Ein Lachen

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Ihre Kanzlerin, die Vorsteherin des Rats des Lichtes, welche in ein paar Monaten neu gewählt werden würde, trat als erster ein. Sie war eine bereits ältere Frau mit streng zurückgebundenen Haaren, wobei alt relativ war, denn sie musste bereits mehrere hunderte Jahre leben, ganz üblich der Lebensspanne der Visaner. Ihre rote Robe hob sich deutlich von der grauen Wand und den dunklen Maschinen in diesem trostlosen Raum ab. Alle Arbeiterinnen und so auch Ruth senkten den Blick aus Respekt, jedoch konnte Shyla aus ihren Augenwinkeln erkennen, dass Gaia und Bera neben ihr die Kanzlerin ebenso wie sie beobachteten. So etwas bekam man nicht alle Tage zu sehen. „Kanzlerin." Ruth verneigte sich tief vor und diese hob nur lächelnd die Hand. „Es ist mir eine Freude hier bei euch allen zu sein." Ihre Stimme war warm und widersprach so dem Bild der strengen Kanzlerin und als Shyla kurz den Blick hob, konnte sie ein Lächeln auf ihrem Gesicht erblicken. Seltsam.

Die Tür ging wieder auf und die nächste Person trat ein. Beim Anblick dieser Person zog sich Shylas Magen zusammen und sie verspürte einen derartigen Hass, dass sie meinte auf den Boden gehen zu müssen. Es war Daro, jener Visaner mit der Kraft des Caden gesegnet war und sie in Nethoil an jene Hausmauer gedrückt hatte. Hinter ihm stand sein Vater, ein ebenso nicht gerade netter Mann, wie man es jedenfalls aus Hören und Sagen mitbekam. Der Apfel fällt wohl nicht weit vom Stamm. Sie glichen sich in ihren Gesichtszügen. Beide hatten den harten Mund, das selbstgefällige und arrogante Grinsen, mit welchem sie die in ihren Augen niederträchtigen Menschen betrachteten, beide die braunen Haare und die geschwungenen Augenbrauen. Hässlich waren sie auf keinen Fall, das waren die wenigsten der Visaner, als würden die Götter in ihrem Blut auch die Schönheit weitergeben, als wäre die Kraft von ihnen nicht genug. Sobald diese den Raum betraten, veränderte sich auch die Atmosphäre, die Luft wurde kühler und jeder schien die Muskeln anzuspannen, bereit sich zu wehren. Doch es war zwecklos, sich zu wehren. Sie hätten nie eine Chance gegen die übermenschliche und göttliche Kraft. Shyla betete, dass die Kanzlerin eingreifen würde, sollte sich ein Visaner unpassend verhalten. Der nächste Visaner und das nächste Ratsmitglied war Torrin, welchen Shyla ebenfalls noch nie gesehen hatte, er war ein eher kleinerer Mann mit bereits ergrautem Haar. Bei den Göttern, wie alt müssten sie sein, dass sie bereits graue Haare bekamen? Er war ebenfalls ein Firmenimperialist durch und durch und ein Nimuraner. „Leider konnten nicht alle unserer Ratsmitglieder kommen." Meinte Renna, die Kanzlerin und in ihrer Stimme mischte eine Missgunst mit. Die Ratsmitglieder betrachteten die Arbeiterinnen mit einer abfälligen Miene und Shyla bemerkte, dass die Luft dünn, so unendlich dünn war. Jeder hier hatte Angst, wirklich jeder. Selbst Ruth wirkte angespannt und sie bemerkte, wie sie die Hände zu Fäusten ballte. Ihre nun rechte Hand, Dera, die Verräterin war leichenblass im Gesicht und hielt ihren Blick gesenkt. Dieser Anblick bereitete Shyla ein unglaubliches Vergnügen und sie genoss es sie so zu sehen.

Die Visaner standen immer noch am Eingang und unterhielten sich augenscheinlich mit Ruth, doch Shyla bekam von dem Gespräch nichts mit. Er war nicht gekommen. Ein Teil in ihr schien vor Erleichterung fast zusammenzufallen, doch ein anderer war .... enttäuscht, weil sie ihn nicht sehen konnte und weil das wohl ihre einzige Chance gewesen war. „Also nicht der Flüsterer." Beras Stimme erklomm neben ihr und Shyla konnte eine Erleichterung in der Stimme hören. Nein, auch er war nicht gekommen. „Das ist unsere Firma." Meinte Ruth voller Stolz und zeigte auf ihr Reich, auf ihre Arbeiterinnen und auf ihre Maschinen, ihr ganzes Lebenswerk. „Wirklich bemerkenswert." Renna trat vor und warf den anderen Visanern einen strengen Blick zu, weil diese spöttisch den Blick verzogen. „Auch meine Kollegen haben eine Firma, auf welche sie stolz sein können." „Doch heute sind wir hier, um den Arbeiterinnen zu danken, welche hier tagtäglich für uns arbeiten und sich unserer Kleidung widmen." Ihre Hände deuteten auf sie, sie den Menschen. Die Blicke der anderen Firmenbetreiber wurden gehässig. Wie lächerlich das ganze doch ist. „Ich möchte euch persönlich dafür danken und ..." Weiter kam sie nicht mehr, denn die Tür wurde ein weiteres Mal geöffnet und zwei Personen traten ein. Nein, nein, nein und doch, doch, doch. Es war Priamos und ein anderer dunkelhaariger Mann mit grauen Augen, den Shyla nicht erkannte. Doch neben ihr veränderte sich die Stimmung, vereinzelte Flüsterer waren zu hören und zwei Menschen in den hinteren Reihen kippten aus lauter Angst um. Das war wohl der Flüsterer. Trotz dieses bedrohlichen Mannes hatte Shyla nur Augen für Priamos, der die Reihen der Arbeiterinnen einer nach der anderen betrachtete und bei den Göttern sah er gut aus in seinem eleganten Hemd und seiner dunklen Kniehose. Seine Haare waren wie immer lockig und hingen ihm in sein Gesicht. Mit einer einfachen Handbewegung wischte er sich diese aus der Stirn. Eine solche Sehnsucht erfasst Shyla und sie wollte nur zu ihm gehen und ihn in den Arm gehen, doch die wenigen Meter waren unzählige Kilometer in der Wirklichkeit. Er als Ratsmitglied und sie als Arbeiterin in dieser Sklavenfirma. Noch immer glitt sein Blick zu den Arbeiterinnen. „Sieh, wir haben noch mehr Gäste." Meinte Renna mit einem missbilligen Blick, ungeachtet der Tatsache, wen sie da vor sich hatte. Ja, sie war die Kanzlerin, aber er war .... der Flüsterer, der wohl mächtigste Visaner, der auf dieser Welt wandelte. „Priamos, schön dich zu sehen." Meinte sie lächelnd und bedachte den großen dunkelhaarigen Mann hinter ihm nur mit einem kurzen Blick, der wohl als Warnung gedacht war. Somit wurde Priamos Blick von uns, den Arbeiterinnen weggelenkt. Er hatte sie nicht gesehen, noch nicht, noch nicht. Sie war so schrecklich nervös, konnte nicht mehr richtig atmen. „Alles in Ordnung?" flüsterte ihr Gaia von der Seite zu und Shyla nickte nur. Sie atmete tief durch, doch es half nichts, sie konnte sich nicht entspannen, nicht wenn er so kurz vor ihr stand. „Shyla." Gaias Stimme wurde panisch. „Shyla, Shyla." „Was?" „Er schaut dich an." Priamos blickte sie an? Doch es war nicht Priamos, der sie mit einem glühenden Blick bedachte. Es war der Flüsterer.

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