk nicht als gänzlich verfallen und niederträchtig angesehen werden. Halus hatte durch die Forschungen in jenem Labor den Wert dieser Blüte erkannt und den Schluss daraus gezogen. Er sammelte Gefolgsleute zusammen, die willig waren, mit ihm die Monarchie zu stürzten und die Macht in Cybelus zu ergreifen. Doch eine Person machte ihm einen Strich durch die Rechnung: Sein Bruder Delroy, der von den Plänen erfahren hatte und Kaleb, den Forscher des Königs gewarnt hatte. Somit konnte der König und die anderen Visaner gewarnt werden und der gesamte Hof war auf einen Kampf vorbereitet. Was sie jedoch unterschätzt hatten, das war die Kraft der Liquablüte, die ihre Kräfte unschädlich machte. Ohne diese waren sie nicht besser wie die Menschen und somit entstand ein wahrliches Blutbad. Der König und die meisten seines Hofstaates kamen um, so auch viele Rebellen und Halus. Ein Mitglied des Hofstaates namens Barus, ein Arener, hatte die Chance ergriffen und mit den Rebellen, die noch übriggeblieben waren, zur Erhaltung des Staates verhandelt. Somit wurde die Republik gegründet und Barus wurde der erste Kanzler. Wenn noch so ein Putsch stattfinden sollte, dann wäre die Folgen verheerend. Unzählige Tote und die daraus folgende Rache an den Menschen wäre immens, falls der Rat des Lichts es überhaupt überleben würde. Es war die richtige Entscheidung. Trotzdem hatte sie ein nagendes Gefühl in ihr, welches nach Vergeltung schrie nach einer Erlösung des Schmerzes, insbesondere, wenn sie ihre Wunden betrachtete.
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Praedictio
FantasyCybelus ein Land geschmieden von den sechs Göttern, in welchem eine junge Menschenfrau sich ihrem Schicksal stellen muss. Die Visaner, die Nachfahren der Göttern stellen sich über die Menschen, doch einer scheint es sich angetan zu haben, der jungen...