Die Essenz

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Die Geschichte zu der Schreib-Inspiration: "Geistlos/ Von allen guten Geistern verlassen" 

Das Kerzenlicht beleuchtet den Raum nur teilweise und dunkle Schatten flackern an den Wänden. Die rechte Hälfte des Zimmers liegt in der Dunkelheit. An der linken Wand hingegen ist eine rostbraune Eichenholztruhe zu erkennen. Um sie herum stehen in einem Halbkreis dicke Kerzen aus rotem Wachs. Ihr Licht spiegelt sich in einer grünen Flasche, die oben auf der Truhe steht. In der Flasche steckt eine Schriftrolle. So viel kann der kleine Junge erkennen, der gerade durch die Türe gestolpert ist und sie hinter sich verschlossen hat. Sein Opa hatte ihn raufgeschickt um ein paar Decken für den gemütlichen Fernsehabend zu holen. Aber auf dem Weg zum Schlafzimmer hat Ben die angelehnte Türe entdeckt. Die Türe führte zu dem Raum, den er soeben betreten hat. Abgesehen von der Kiste und der Flasche zeigt das Licht der Kerzen nur ein paar alte Kartons. Durch ein Fenster an der hinteren Wand fällt Mondlicht auf den Holzboden. Ansonsten kann Ben nichts erkennen. Die Flasche interessiert ihn. Er stolpert auf die Kiste zu und tritt vorsichtig über die Kerzen hinweg. Jetzt steht er genau zwischen Kerzen und Truhe. Ben greift nach der Flasche und betrachtet durch das Glas den eingerollten Zettel. Er schüttelt sie ein paar Mal und hält schließlich das alte Papier in der Hand. Das Papier knistert als er es entrollt. Es dauert ein wenig bis Ben die Worte entziffert hat. Er ist gerade in der zweiten Klasse und lernt noch lesen. Außerdem ist die Schrift sehr verschnörkelt. Er zieht die Sätze mit den Fingern nach. Dann weiß er endlich was dort geschrieben steht.

Die Erde ist kein Ort für Geister. Mögest du dieses Geheimnis für immer bewahren!
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Unter dem Text sind vier gerade Striche eingebrannt. Für Ben ergibt das Geschriebene keinen Sinn. Die Erde ist nicht nur kein Ort für Geister, es gibt auch einfach keine Geister. Ben legt die Flasche neben die Truhe und öffnet diese. In ihr ist etwas eingelagert, was für den normalen Verstand nicht greifbar ist. Ben kann einfach nicht erkennen was sich in ihr befindet. Immer wenn er es betrachtet, verschwimmt es vor seinen Augen. Das Einzige was er sehen kann sind tausende kleine Lichtpunkte und verschwommene weiße Fäden. Ben kann nicht anders und greift nach dem Inhalt der Truhe. Die weißen Fäden bleiben an seinen Händen kleben und haften an seinen Armen. Sie sind schleimig und tropfen. Angewidert versucht der Junge sie abzustreifen. Aber sie haben sich fest an seinen Körper gelegt. Verzweifelt zerrt er an ihnen. Mittlerweile sind sie erhärtet und matt. Wie Wurzeln wachsen sie langsam seine Arme hinauf. Ben kann fühlen, wie sie sich an seine Fingerkuppen drücken und langsam dünne Fasern in seine Haut graben. Der Junge beginnt zu schreien. Die Fäden tuen nicht weh. Trotzdem ist er von solch einer Panik ergriffen, dass er laut brüllend versucht über die Kerzen hinwegzusteigen. Doch egal was er versucht. Zwischen ihm und dem Raum liegt nun eine unsichtbare Wand. Ben schmeißt sich dagegen, schreit und brüllt. Nichts scheint zu helfen. Die Fäden erreichen seine Achseln und graben sich sanft in die weiche Haut. Der Junge kann seine Arme kaum noch bewegen, dann stürzt sein Opa durch die Türe in den Raum.
„Ben!", schreit er. „Oh Gott, Ben! Das hättest du nicht tun dürfen!" Der alte Mann nimmt sein Gesicht in die faltigen Hände.
„Lisa, Lisa, komm schnell! Ben hat die Essenz entlassen! Lisa! Komm!" Auch Bens Oma stolpert jetzt in den Raum. Die dürre Frau reißt erschrocken die Augen auf und schnellt zu Ben. Auch sie kann die Kerzen nicht überwinden. Tränen stehen in den Augen der Oma und sie greift nach der Hand ihres Mannes. Bens Opa legt Lisa eine Hand auf die Schulter und streichelt sie sanft.
„George, wie kann das sein? Die Essenz kann nur mit Geistern interferieren? Wie kann sie Ben ergreifen? Die Erde ist seit Jahren geistlos!" Lisa weint leise und Georg nimmt sie in den Arm. Bens Augen haften auf seinen Großeltern.
„Opa!", flüstert der Junge. Die Fäden spannen nun auch um seine Brust und benetzen seinen Hals. Bens Augen sind belegt. Noch kann er sehen.
„Was, mein Kind?", fragt Georg. Bens Mund zuckt. Er lässt sich auf seine Knie fallen und berührt mit den Händen den Boden. Er guckt seinem Großvater direkt in die Augen.
„Sie sagen ... wir sind von allen guten Geistern verlassen." Ben lächelt müde. Hinter ihm wächst sein Schatten an der Wand und verformt sich zu einer geduckten Gestalt, die böse lächelt und Lisa und George die spitzen Zähne zeigt. Sie ist nur für ein paar Sekunden zu sehen. Dann verformter sie sich wieder zu der kleinen Kindergestalt. Ben weint leise. Die Fäden bedecken jetzt seinen gesamten Körper. Lisa zuckt erschrocken zurück und schlägt George gegen den Arm.
„Die Essenz muss ihn loslassen! Irgendwie muss sie ihn doch loslassen!" George nickt und reibt sich fest mit den Händen hinter den Ohren.
„Von allen guten Geistern verlassen, von allen guten Geistern verlassen!", wiederholt er immer wieder. „Das Problem ist, wir haben keine guten Geister mehr..." Der Man reibt sich müde die Stirn.
Während George angestrengt nachdenkt und die Augen nicht von Ben lassen kann, wird Lisa auf einmal ganz still. Sie legt George die Hand auf die Schulter. Sie blickt ihm tief in die Augen, küsst ihn und geht dann zum Fenster. Als Bens Opa begreift was sie tun will, ist es schon zu spät. Kopfüber wirft sie sich das Gebäude hinunter. Ein dumpfer Aufschlag erklingt und Ben und George stehen alleine in dem dunklen Zimmer. Bens Opa fasst sich an den Hals. Ein unfassbarer Schmerz durchfährt ihn als der Verlust sich in ihm ausbreitet.
„Sie ist einfach gesprungen. Gott verdammt, sie ist einfach aus dem Fenster gesprungen!" George stapft auf das Fenster zu, aber er wagt es nicht nach unten zu blicken. Hinter ihm bewegt sich etwas. Er hört Schritte auf dem Holzboden. Er dreht sich langsam um und vor ihm steht Ben. Der Junge ist bleich, aber die Fäden haben von ihm abgelassen. Dort wo sie ihn verletzt haben, blutet er leicht. Sein Opa nimmt ihn in den Arm und drückt ihn fest an sich. Beide weinen sie und die Tränen durchtränken ihre Kleidung. Ben zieht an dem Hemdkragen seines Opas und guckt ihn verweint an. Die Kerzen flackern still. Durch das Fenster fährt ein leichter Wind und ein warmes Gefühl erfüllt die Herzen der beiden. An der Wand mit der Truhe erscheint flüchtig ein Frauenschatten. Die Dame dreht sich einmal im Kreis, verbeugt sich und wirft den beiden einen kleinen Kuss zu, dann ist sie verschwunden. Ben vergräbt den Kopf im Hemd seines Opas.
„Dieser gute Geist wird uns niemals verlassen." 


Fazit: 

Ich fand es total schön mich auf dieses Thema einzulassen, muss aber sagen, dass ich es gar nicht so einfach fand. Die Geschichte finde ich trotzdem schön, obwohl ich mit dem Ende nicht ganz zufrieden bin. Die Idee mit der Essenz kann ich mir für weitere Geschichten gut vorstellen. Das Konzept werde ich im Hinterkopf behalten und vielleicht an anderer Stelle noch mal nutzen. Was man schon jetzt sehen kann ist definitiv, dass neue Ideen und Ansätze entstanden sind, die man weiterbenutzen kann. 
Verbesserungspotenzial sehe ich definitiv in der Länge und dem Klang der Geschichte. Insgesamt hat es mir aber trotzdem Spaß gemacht. Und das ist das wichtigste! 

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