Kapitel dreißig: Seelengefährten

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MEROWEN

Die Welt um mich herum stoppte und es war, als würde ich Cassian zum ersten Mal sehen. Seine kurzen schwarz-braunen Haare, die sein markantes Gesicht umspielten und im Licht der untergehenden Sonne golden aufleuchteten. Seine tiefen braunen Augen, die jetzt dunkel wie Schokolade schimmerten, während er mich ebenso eingehend musterte, wie ich ihn. Die geschmeidigen Flügel, deren Federn leicht im Wind flatterten und seinen starken Körper umspielten. Seine großen Hände, deren Finger sich auf wunderschöne Art und Weise mit den meinen verflechten konnten. Er war perfekt.

Tief in mir begann eine Seite zu schwingen, immer lauter, bis mein ganzer Körper zu vibrieren schien.

Du bist wirklich mein Gefährte.

Cassians Augen weiteten sich und er ließ langsam sein Schwert sinken, als er meine Gedanken hörte. Zwischen uns hatte sich ein dünnes, unsichtbares Band gespannt; noch leicht und ungewohnt, aber dennoch: es war da.

Mein Herz, das noch vor einigen Minuten von Trauer erschüttert worden war, raste nun aufgrund ganz anderer Gefühle in meiner Brust. Mein ganzer Körper schrie nach Cassian, wollte, dass ich zu ihm ging.

Mit einer raschen Drehung brach Cassian den Blickkontakt ab und stoppte gerade noch das Schwert, das ihn ansonsten enthauptet hätte. Damit brachte er auch mich wieder in die Gegenwart zurück.

Ich übernehme Beron. 

-Jetzt habe ich fast Mitleid mit dem Kerl. 

Ich sah Cassian nur von hinten, doch seine Worte sandten mir erneut einen angenehmen Schauer über den Rücken. Dieses geistige Band war noch neu und alles fühlte sich auf einmal so intensiv an. Ich konnte sogar das leise Lachen des Illyrianers in meinem Geist spüren.

Spar dir dein Mitleid und erledige lieber ein paar von Berons Wachen.

-Ich kann ganz andere Sachen erledigen, wenn du mich lässt. 

Das Bild, das er mir daraufhin schickte, ließ mich hochrot anlaufen.

Das... das ist doch überhaupt nicht.. das kannst du mir doch nicht einfach... CASSIAN!

-Entschuldige, ich konnte einfach nicht widerstehen, Prinzessin.



Das Klirren von Schwertern unterbrach unsere Konversation und holte mich abermals in die Realität zurück. Zurück zu meinem aktuell größten Problem: Beron.

Der High Lord des Herbsthofes stand einige Schritte vom Baum entfernt und wurde durch den Fenris in Schach gehalten.

"Danke mein Freund.", ließ ich den Wolf wissen und trat neben ihn. Auf dem Weg dorthin hatte ich Berons goldenen Dolch vom Boden aufgehoben und streckte diesen nun vor mir aus. Wie passend, dass ich ihn mit der Waffe erstechen würde, die Evaline das Leben gekostet hatte.

Der High Lord begann zu lachen. "Jetzt zeigt das Kätzchen also endlich seine Krallen."

Ich lächelte schmal und ging in Angriffsstellung. "Diese Krallen werden dich zerfetzen.", zischte ich und fokussierte mich vollständig auf den High Lord. Falls andere Fae eingreifen wollten, würde der Fenris mir den Rücken frei halten, dessen war ich mir sicher.

Mit einem abschätzigen Grinsen im Gesicht ließ Beron Feuer um seine Hände tanzen, während er auf mich zuging. Ich wusste genau, warum er sich so verhielt. Der Fenris hatte in seiner Prophezeiung verkündet, dass Beron nicht durch meine Hand sterben würde. Deshalb war der Lord sich sicher, den Kampf für sich entscheiden zu können. Und ob ich es zugeben wollte oder nicht: die Vorhersagen eines Fenris konnte niemand ungeschehen machen. 


Unvermittelt begann Beron, mich anzugreifen. Der erste Feuerball verfehlte mich nur knapp, in letzter Sekunde konnte ich meine Schulter nach links reißen. Es folgte ein regelrechter Feuersturm; lediglich meine geschulten Instinkte ließen mich das ganze mit ein paar angesengten Haarspitzen überleben. Keuchend studierte ich Berons Bewegungen, doch ich fand keine Lücke in seiner Verteidigung.

Verdammt.

"Das wird langweilig, meinst du nicht?", ertönte da die Stimme des High Lords. Er klang gelassen und wirkte nicht einmal angestrengt; als befände er sich auf einem Sonntagsspaziergang, und nicht  in einem Kampf auf Leben und Tod.

Grimmig umfasste ich mein Schwert fester. Es war von Anfang an klar gewesen, dass dieser Kampf nicht leicht werden würde. Nicht nur an magischen Fertigkeiten mangelte es mir im Vergleich zu Beron. Auch die Erfahrung, die der High Lord in den Jahrhunderten seiner Existenz sammeln konnte, waren für ihn von Vorteil. Mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich an den Eintrag in der Chronik dachte. Er hatte ohne zu Zögern, seine eigene Familie ermordet. Wie viel mehr Gefallen musste es ihm dann erst bereiten, einem Wettstreiter um den Thron das Leben zu nehmen?

Langsam ließ der High Lord die Flammen wachsen; er streckte sie mit seiner Magie, bis sie sich in einer Schnur aus Feuer um seine Finger wanden.

"So wird das Ganze gleich viel interessanter.", säuselte er und holte aus.


Mero, lauf!

Instinktiv folgte ich Cassians Anweisung und rannte zurück in den hinteren Teil der Halle. Direkt auf Evalines Leiche zu, die immer noch unter dem Baum lag.

Prinzessin, ich wünschte ich könnte an deiner Seite stehen, aber diese Barriere ist magisch. Diese Prüfung muss entweder beendet werden oder Beron sterben. Halt einfach durch, solange du kannst, ich suche mit Nesta nach einem anderen Weg hinein.

Cassians Worte über unser Seelenband gaben mir die Kraft, bis zu dem magischen Baum zu kommen. Dort angekommen hielt ich jedoch unvermittelt inne. Der Boden um den Baum herum war durchsetzt mit frischem Gras. Ein Blick nach oben ließ mich überrascht die Stirn runzeln. Teile der verkohlten Rinde waren bereits aufgeplatzt und gaben den Blick frei auf grüne Zweige.

Doch wie...? Mein Blick blieb an Evaline und der Blutlache, die sich um sie herum gebildet hatte, hängen. Wobei man kaum mehr von Blut sprechen konnte. Die Erde um die Fae herum hatte die Flüssigkeit bereits aufgesogen. Der letzte Satz des Rätsels kam mir wieder in den Sinn. 

"Und doch kann Stärke mich erblühen lassen, auch wenn die Hülle es nicht zeigt.", murmelte ich vor mich hin. 


Mein Blick huschte zurück zu Evaline und dem Baum. Dann dämmerte es mir. Es gab nicht nur eine Lösung! Jede Art von Stärke konnte diesen magischen Baum zum Blühen bringen. Beron hatte sich seinerzeit für Magie entschieden. Für mich hatte Evaline jedoch ein viel größeres Opfer gebracht: durch ihre Tat hatte sie bewiesen, dass es nicht körperliche Stärke sein musste, die einen High Lord als würdig erscheinen ließ. Ihr Opfer hatte gezeigt, dass auch Liebe ein Grundstein für Macht sein konnte.




Tales of Wings and Fire (ACOTAR fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt