Ein Pferd und seine Seele

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Das erste Mal traf ich auf Sir Daveron als ich über das Gestüt schlenderte und zufällig am Springplatz vorbeikam. Camilla stand ebenfalls am Rand und hielt das Strick von ihrem Hengst fest, der friedlich nebenher graste.
Sir Daveron war der große Schimmelwallach den Jörg gerade ritt. Ein wirklich schönes Pferd in meinen Augen, doch nicht ganz einfach. Schon von außen sah ich wie steif und angespannt er war. Meine Alarmglocken läuteten als ich sah wie er das Maul aufsperrt, obwohl ich sehr wohl wusste dass Jörg ein guter Reiter war und möglichst wenig mit Hand ritt.

"Mach ein paar Sprünge, das fällt ihm leichter." riet mein Onkel, der auf seinem Gehstock gestützt in der Bahn stand.

Sir Daveron war erst vor wenigen Wochen auf den Hof gekommen. Das Geschäft meines Onkels bestand darin Pferde zu züchten, Pferde zu kaufen und wieder zu verkaufen. Er war ein Pferdehändler, aber ein fairer. In diesem Schimmel musste er etwas gesehen haben.
Im Galopp konnte er sich nicht so richtig nach unten lösen, er bewegte sich sehr spannig - offenbar zu lange mit unpassenden Sattel und womöglich auch noch schlecht geritten. Dieses Pferd erzählte so viel ohne wirklich etwas zu sagen.
Jörg sprang einige Kreuze, dann ein paar Steilsprünge und tatsächlich, das gefiel dem großen Schimmel deutlich besser. Dort lag eindeutig sein Talent. Er brummte tief.

"Wie findest du ihn?" fragte ich Camilla.

"Hmm," machte sie nachdenklich, "schwieriges Maul, steif wie nichts gutes, vermutlich absolut zerritten. Häuser springen kann er wohl."

Das war keine wirkliche Antwort auf meine Frage, ehr eine Beurteilung und die traf den Nagel auf dem Kopf.

"Er gefällt mir." stellte ich fest.

Camilla verstand mich sehr gut. Menschlich passte es zwischen uns einfach . Manchmal machte mein Onkel Witze darüber, dass wir uns so ähnlich waren.
Jetzt grinste sie mich breit an.
"Wir mögen beide komplizierte Pferde mit einem guten Sammelsurium an Baustellen." und nickte dabei fast liebevoll in die Richtung des grasenden Hengstes.

"Absolutely."

An dieser Stelle beschloss ich meinen Onkel später darum zu bitten mit dem großen Schimmel arbeiten zu dürfen. Ich war über beide Ohren in dieses interessante Pferd verschossen. Wahrscheinlich konnte ich ihm helfen. Dafür würde ich allerdings mein gesamtes Repertoire an Gerätschaften und osteotherapeutischen Übungen rausholen müssen, denn diese Verspannungen saßen bereits sehr fest. Doch in diesem Wallach steckte mehr. Ich begann schon jetzt größere Pläne zu schmieden.
Als Jörg bei uns vorbeigaloppierte staunte ich nicht schlecht - was für ein gewaltiges Pferd. Da kam ich mir mit meinen beschaulichen 1,65 Meter doch noch winziger vor.

Als mein Onkel nach dem Training den Platz verließ schloss ich direkt zu ihn auf.
"Was hast du mit ihm vor?" erkundigte ich mich.

"Was hast du denn mit ihm vor?" stellte er die Gegenfrage und grinste.

Ich antwortete: "Das entscheidet er. Ich würde gerne mit ihm arbeiten. Kann ich?"

Mein Onkel nickte zustimmend. "Von mir aus."

"Super!" jubelte ich aufgeregt.

 
Noch am selben Abend ging ich zu Sir Daveron. Es wurde bereits etwas kühler, so dass es gerade angenehm war.
Daveron stand in seiner Box und fraß nichtsahnend bis ich vor die Tür trat.
"Hey, großer." sagte ich leise und schob die Box auf.
Ich wollte mir ein Bild von seinen Baustellen machen, wie Camilla sie nannte, also band ich ihn an und ging mit meinen Fingern auf die Suche.
Die erste Läsion ließ nicht lange auf sich warten. Außerdem war seine Schulterpartie und auch die Gurtlage hypersensitiv. Auf den zweiten Blick fiel mir auf wie schief dieses Pferd eigentlich war. Er war ein absolutes Linkspferd, was aus einer Fehlbelastung und einer dadurch bedingten Fehlstellung des Beckens resultierte. Es würde viel Arbeit benötigen um ihn zu korrigieren.
Aufmerksam betrachtete mich der Wallach mit seinen für ein Pferd doch recht mandelförmigen Augen. Er sah so süß aus mit all den Sommersprossen im Gesicht, denn eigentlich war Sir Daveron kein Schimmel, sondern ein Fliegenschimmel. Sein Stockmaß betrug 1,81 Meter, was ihn für mich riesig machte. Zwar war sein Kopf recht lang, dennoch keineswegs grob. Seine Stirn war breit, doch sein Nasenrücken leicht konkav - noch lange nicht zu extrem. Mir gefiel seine trockene Schönheit. Beruhigend tätschelte ich sein Gesicht.
Als ich fortfuhr mit meiner Palpation zeigte er mir sehr deutlich, wo er Schmerzen hatte. Leider war er das Opfer von bösem Sattelzwang, was sich sicher auch beim Putzen zeigen würde. Er begann sofort mit den Hufen zu scharen und die Ohren anzulegen.

"Tut mir leid, David." sagte ich und bedauerte es wirklich. So schnell würde ich keinen Sattel mehr auf dieses Pferd legen, auch wenn das hieß, dass ich ihn eine Weile ohne reiten würde. Diese Schmerzen mussten für ihn beinahe unerträglich sein. "Puuuh, das wird wohl mehr Arbeit als ich dachte."
Doch ich würde sie mir machen, denn hier stand möglicherweise mein zukünftiges Springpferd vor mir. Nur gerade konnte man das noch nicht ganz sehen, denn es verbarg sich scheu hinter einer soliden Fassade.
Kurzer Hand beschloss ich noch einen kleinen Spaziergang mit ihm zu machen. Gerade zog mich so gar nichts zu dem Lagerfeuer meiner Reitermädchen, die ich aus Amerika mitgebracht hatte. Mich interessierte viel mehr was dieses Pferd noch zu erzählen hatte. Sicher war es eine lange Geschichte.

Bereitwillig kam Sir Daveron mit mir nach draußen und sah sich um. Scheinbar war er doch noch nicht so ganz eingelebt. Immer wieder blähte er seine Nüstern auf und sah sich Hilfe suchend nach mir um. Hier vor mir stand also ein riesiges Pferd mit einem Hasenherzen, das einen Spatzen am Horizont als Gefahr identifizieren konnte, wenn es nur lange genug darüber nachdachte. Wer wollte so ein Pferd schon?
Ich natürlich. Einmal zum Mitnehmen bitte!

[Spin Off] Sir Daveron - Der Schimmel und der SommerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt