Schäm dich

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Leni:
Ich dachte immer das ich es in der Schule leicht haben würde. Meine Eltern besitzen mehrere Fastfoodlokale im Umkreis und haben sich durch den Betrieb in Idaho einen Namen gemacht. Ohne mich in einem positiven Licht dastehen lassen zu wollen habe ich keine Feinde. Es ist nicht so dass ich gefürchtet werde aber selbst die Lehrer zollen mir Respekt. Mit der Motivation einer schlechten Note kann ich sie feuern lassen und ich schmeiße regelmäßig Partys für alle um meinen Ruf zu wahren. Dabei lade ich auch keinen aus. Demnach sollte auch jeder mich mögen! Aber das Karma wird immer folgen. Seht ihr, ich war so überzeugt von mir, das ich das offensichtlichste übersehen habe. Als ich den heißen Schmerz auf meiner Wange fühlte und wie in Zeitlupe in mein Gesicht fasste wusste ich nicht wer mich so sehr hasste. Aber jetzt im Krankenhaus... Wenn ich bloß sprechen könnte...

Marta:
In Lenis Tagebuch zu lesen war für mich mehr als nur ein kleiner Vertrauensbruch. Ich respektierte schon immer ihre Privatsphäre aber als ihre Mutter war ich zwiegespalten. Es war eine Sache nicht alles über sie zu wissen aber eine andere dass sie mich jetzt schon seit einem halben Jahr ignorierte... Mein Mann sagte mir immer ich benutze das Wort falsch. Ignorieren. Das Leni es verlernt hat sich auszudrücken. Und wenn ich sie anschaue dann sehe ich dass er Recht hat. In ihren Augen steckt ein stummer Schrei an dem sie festhängt. Manchmal wenn ich in meinem warmen Bett liege und herzhaft über ein YouTube Video lache denke ich an sie. In meinen ganzen Besuchen habe ich sie kein einziges Mal lachen sehen. Am Anfang hatte ich noch die Hoffnung es würde am Krankenhaus liegen. Nachdem wir sie nach Hause verfrachtet hatten hat sie uns des besseren belehrt. Ein Lakenwechsel war ein hoffnungsloser, an Lächerlichkeit grenzender Versuch Normalität in ihr Leben zu bringen. Wie schrecklich es wohl für sie sein muss nicht schreien zu können... Ich erkenne in ihr eine Apathie die für mich unvorstellbar wäre.

Sebastian:
Um ehrlich zu sein fange ich an Leni zu verachten. Meine Tochter. Seit sie in der betreuten Wohngruppe ist zwinge ich mich sie zu besuchen. Aber sie würdigt mich keines Blickes. Es ist als ob der Anschlag sie mehr als nur ihr Gesicht gekostet hätte. Diese Gedanken hüte ich sorgfältig, niemand soll wissen dass meine Geduld auch begrenzt ist. Ich erkenne Leni nicht wieder. Für mich ist sie eine Last. Mit den Schuldgefühlen nach der Attacke zu kämpfen, war schon schwer genug. Ich als Vater habe darin versagt meine kleine zu beschützen. Mittlerweile allerdings empfinde ich fast Verachtung für sie. Ein Gefühl, von dem ich genau weiß, es darf nicht bestehen. Ich spiele den verständnisvollen, beteiligten Vater aber innerlich sehne ich mich nach meiner alten Tochter. Manchmal gibt Leni mir das Gefühl mit einer Kartoffel zu reden. Mit jedem Besuch stirbt in mir ein kleiner Teil und damit die Hoffnung, dass sie wieder zu mir, uns, unserer Familie zurückfindet.

Wie jedes Mal bedanke ich mich dafür das ihr mir zuhört. Wenn ich alleine bin... Ihr gebt mir eine Stimme.

*Podcast Ende*

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⏰ Last updated: Jul 03, 2021 ⏰

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Schäm dichWhere stories live. Discover now