Dienstage

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Die Nachricht kam um 14.43 Uhr.

Wann treffen wir uns heute? Ich muss dir was erzählen.

Cleo antwortete sofort. Danach wollte sie sich auf den Weg machen.

Ihr linker Schuh war verschwunden, und es dauerte eine Weile, bis sie ihn im Hundekorb entdeckte. Der Hund hatte ihn ein wenig zerkaut.

Mira und Jasper saßen im Wohnzimmer vor dem Fernseher und schauten „Lauras Stern."

„Jasper, du bist 11 Jahre alt."; sagte Cleo zu ihrem kleinen Bruder. „Bist du nicht ein bisschen zu alt dafür?"

Jasper fuhr herum, als habe sie ihn bei etwas Schlimmem erwischt. „Arschloch!", schrie er Cleo entgegen, griff dann nach seiner Coladose und stürmte aus dem Zimmer.

„Warte!", rief Cleo hinter ihm her. „Du darfst nur am Wochenende Cola trinken!"

Eine Tür knallte zu, der Schlüssel drehte sich im Schloss.

„Leise sein!", brüllte Mira, die immer noch auf den Bildschirm starrte. „Ich hör nichts!"

Cleo musste sich zusammenreißen, um nicht die Fernbedienung zu packen und abzustellen.

Schließlich schauten ihre jüngeren Geschwister eh viel zu viel fern.

„Ich gehe jetzt.", sagte sie zu Mira. „Wenn du was brauchst, frag Jasper. Aber nicht Mama aufwecken, außer, es passiert was Schlimmes. Sie muss heute Abend arbeiten."

„Jaaa.", sagte Mira und ungeduldig und rollte mit den Augen. Sie konnte das ziemlich gut. Manchmal kam es Cleo so vor, als verhielte ihre kleine Schwester sich mehr wie eine pubertierende Jugendliche als sie selbst. Wer war hier fünfzehn, und wer erst acht Jahre alt? So eindeutig war das gar nicht zu erkennen.

Cleo schnappte sich ihren linken Schuh, zog ihn an und schlich den Flur hinunter. Besonders leise musste sie vor der Schlafzimmertür ihrer Mutter sein. Cleos Mutter war Krankenschwester und arbeitete im Schichtdienst.

Cleo griff ihr Handy und den Haustürschlüssel und zog die Haustür hinter sich ins Schloss. Drei Treppen musste sie hinunterlaufen, um ins Erdgeschoss zu kommen. Ihr Fahrrad war am Ständer vor dem Haus angeschlossen. Den Sattel musste sie erst trocken wischen, denn gegen Mittag hatte es geregnet. Doch jetzt rissen die Wolken auf, und die Sonne schien so warm und freundlich, wie es sich für einen Tag mitten im Juni gehörte.

Cleo fuhr unter den Linden hindurch, die am Straßenrand standen. Autos rauschten über die Straße, Pfützenwasser spritzte auf. Sie musste bremsen, um eine alte Frau mit einem Rollator nicht über den Haufen zu fahren. An der Bushaltestelle standen ein paar Jugendliche und rauchten. Der Besitzer des türkischen Lebensmittelladen an der Ecke stritt mit seinem Sohn, ihr Geschrei war bis auf die Straße zu hören.

Oldenburgerstraße, Nordstraße, an der Kreuzung links, über den Wall, Altmoorstraße, rechts in den Sperlingsweg. Cleo hätte den Weg mit geschlossenen Augen fahren können.

Sie warf einen Blick auf ihr Handy: Es war schon 15.11 Uhr. Sie kam 11 Minuten zu spät.

Sie bremste ihr Fahrrad ab, ließ es die letzten Meter bis zum Ende der Straße ausrollen. Hier fuhren nur selten Autos, denn es war eine Spielstraße. Das Wohngebiet lag am Stadtrand, direkt am Feld. Die meisten der Einfamilienhäuser waren nicht älter als 15 Jahre. Sie hatten Gärten und Terrassen, die von Hecken umgeben waren. In einer Einfahrt malten zwei Mädchen mit Kreide einen Regenbogen auf das feuchte Pflaster, aus der Nebenstraße kamen ein paar Kinder auf Inlineskates gerollt.

Cleo hatte das Ende der Straße erreicht, die in einen mit Schotter bedeckten Feldweg überging. Sie sprang ab und warf erneut einen Blick auf ihr Handy, um zu überprüfen, ob sie eine Nachricht bekommen hatte. Hatte sie nicht. Wenn Carlotta sich verspätete, hatte sie nicht geschrieben.

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