Erala durchschritt zügig das Dorf, sah weder nach links noch nach rechts. Ihre Schritte knirschten über den Schotter und in Gedanken versunken, hielt sie den Blick starr auf den Boden gerichtet. 'Warum ist die Hütte des Narren in Flammen aufgegangen? Und warum will mich mein Verlobter sehen? Pah, es juckt ihm wohl wieder im Gemächt.', dachte sie still bei sich.
Haselb lief hinter ihr. Er bewunderte den schlanken Körper seiner Freundin, die er, seit er denken konnte, kannte.
Sie tat ihm leid. Der alte Narr war ihr ein enger Freund gewesen und ihr Lehrmeister der Heilkunst. Er hatte ihr in aller Heimlichkeit gezeigt, welche Kräuter gegen welches Gebrechen halfen, wie man Salben anfertigte und Verbände wickelte. Sie war mittlerweile eine geschickte Heilerin und nur ihr Volltrottel und Trunkenbold von Verlobter, hatte etwas gegen ihre Lehrsamkeit.
"Dieses Hexenwerk brauchst du doch gar nicht lernen! Wenn du erst meine Frau bist und mein Kind unter dem Herzen trägst, wirst du für gar nichts anderes als Wäsche waschen und kochen Zeit finden.", hatte dieser höhnisch zu ihr gesagt.
Haselb hasste den Kerl. Er ging mit Erala um, als ob sie seine Leibeigene wäre und er ihr Herr. Dabei waren in diesem Dorf die Frauen in fast allen Belangen den Männern gleichgestellt. Haselb schüttelte den Kopf und warf dabei seine Haarpracht traurig durch die Luft. Warum heiratete sie diesen Grobian und Hornochsen?Erala war in der Zwischenzeit vor der Hütte ihres Verlobten angekommen. Den ganzen Weg über hatte sie an den alten Narren, ihren Lehrmeister der Heilkunst, gedacht und hatte dabei nicht mitbekommen, dass ihr Haselb gefolgt war. Umso überraschter registrierte sie ihren besten Freund jetzt.
Lächelnd fragte sie ihn: "Warum folgst du mir auf Schritt und Tritt Haselb? Wartet nicht Meister Flarte auf dich? Das Mehl wird nicht von selbst zu Brot."
Amüsiert blickte sie in sein schuldbewusstes Gesicht.
"Ich wollte dich nicht alleine lassen auf dem Weg zu Jurtof.", antwortete er kleinlaut.
Erala lachte.
"Du tust ja fast so, als ob ich den Henkersweg beschreiten würde. Ich weiß, du magst Jurtof nicht, aber töten wird er mich nicht. Dazu begehrt er mich zu sehr."
"Und wenn du dich ihm weiterhin verweigerst? Was dann? Wenn er...wenn er dich schlägt?"
"Haselb! Genug! Er wird mir nichts tun. Ich lasse ihn nicht an mich heran, aber verschaffe ihm dennoch Erleichterung. Und nun lauf zu deiner Arbeit!"
Niedergeschlagen schlurfte er über den Schotter den Weg zurück und Erala seufzte auf. Er war zwar ihr bester Freund, doch seine Sorge um sie war zuweilen...etwas anstrengend.
Erala lachte nochmal, schüttelte den Kopf und straffte dann die Schultern.
So unrecht hatte Haselb nicht.Sie streckte nochmal die Schultern durch und schritt auf die Tür der Hütte zu. Als sie die Hand nach dieser austreckte, um sie aufzudrücken, hielt sie inne. Sie begann zu zittern. Furcht ergriff ihren zarten Körper und unzählige Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Hatte Haselb Recht? Sollte Jurtof tatsächlich mit Gewalt nehmen, was sie ihm verweigerte? Viele Male verschaffte Erala ihm Erleuchterung, ohne selbst befleckt zu werden. Hatte Jurtof beschlossen, dass es ihm nicht mehr reicht?
Wild schüttelte sie den Kopf und kniff die Augen zu. Was hatte Haselb ihr wieder für einen Floh ins Ohr gesteckt? Doch so sehr sie sich bemühte - eine Restangst blieb.Zaghaft hob Erala ihre Hand um an die Tür zu klopfen. Die Angst in ihr zerrte und machte es ihr schwer. Laut pochte sie schließlich an die Tür und als sie von innen eine schnarrende Stimme zum Eintreten aufforderte, biss sie sich auf die Lippen. Als Erala die Tür aufstieß, kam ihr der beißende Gestank von billigem Wein und Erbrochenem entgegen. Seit der Schreinergeselle von seinem Meister davongejagt wurde, weil er eine kostbare Schnitzerei, ein Geschenk für den Kaiser, verdorben hatte, hatte er sich sehr verändert. Er war mal ein ansehnliches Mannsbild von großer Statur und fein geschnittenem Antlitz. Sein Haar war fein geschnitten. Damals schätzte Erala sich glücklich, dass sie seine Auserwählte war, doch dieser Traum lag mittlerweile Jahre zurück.
Heute ist er ein fauler Lump, ungepflegt und interessiert sich mehr für Wein als für seine Verlobte oder deren Zukunft. Sein ehemals muskulöser Körper warf nun mehrere Falten und sein Geruch war auch alles andere als angenehm. In seiner Hütte lagen leere Weinschläuche verteilt, die Möbel zertrümmert und in einer Ecke sammelte sich das Erbrochene. Erala war mit ihrer Verlobung alles andere als glücklich. Jurtof wurde in den letzten Wochen immer zudringlicher. Sein sexuelles Verlangen war unerträglich, doch Erala war nicht bereit.
"Da bist du ja endlich, Weib!", schnarrte Jurtof, als Erala den Würgereiz überwunden hatte und die Hütte betrat.
"Was kann ich für dich tun?", antwortete Erala und hoffte, dass sich sein Begehren ausschließlich auf das Besorgen neuen Weines beschränkte.
"Sieh dich um! Da nun der alte Narr es geschafft hat, mit Haut und Haaren zu verbrennen, kannst du dich schonmal an das Leben unserer Ehe gewöhnen und hier sauber machen!"
Erala starrte ihn an. Angewidert verzog sie das Gesicht.
"Nun, mein Verlobter, das würde ich tun, wenn du anfängst wieder ein wenig Ordnung zu halten und zu arbeiten."
"Was fällt dir ein? Du Weib bist mein und tust, was ich dir sage."
"Nein Jurtof! Es reicht! Es geht mir zu weit! Du arbeitest nicht mehr, säufst und frisst den ganzen Tag, durchzechst die Nacht in der Taverne ohne zahlen zu können. Du warst einmal ein ehrenwerter Mann, den ich liebte, doch das ist zu Ende!", wutentbrannt starrte sie ihn an.
Jurtof war zu erst sprachlos, doch schnell schlug der Ausdruck seines Gesichtes in blanke Wut um.
"Du Hure, du Miststück willst mich verlassen?"
Schwerfällig erhob er sich und ging auf Erala zu.
"Du musst wahnsinnig sein. Niemand verlässt Jurtof den Starken!"
Erala wich zurück zur Tür.
"Das warst du einmal. Hörst du nicht, wie die Leute hinter deinem Rücken reden? Über Jurtof den Fetten? Über Jurtof den Faulen? Über Jurtof den Säufer? Du widerst mich an! Ich werde den Schwur niemals sprechen, du wirst mich nicht heiraten! Ich werde Heilerin!", schrie sie ihn an. Sie war an einem Punkt, an dem sie beschloss alles zu beenden.
Mit einer unfassbaren Geschwindigkeit, die Erala ihm nicht zugetraut hätte, schoss Jurtof auf sie zu, packte sie an den Haaren, schmiss sie in die Hütte, direkt in das Eck mit dem Erbrochenen. Er schloss die Tür, drehte den Schlüssel im Schloss herum und zog ihn ab.
"Du kleine Schlampe wirst gleich merken, wohin du gehörst!", spie er. Er trabte auf sie zu. Ein Grinsen schmierte sich auf das Gesichtt, welches vom Wein gerötet war.
Erala sah mit blankem Entsetzen in das Gesich Jurtofs und schrie auf.Haselb lief mit gesenktem Kopf den Weg zurück. Sein Meister wird ihm richtig einheizen, aber das bekümmerte den jungen Mann nicht. Flarte schätzte seine Hilfe und seine Arbeit und würde ihn nicht davon jagen.
Was Haselb mehr beschäftigte war Erala. Seine Kindheitsfreundin und Inhalt seiner Träume und Wünsche war offensichtlich sehr unglücklich.
Er hatte sich am Anfang sehr gefreut, als er vernahm, dass Erala den damals noch ehrenhaftesten Mann des Dorfes heiraten sollte.
Doch seit Jurtof aus dem Schreinereigewerbe gejagt wurde, weil er die Vollendung monatelanger Arbeit seines Meisters vermasselt hatte, war seine blühende Zukunft dahin. Nun soff er nur noch, wurde immer fetter und behandelte seine Verlobte, wie Dreck. Bei diesem Gedanken ballte Haselb unbewusst die Hände. Blanker Zorn und blinde Wut kamen in ihm auf. Nicht nur, dass Erala als eine der hübschesten Jungfrauen des Dorfes Blatthain galt, sie war auch der freundlichste und liebste Mensch, den er kannte.
Er war fast in der Bäckerei, als er den Schrei hörte. Er blieb wie angewurzelt stehen. War es Erala? Angestrengt lauschte er, der geschäftige Lärm im Dirf verstummte, da auch die anderen Einwohner diesen Schrei hörten.
Wieder schrillte es durch das Dorf und der Bauer, der mit einem Eselskarren, beladen mit den Feldfrüchten des Frühjahrs, gerade in die Stadt fahren wollte, sog entsetzt die Luft durch die Zähne. "Das kommt aus Jurtofs Hütte. Jetzt ist es um Erala geschehen."
Wie in Trance vernahm Haselb die Worte. Wie vom Wahnsinn getrieben, wirbelte er herum und spurtete los. Er rannte, wie ein besessener und im Vorbeilaufen schnappte er sich den schweren Schmiedehammer vom Amboss, bevor der Schmied etwas dagegen sagen konnte.
Haselb hörte, wie die Leute ihm etwas nachriefen, aber er verstand es nicht und es war ihm auch egal. Jetzt musste er etwas tun. Der Hammer wog schwer in seinen Händen, die ihn krampfhaft umklammerten.
Atemlos kam er an Jurtofs Hütte an. Haselb warf sich gegen die Tür, die nicht nachgab. In einem Anflug von Verzweiflung hob er den Hammer, was ohm unter normalen Umständen bicht möglich gewesen wäre, doch in einem Anflug ungeahnter Kräfte, ließ er den Hammer gegen das Holz krachen. Wieder und wieder schmetterte er den Eisenkopf gegen Holz und Eisen, sodass Funken sprühten und Splitter flogen.
Nach einer Ewigkeit, so schien es Haselb, gab die Tür endlich nach und mit Gebrüll stürmte er in die Hütte, in der Jurtof war. Dieser schien ihn erwartet haben und schmiss sich seinem Gegner ebenfalls entgegen. Trotz dessen fülligen Körpers, konnte Haselb Jurtof nicht treffen, als er in wildem Jähzorn mit dem Hammer nach ihm Schlug.
Jurtof lachte. Sein Lachen war geprägt vom Übermut und der Trunkenheit. Er bewegte sich schnell und spielte mit dem Bäckerjungen, der ein skurriles Bild abgab. Da war dieser schmächtige, blasse Junge, bewaffnet mit einem Schmiedehammer und versuchte ihn wirklich zu verletzen. Nach einigen Minuten jedoch packte Jurtof wieder die Wut und er ging auf den Jungen los. Fast mühelos entwand er ihm den Hammer, den er mit einem Arm halten konnte. Mit dem anderen hielt er Haselb fest am Gewand gepackt und ließ den Hammer auf den Schädel des Jünglings fahren.Erala saß wie versteinert in der Ecke und mit blankem Entsetzen betrachtete sie das unwirkliche Schauspiel. Sie war froh, als sie hörte, dass die Tür eingeschlagen wurde, da Jurtof sich von ihr abwandte und den Gegner erwartete. Der Schreck fuhr ihr in doe Glieder, als sie sah, dass ausgerechnet Haselb der Retter war. Der Zweikampf verlief schnell und Haselb sackte mit eingeschlagenem Schädel leblos zu Boden. Fassungslos starrte Erala den toten Freund an, dessen Blut einen See um ihn herum bildete.
Jurtof grunzte zufrieden und ließ den blutbesudelten Hammer fallen. Mit einem höhnischen Grinsen packte er den Leichnam und schleifte ihn aus der Hütte. Die frische Luft selbst gab Jurtof den Rest. Der Wein tat schlagartig seine Wirkung und Jurtof übergab sich. Verkrampft fiel er auf die Knie und versuchte seinen Magen zu beruhigen.
Diese Gelegenheit nutzte Erala um zu entkommen. In einem wachen Moment im Schock besann sie sich der nahen Garnision des Kaisers und sie rannte, so schnell die ihre Beine trugen.