9. Wie ich mich um meine Handtasche prügeln musste

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8 Millionen Menschen leben in London. Viele von ihnen siehst du einmal und nie wieder. Doch manchmal begegnen dir ständig die selben Menschen. Reiner Zufall? Glaub ich nicht! Vor allem ich habe das Glück mich von Menschen finden zu lassen, denen ich längst den Rücken zugekehrt hatte. Zufall? Ha, schön wär's! 
Zitternd nahm ich ihm Calvin hab und versuchte dabei auf den Boden zu schauen. 
Nur nicht anmerken lassen dass du ihn kennst. Wieder ein Moment in meinem Leben an dem ich mir wünschte Superkräfte zu besitzen. Sich unsichtbar machen, würde das Leben um einiges erleichtern.
Ich nickte wie ein Idiot und drehte ihm den Rücken zu, sobald Calvins Pfoten sich an mein Shirt krallten.
¨Hey warte!¨
Shit, so viel zu unbemerkt bleiben!
¨Wie wärs mit Danke?¨
So schnell findet man hier kleine Besserwisser! Einfach ein bisschen durch London spazieren und schon begegnet man Menschen, die einem zeigen wie unerzogen man doch ist. Ich drehte mich wieder zu ihm um und versuchte nicht allzu wütend auszusehen.
¨Danke! Danke, dass du meinen Hund kidnappen wolltest!¨
Bevor er es schaffen konnte seine Augenbrauen zusammen zu ziehen, drehte ich mich wieder um und ließ ihn wortwörtlich im Regen stehen. 
Aber was wundert es ich mich überhaupt? Es ist immerhin London. Hier regnet es jeden zweiten Tag.
¨Harry!¨
Überrascht blieb ich stehen. Sehe ich etwa aus wie ein Kerl? Vielen Dank auch! 
Wer auch immer behauptet dass Engländer charmant sind, der hatte sich getäuscht.
Ich wagte einen kurzen Blick über meine Schulter und lief noch schneller.
Mein neuer Freund Pudellocke hatte sich von seiner Starre gelöst und folgte mir. Aber er war nicht alleine. Hinter ihm liefen weitere 2 Typen und riefen immer wieder nach ihm.
Liegt es in der Natur dieser Idioten andere zu verfolgen oder war ich nun endgültig paranoid?
Wieder mal wünschte ich mir sportlicher zu sein. Alle drei schienen mich ohne große Anstrengung überholen zu können. 
Einen Moment lang war das Stapfen ihrer Füße kaum auszuhalten, bis sie endgültig verschwanden.
Ich wagte noch einen Blick nach hinten, doch außer mehreren Pfützen war nichts zu sehen.  Könnte es sein, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben Glück habe? Dümmlich grinsend stapfte ich spaßeshalber durch eine der Pfützen. Jetzt einfach nur nach Hause und dieses Viertel für die nächste Zeit meiden.
Das war mein Plan, doch der Chef da oben hat sich es wohl anders überlegt. Ein Wagen mit abgedunkelten Fenstern hielt zwei Meter vor mir an. Allein das war schon ein Grund für mich schreiend weg zu rennen. Aber ich ermahnte mich nicht so ein Feigling zu sein und lief stur an dem Auto vorbei. 
Kaum hatte ich den Wagen überholt, beruhigte sich mein Puls. Erst als ich das leise Brummen des Motors direkt neben mir hörte, kam die Panik wieder zurück. 
Ängstlich wagte ich einen Blick nach rechts. Grob erkannte ich die Umrisse von Pudellocke und mit letzter Kraft rannte ich los. Mensch gegen Auto. Ein noch unausgeglichener Kampf existiert gar nicht. 
¨Alana!¨
Ich reagierte erst gar nicht als Pudellocke ohne große Mühe mit mir Schritt hielt und mich mit ausgestrecktem Ellebogen beobachtete.
¨Du wirst nass.¨
Wow das nenne ich gut beobachtet. So ein Idiot!
Ich drückte Calvin fester an mich, was ihm gar nicht gefiel.
¨Steig ein! Wir bringen dich nach Hause.¨
Die Situation erinnerte mich schrecklich an Rotkäppchen. Schon von klein auf hat man mir strengstens verboten mit Fremden zu sprechen, geschweige den in deren Autos zu steigen. Ich wurde bereits als 7-Jährige mit allen Arten von Pfeffersprays und Elektroschockern ausgestattet. Bis hin zu Selbstverteidigungsstunden hatte ich wirklich alles gelernt was es zu diesem Thema zu lernen gibt. Dank meinem Vater, bei dem man nie vorsichtig genug sein konnte.
Die Jahre sind nicht spurlos an mir vorbei gegangen, deswegen beschleunigte ich meine Schritte nur noch mehr und wippte meinen Kopf hin und her, so als ob ich Musik hören würde. Doch die Deppen ließen nicht locker und meine klatschnassen Haare machten die ganze Verfolgungsjagd nicht einfacher.
Mein Blick fiel auf Calvin und ich sah, dass es ihm nicht besser erging. Nass sah er einer Ratte noch ähnlicher.
¨Hier drinnen gibt es eine Sitzheizung!¨
Es klang so als würde er mit einem großen Lutscher vor einem Kleinkind herumwedeln. Und leider hatte es genau die selbe Wirkung auf mich. Allein das Wort Heizung ließ meine Augen aufblitzen. Schrecklich wie wenig Selbstachtung ich doch hatte.
Ich schielte zum Wagen. Für den Fall der Fälle kann ich einen aggressiven Köter auf sie hetzen. Die Autotür öffnete sich und eine angenehme Wärme strömte zu mir herüber. Doch bevor ich noch einmal darüber nachdenken konnte; wurde ich schon in den Wagen gezogen.
Da saß ich also wie ein verängstigtes Reh in einem fremden Wagen und wurde von drei Augenpaaren angestarrt. Selbst Pudellocke, der eigentlich auf die Straße achten sollte beobachtete mich. 
Mit dem Hund in der einen und meiner Jacke in der anderen Hand durchnässte ich ihren armen Sitz. 
¨Oh wie SÜÜÜÜÜß!¨
Ok, diese Typen haben eindeutig einen an der Waffel! Wenn sie den Begossenen-Pudel-Look süß finden, stimmt definitiv etwas nicht mit denen.
Das Kommentar kam vom Streifenpulli-Typen und erst zu spät merkte ich dass er nicht mich gemeint hatte.
¨Ist das der berühmte Rory?¨
Ohne ein weiteres Wort nahm er mir Calvin aus der Hand und begann ihn am Bauch zu kraulen. Hätte ich das gemacht wären mindestens zwei meiner Finger bereit für eine Transplantation.
¨N-Nein, das ist Calvin!¨
Pudellocke drehte sich geschäftsmäßig zu mir um. ¨Wo wohnst du?¨
Jetzt bloß keinen Fehler machen, Leia! Die goldene ¨Steig nie in das Auto eines Fremden"-Regel habe ich ja eindeutig verhauen. 
Panisch versuchte ich mich an die Straßen in unserer Nähe zu erinnern.
¨Baker Street!¨
Mein langes Überlegen hatte ihn etwas stutzig gemacht, doch er nickte und drehte sich wieder nach vorne.
Ich richtete meinen Blick auf das Fenster und fluchte in Gedanken. Von der Baker Street bis zum Haus der Clancys war es schon ein ganzes Stück und mit diesem Kübelregen da draußen; hätte ich mir gleich meine morgendliche Dusche sparen können.
Streifenpulli-Typ stupste mich plötzlich an und schreckte mich aus meinen Gedanken.
¨Ich bin Louis. Aber du kennst uns sicher.¨
Die Wahrheit war, dass ich bis vor kurzem  nicht mal wusste dass sie existierten, aber männlichen Stolz verletzt man lieber nicht. Obwohl diese Typen es verdient hätten!
Der Kerl am Fenster, der Calvin mit einem Handtuch trocken rubbelte reichte mir seine Hand.
¨Liam, freut mich!¨
Natürlich, ein Hund hat das Handtuch nötiger als ich! Die Tatsache dass man mir kein Handtuch reichte, war genug um die Hand des Typen zu ignorieren.
¨Hier links!¨
Locke tat was ich ihm sagte und ich klammerte mich wieder an mein Fenster. Fünf Minuten. Noch elende fünf Minuten dann kann ich hier raus!
¨Dein Frauchen schuldet Nialler noch eine Packung Donuts!¨
Irritiert sah ich zu Louis. Er hielt Calvin auf Augenhöhe und redete mit ihm wie mit einem Baby. Ich kniff die Augen zusammen und erwartete einen Schmerzensschrei. Doch statt ihm in die Nase zu beißen, fing Calvin an mit dem Schwanz zu wedeln und sein Gesicht abzulecken. 
Verschwörung! Das nenn ich Diskriminierung! Die Briten halten natürlich zusammen, ob Mensch oder Hund. Aber Kanadier werden selbst von zwergwüchsigen Kötern terrorisiert.
¨Fühlst du dich als Frau unterdrückt oder warum gehst du auf Herrentoiletten?¨
Einen Moment lang starrte ich Streifenpulli-Louis an. Er saß mit überkreuzten Beinen da, streichelte Calvin und sah mich mit einem Mafiabossartigen Blick an. 
Was genau hat man diesem Briten in sein Frühstück gemischt? 
Ich spürte wie meine Wangen tomatenrot wurden. 
¨I-Ich...ICH WAR ZUERST DA DRINNEN!¨
Am Ende des Satzes wurde meine Stimme immer schriller, sodass Pudellocke erschrocken auf die Bremse trat. Ich nutzte die Chance, riss Calvin an mich und stolperte aus dem Wagen.

Schwachköpfe, Idioten, Deppen. 
Das waren noch die freundlichsten Ausdrücke die ich vor mich hin brummte als ich triefend nass zum Haus der Clancys lief. Obwohl rutschen wohl die passendere Beschreibung wäre.
Kaum schlug ich die Haustür hinter mir zu, drückte sich Calvin von mir los und rannte auf die Couch. Ich dagegen flitzte sofort unter die Dusche um mich aufzuwärmen.
Im Bademantel, Handtuch und Schlappen ließ ich mich neben Calvin auf die lange Couch fallen. Die nächsten Tage werde ich dieses Haus erstmal nicht verlassen. Mit meinem Glück würde ich gegen Angelina Jolie stolpern oder Ryan Gosling eine Ohrfeige verpassen. 
Doch erst als ich anfing nach meinem Handy zu suchen wurde mir klar dass mein Plan mich für die nächsten Wochen zu verstecken wohl nicht aufgehen wird.
Genau eine halbe Stunde lang knallte ich meinen Kopf gegen den Couchtisch. 
Mein Handy, mein Notebook, mein Geldbeutel. Alles im protzigen Audi eines Lockenkopfes und seinen Freunden. 
Schlimmer hätte der Tag nicht werden können. Entnervt griff ich nach dem, gerade mal einen Tag altem, Stationstelefon und platzierte ihn neben mir auf die Couch.
Entweder riskiere ich jetzt das Leben des Nachfolgers und rufe mein Handy an oder ich verabschiede mich in Gedanken von meinem Hab und Gut. 
Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann was fünf Typen mit einer Handtasche voller Make up, Abschminktüchern und Tampons anstellen sollen.
Panisch wählte ich meine Nummer und trommelte mit den Fingerspitzen auf den Couchtisch.
Nach dem dritten Piepton meldete sich eine männliche Stimme.
¨Hallo?¨
¨Wehe ihr fasst meine Tasche auch nur an!¨
¨Wer ist denn dran?¨ Ich erkannte die Stimme vom Streifenpulli-Typen. Mit der Art wie er sprach; nagte er an meinen Nerven wie ein verfressener Hamster. 
¨Mhm...wer wird es wohl sein? Obama natürlich!¨
¨Z-z-z wir sind aber in Großbritannien. Also mit wem hab ich die Ehre?¨
¨Hör zu! Du hältst dich wohl für sehr witzig! Wenn einer von euch in meiner Tasche rumschnüffelt dann...¨
Doch ich konnte meine Drohung nicht zu Ende aussprechen, weil Streifenpulli mich unterbrach.
¨Wart mal kurz...¨
Ich hörte wie seine Stimme sich entfernte.
¨HARRY, DER GOLDENE LIDSCHATTEN STEHT DIR NICHT! VERSUCH MAL DEN LILAFARBENEN!¨
Wütend verpasste ich der gegenüberliegenden Couch einen Tritt. Diese Idioten! 
¨Bin wieder da mein Schatz. Also wo waren wir?¨
Er setzte einen Plauderton ein, den man sonst nur bei Großmüttern hörte.
Ich bemühte mich vor Wut nicht auch noch das zweite Telefon zu Sperrmüll zu verarbeiten. Doch bevor ich ihm eine Rede halten konnte, von wegen Verletzung der Privatsphäre, hörte ich wie weitere Stimmen den Raum betraten.
¨Mit wem redest du?¨
Er murmelte etwas zu Antwort und plötzlich hörte ich nur noch lautes Geraschel. Entweder wurde der Empfang schlechter oder die Typen prügelten sich um das Telefon?
Ich überlegte schon aufzulegen als sich plötzlich eine andere, hechelnde Stimme meldete.
¨Hallo?¨
¨Hört zu! Bringt mir meine Tasche morgen um 10 Uhr zur Tower Bridge.¨
Ich hatte mir das mit der Tower Bridge genau überlegt. Morgen hatte ich wieder Rory und Calvin an der Backe und fünf Sänger im Haus hätten mir gerade noch gefehlt.
Als ich keine Antwort bekam, wurde ich stutzig. Hatte Pudellocke schon so großen Gefallen an meinem Make up gefunden? Ich könnte ihm, wenns sein muss, sogar einen 20 Pfund-Gutschein für den nächsten Drogeriehandel besorgen.
Jemand hatte das Telefon auf laut gestellt und nun hörte ich wie mehrere Stimmen sich leise unterhielten. Man könnte meinen die planen einen Mordanschlag so geheimnisvoll wurde geflüstert.
¨Alana?¨
Etwas zu spät fiel mir ein dass sie mich meinten. Vielleicht sollte ich eine Umtaufe beantragen? Hier in Europa, ach was rede ich da, auf der ganzen Welt bin ich  schon eher als Alana bekannt. 
¨Wir haben es nicht so mit der Tower Bridge. Halb 12 an der Statue von Queen Victoria.¨
Plötzlich hörte ich Pudellocke lachen.
¨Wir sind die heißen Typen an der Telefonzelle!¨
Ohne ein weiteres Wort legte ich auf und schmiss das Telefon auf die Couch.
Nach heißen Typen werde ich wohl lange suchen müssen. Aber fünf Schwachköpfe, aufgehübscht mit meinem Make up finde ich sicher leichter.
Was war so schwer daran ein einfaches, anonymes Leben zu führen? Stattdessen rannte ich mit hyperaktiven Hunden und Kleinkindern zu Treffen mit britischen Popstars und prügelte mich um meine Handtasche.

Live, Laugh but please don't Love me (One Direction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt