Kapitel 24

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Kapitel 24
Als Steff erwachte, hatte sie Probleme zu atmen. Es kam ihr vor als läge ein tonnenschweres Gewicht auf ihrer Brust. Als sie schließlich die Augen aufschlug, wurde schnell klar, dass das Gewicht keineswegs nur in ihrem Kopf war. Sie zuckte erschrocken zusammen und es dauerte einen Moment, bis ihr noch immer schlaftrunkener Verstand die riesigen, gelben Augen zuordnen konnte, die nur wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt waren und ihr geradewegs in die Seele zu starren schienen. Doch dann holte die Erkenntnis sie ein und sie stieß erleichtert die Luft aus. „Dir auch einen wunderschönen guten Morgen, Viola." Die norwegische Waldkatze durchbohrte sie wenig überraschen nur weiterhin stumm mit ihren Blicken. Es hätte Steff allerdings nicht mal groß gewundert, wenn die Katze ihr auch einen Guten Morgen gewünscht hätte. Stattdessen begann sie nun mit ihren großen Pfoten ungeduldig auf Steffs Brust herumzutrampeln, eine Aufforderung, die Steff inzwischen nur allzu gut verstand. „Aua Viola, lass das. Ich mach dir ja schon dein Frühstück." Die Katze schien jedes von Steffs Worten zu verstehen und als Steff begann, sich aus der Bettdecke hervorzuschälen, erhob sie sich mit einem fast schon selbstgefälligen Blick von ihrem Oberkörper und stolzierte mit hoch erhobenem Schwanz in Richtung Küche. Hätte Steff in letzter Zeit nicht schon viel zu viele Morgen auf diese Art und Weise gestartet, so wäre das jetzt wohl der Moment gewesen, indem sie sich einfach wieder in die weichen Kissen fallen gelassen hätte, die Augen geschlossen und die hungrige Katze aus ihrem Kopf verdrängt hätte. Doch diesen Fehler hatte sie genau einmal gemacht und die empörten Schreie von Viola waren seitdem tief in ihr Gehirn eingebrannt und die noch immer sichtbaren Kratzer an ihrem Oberarm eine konstante Erinnerung an den Missmut der Katze. So seufzte Steff nur leise auf, schlug die Bettdecke zurück und erhob sich langsam aus dem Bett. Erst jetzt viel ihr Blick auf Yvonne, die auf der anderen Seite der Matratze zu einer kleinen Kugel zusammengerollt lag und noch immer friedlich schlief. Sie schmunzelte. Wie immer hatte sich Viola das schwächere Opfer für ihre Attacke ausgesucht und Yvonne nicht im Geringsten beachtet. Sie beschloss, Yvonne auch nicht aus ihrem wohl verdienten Schlaf zu reißen, warf noch einen letzten Blick auf die Sängerin und machte sich dann auf den Weg in die Küche, wo Viola schon ungeduldig auf sie wartete. Während Steff der Katze ihr Frühstück zubereitete, fiel ihr Blick auf den schmalen Spiegel, der neben der Tür an der Wand hing. Beim Anblick ihres Spiegelbilds hielt sie inne. Steff trug nichts außer einem schwarzen Slip und einem weit geschnitten weißen Tank Top, und die Spuren, die die letzte Nacht auf ihrem Körper hinterlassen hatte, waren dadurch unschwer zu übersehen. Auf ihrem Hals prangten mehrere tiefblaue Flecken, die sich bis hin zu ihrem Dekolleté zogen und unbestreitbar das Ergebnis von Yvonnes hungrigen Lippen waren. Sie fuhr geistesabwesend mit ihren Fingern über die Abdrücke und musste unweigerlich Lächeln. Die Bilder der letzten Nacht waren in ihrem Kopf noch immer verschwommen. Insbesondere die Augenblicke nach der Show erschienen ihr mehr wie eine weit entfernte Erinnerung, zu hoch war ihr Adrenalinpegel gewesen, zu groß das Verlangen, Yvonne nah zu sein. Sie erinnerte sich daran, wie sie nach dem Dreh in Yvonnes Garderobe gestürzt war, wie sich die Lippen der Tänzerin stürmisch auf ihre eigenen gepresst hatten und sie ihre Hände gierig über den Körper der Anderen wandern gelassen hatten. Sie wusste nicht mehr, wer von ihnen am Ende die Selbstbeherrschung aufgebracht hatte, den Kuss zu unterbrechen, doch im Nachhinein war sie unheimlich dankbar dafür. Das Studio war selbst zu der späten Stunde noch voller Menschen gewesen und die Wände zwischen den einzelnen Garderoben waren definitiv zu dünn, um die Laute zu kaschieren, die sie aus Yvonne hervorlocken wollte. So hatte sie Yvonne kurzerhand ihren Finger auf die Lippen gelegt und mit heiserer Stimme „Nicht hier." gemurmelt. Dann war sie mit energischen Schritten aus der Garderobe gelaufen und hatte Yvonne ohne ein weiteres Wort hinter sich hergezogen. Sie waren vermutlich noch nie so schnell durch die unzähligen Gänge des Studios gehetzt und Steff konnte sich dunkel daran erinnern, dass sie auf ihrem Weg an mehreren Mitarbeitern aus der Produktion und einigen Tänzern vorbeigestürmt waren, ohne ihnen auch nur einen einzigen Blick zu würdigen. Dafür würden sie sich vermutlich in naher Zukunft einiges anhören können, doch in dem Moment hatte es nichts von weniger Bedeutung gegeben, als die verwirrten Blicke der Anderen. Ein wenig außer Atem hatte Steff Yvonne schließlich in einen der schwarzen Vans gezogen, die wie immer bereits vor dem Studio warteten, um sie nach der Show nach Hause zu fahren. Sie wusste nicht, wie sie sich in diesem Moment noch an Yvonnes Adresse erinnern konnte – oder an die Tatsache, dass die Wohnung der Tänzerin deutlich näher am Studio lag, als ihre eigene. Doch sie hatte es geschafft, sich zum Fahrer vorzubeugen und ihm die Adresse zu zumurmeln, bevor Yvonne sie am Handgelenk gepackt und neben sich auf den Sitz gezogen hatte. Die restliche Fahrt war wie im Flug vergangen und gleichzeitig hatten die Sekunden einfach nicht verstreichen wollen. Steff war froh gewesen, dass der Fahrer die Trennwand zur Rückbank hochgefahren und die Musik laut aufgedreht hatte, sodass er hoffentlich nichts davon mitbekommen hatte, was dort hinter ihm vor sich ging. Zu Beginn hatten die Beiden sich zusammenreißen können. Yvonne war unruhig neben Steff hin und her gerutscht und Steff selbst hatte ihre Hände auf ihrem Schoß verschränkt, um sich davon abzuhalten, etwas anzufangen, was sie auf keinen Fall in diesem Auto beenden konnte. Doch es hatte nicht lange gedauert, bis Yvonnes Fingerspitzen wieder unauffällig ihre Seite auf und abgestrichen waren, bis sie sich rein zufällig zur Seite gedreht hatte und ihre Lippen langsam über Steffs Hals geglitten waren, so dass es ihr schwergefallen war, ein Aufstöhnen zu unterdrücken. Es hatte nicht lange gedauert, bis auch Steff ihre Hände aus ihrer krampfhaften Stellung gelöst, und stattdessen eine Hand unschuldig auf Yvonnes Bein abgelegt hatte, bis die Finger dieser Hand immer wieder für einen Moment unter den Saum von Yvonnes Rock geglitten waren und federleichte Kreise auf der Innenseite ihrer Oberschenkel gezogen hatten, bis Yvonne irgendwann scharf die Luft eingesogen hatte und versucht hatte ihre Beine mehr und mehr zusammenzupressen. Steff hatte nur leise gelacht, doch als Yvonnes Hand plötzlich den Weg unter ihr Top gefunden hatten, und über die nackte Haut ihres Rückens gefahren war, hatte sie sich erneut auf die Zunge beißen müssen, um nicht aufzukeuchen. Sie waren förmlich aus dem Van gestolpert, als sie endlich Yvonnes Wohnung erreicht hatten, und während Yvonne noch verzweifelt in ihrer Tasche nach dem Schlüssel gesucht hatte, waren Steffs Hände schon völlig schamlos über ihren Hintern gefahren und die Sängerin hatte damit begonnen sanft an der empfindlichen Stelle an Yvonnes Hals zu saugen. In der Wohnung angekommen hatten sie dann den letzten Rest Zurückhaltung über Bord geworfen. Es hatte nur noch sie beide gegeben, die Spannung, die sich den ganzen Abend über aufgebaut hatte und die Energie zwischen ihnen, die sie fast wie zwei Magnete immer wieder zueinander zu ziehen schien. Diese Nacht war anders gewesen, als die anderen, die sie zuvor miteinander verbracht hatten. Sie waren immer leidenschaftlich gewesen, hatten viel Zeit damit verbracht, die Vorlieben der Anderen kennenzulernen und sich gegenseitig immer wieder um den Verstand zu bringen. Doch diese Nacht war vor allem getrieben von Lust und Verlangen. Noch immer war zwischen ihnen eine Art stummer Kampf vonstattengegangen. Keiner wollte der Anderen die Oberhand überlassen, sich geschlagen geben. Die von Wut getriebene Spannung hatte sich gewandelt, aber sie war noch immer viel zu präsent, um großen Raum für Zärtlichkeiten zu geben. Doch die Nacht war lang und niemand der Beiden schien von der Anderen genug zu bekommen. So hatte sich die Stimmung zwischen ihnen schließlich gewandelt, war mit der Zeit ruhiger geworden, spiegelte mehr und mehr die wortlose Vertrautheit wider, die sonst zwischen ihnen zu herrschen schien. Der Kampf war einem Waffenstillstand gewichen, der Wille nach Dominanz einem Wunsch nach Gleichberechtigung und als die Beiden sich schließlich völlig außer Atem in die Kissen von Yvonnes Bett fallen gelassen hatten, Steff ihren Kopf gedreht hatte und in Yvonnes tiefblaue Augen geblickt hatte, hatte sie gewusst, dass zumindest von ihrer Seite auch noch etwas ganz Anderes im Spiel war, etwas was sie schon viel zu Lange für niemanden mehr empfunden hatte. Liebe. Noch immer völlig verwirrt von der Gefühlsachterbahn des letzten Abends, die sie gerade nochmal im Schnelldurchlauf erlebt hatte, stand Steff nun in der Küche, die offene Dose Katzenfutter noch immer in der Hand, während Viola inzwischen kurzen Prozess gemacht hatte, auf die Küchentheke gesprungen war und sich über ihr Frühstück hermachte. Trotz der kurzzeitigen Spannungsentladung der letzten Nacht wusste Steff, dass die Situation zwischen ihr und Yvonne keineswegs geklärt war. Sie wusste aber auch, dass das Alles für sie inzwischen so viel mehr war als nur ein schneller Flirt, wusste, dass sie nichts mehr wollte, als dass die Beziehung zwischen ihr und Yvonne funktionierte – und genau aus diesem Grund musste sie dringend mit ihr reden. So machte sie sich auf den Weg zurück ins Schlafzimmer. Als sie den Raum betrat saß Yvonne bereits aufrecht im Bett und blinzelte Steff verschlafen an. Ihre Haare standen noch kreuz und quer in alle Richtungen und unter anderen Umständen wäre Steff vermutlich zu ihr geeilt, um genau dort weiterzumachen, wo sie in der letzten Nacht aufgehört hatten. Doch statt der elektrischen Stimmung der letzten Nacht, lag jetzt eine gewisse Ernsthaftigkeit in der Luft, die niemand der Beiden länger ignorieren konnte. Steff begann schließlich mit etwas unsicherer Stimme zu sprechen. „Guten Morgen..." Yvonne senkte den Blick und nuschelte etwas undeutlich. „Morgen." Mit zögerlichen Schritten trat Steff weiter in den Raum und setzte sich auf den Rand des Bettes. Sie wusste nicht, wie sie das Gespräch am Besten beginnen sollte und so war sie unglaublich dankbar, dass es schließlich Yvonne war, die zu sprechen begann. „Ich glaube, wir sollten reden." Steff nickte nur und begann nervös mit dem Ring an ihrem Finger zu spielen. „Ich..." Yvonne rutschte näher an Steff heran, hielt aber ihren Blick noch immer fest auf ihre Bettdecke gerichtet. „Verdammt Steff, ich habe mich benommen wie der letzte Idiot." Steff blickte fast schon ein wenig überrascht auf. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sich Yvonne plötzlich so einsichtig zeigen würde. Doch Yvonne war noch nicht fertig. „Ich wünschte, ich könnte dir erklären, was da in mir vorgegangen ist. Ich war einfach so überfordert. Als ich diese blöden Schlagzeilen gelesen habe, ist irgendwas in mir durchgebrannt. Ich dachte, wenn ich es so aussehen lasse, als läuft das was mit Nico, dann verschwinden all diese verdammten Gedanken aus meinem Kopf. Ich dachte, dann würde wieder so etwas wie Normalität in mein Leben kommen – und habe dabei völlig vergessen..." Sie brach ab, unsicher, ob sie den Satz zu Ende bringen sollte. „Und hast was dabei völlig vergessen, Yve?" Ermutigte sie Steff. Als Yvonne antwortete, griff sie nach Steffs Hand und drückte sie leicht. „Und habe dich dabei völlig vergessen. Dich und die Tatsache das mein altes Leben, die Normalität die ich angeblich so vermisst habe, gerade das absolut letzte ist, was ich will." Ein leichtes Lächeln stahl sich auf Steffs Gesicht, als sie den Druck von Yvonnes Hand erwiderte, sie blickte auf, schaffte es endlich der Tänzerin direkt in die Augen zu blicken. „Was willst du dann?" Yvonne holte tief Luft. „Dich. Man, Steff. Ich will dich. Ich will das was du mich fühlen lässt jeden Tag erleben. Ich will jeden verdammten Morgen mit dir aufwachen, will dich jeden Tag ein kleines bisschen besser kennenlernen, will das Ganze hier gemeinsam mit dir gegen die Wand fahren, bis wir beide uns so festgefahren haben, dass ich dich nie wieder loslassen kann. Ich... Ich habe noch nie für jemanden so viel empfunden wie für dich. Ich weiß beim besten Willen nicht wie ich mit den ganzen Gefühlen umgehen soll und werde vermutlich noch einige Male an meine Grenzen stoßen, aber ich verspreche dir, dass ich nie wieder so eine dämliche Aktion wie letzten Abend abziehen werden." Steff hob aufreizend eine Augenbraue. „Also den letzten Teil des Abends fand ich alles andere als dämlich." Yvonne boxte ihr leicht gegen den Oberarm, doch dann legte sich auch auf Steffs Gesicht ein etwas ernsterer Gesichtsausdruck. „Nein, im Ernst, du glaubst gar nicht wie erleichtert ich bin, dass du das gerade gesagt hast." Sie strich Yvonne eine Haarsträhne hinters Ohr und ließ ihre Hand an der Wange der Tänzerin verharren. „Du bist nicht perfekt Yvonne, keiner von uns ist das. Und das ist auch gut so. Ich... Oh wow, ich fühle mich gerade als wäre ich wieder dieses kleine Schulmädchen was bis über beide Ohren in den Jungen zwei Stufen über mir verknallt ist... Ich weiß nicht wie du das machst, was du mit mir machst – aber ich will dieses Gefühl nie wieder loslassen. Ich will dich nie wieder loslassen." Als sie merkte, wie über ihre Finger eine einsame Träne von Yvonne floss, zog sie die Sängerin kurz entschlossen in ihre Arme. „Komm her." Sie vergrub ihr Gesicht in Yvonne Haaren und drückte sie fest an sich. „Ich glaube, ich muss mich auch entschuldigen. Im Tanz einfach so zu improvisieren war auch keine Glanzleistung." Yvonne schniefte nur leise. „Ich finde für meine schauspielerische Leistung sollte ich schon so etwas wie einen Oscar bekommen. Nein im Ernst, unter anderen Umständen wäre ich vermutlich unheimlich beeindruckt davon, dass du in dieser Situation so reagieren konntest und den Tanz mit so einer kleinen Aktion auf ein ganz anderes Niveau gehoben hast – aber tun wir mal so, als wäre ich noch immer stocksauer... Wie würdest du das wieder gut machen?" Steff löste sich etwas aus der Umarmung und als sie das freche Funkeln in Yvonnes Augen sah, biss sie sich unweigerlich auf die Unterlippe. „Nun, Frau Catterfeld, ich bin mir sicher da fällt mir etwas ein." Dann schloss sie die Distanz zwischen ihnen wieder und verwickelte Yvonne in einen Kuss, der sich schnell vertiefte. Während die Beiden so da saßen, eng umschlungen auf dem Rand des Bettes, fühlten sie sich als wäre eine riesige Last von ihren Schultern genommen worden. Sie wussten, dass sie noch einen langen Weg vor sich hatten, aber sie würden ihn gemeinsam gehen und sich hoffentlich so schnell nicht wieder loslassen.

Let's Dance (Your Way into my Heart)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt