Kapitel 29

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MELANY

Mor stand neben mir und Nova, während sie gelangweilt ihre Fingernägel betrachtete. Sie schürzte die Lippen und ließ ein verächtliches Schnauben vernehmen.

»Ich sollte wirklich ein dunkleres Rot in Betracht ziehen. Durch diese Farbe haben meine Finger einen Orangeton.«

Ich zog eine Augenbraue hoch und ließ ein schiefes Grinsen zu. Es war bemerkenswert, wie sie in einer so nervenauftreibenden Situation ausgerechnet die Farbe ihres Nagellacks bemängeln konnte.

»Was denkst du?«, fragte sie nun und hielt mir ihre Hand vor die Nase.

Ich konnte mein Lachen nicht mehr unterdrücken, nickte aber zustimmend. »Du hast recht. Ein dunklerer Rotton würde dir besser stehen.«

»Was denkt ihr, wie lange der High Lord noch braucht, bis er uns in Empfang nimmt?«, fragte Nova mit dem Blick in Richtung Tür.

Mor zuckte gleichgültig mit den Schultern, ließ dann aber mit einem genervten Seufzen die Hände sinken. Schien wohl so, als sei sie selbst doch nicht so gleichgültig dem Warten gegenüber.

Wir waren schon vor zwanzig Minuten am Tageshof angekommen. Mor hatte den Wind direkt vor die Palasttüren geteilt. Gemeinsam waren wir nur zu dritt - Sie, Nova und ich. Als die Wachen gekommen waren, hatten sie uns in einen riesigen Empfangsraum gebracht, der von der aufgehenden Sonne lichtdurchflutet war. Mit den Worten »Der High Lord wird Euch jeden Moment in Empfang nehmen«, hatten die Wachen uns hier zurückgelassen. Und obwohl ich Mor gesagt hatte, dass sie ruhig schon wieder nach Hause zurückkehren könne, war sie standhaft geblieben. Selbst wenn Rhys und Azriel ihr erlaubt hätten, direkt nach der Reise zum Nachthof zurückzukehren, hätte sie uns ganz bestimmt nicht in fremden Gewässern zurückgelassen ohne uns dem großen Fisch zu übergeben. Ihre Worte, nicht meine.

Gerade als sie mit wehenden Armen etwas sagen wollte, ging die riesige Tür des Empfangssaals auf.

Auf der Stelle hatten Mor und Nova jeweils zu beiden meiner Seiten Platz genommen, und höflich die Hände vor dem Körper gefaltet.

Mor in ihrem samtenen roten Kleid mit den langen Ärmeln und tiefem Ausschnitt war das genaue Gegenteil zu Nova, die in einem schwarzen Hosenkleid aus Seide und strengem Zopf dastand. Ganz zu Ehren meines Seelengefährten trug ich ein saphirblaues Kleid mit Silberstickereien. Es war hochgeschlossen, lang und mit Tüllärmeln ausgestattet. Das perfekte Kleid für den Besuch am Hof eines mächtigen High Lords.

Doch der Fae, der durch die weiten Türen hereintrat und mit klackernden Absätzen auf uns zukam, war nicht Helion Zauberhammer. Nein, dieser Fae war klein, hatte einen Ziegenbart und war in weiße Gewänder gekleidet. Angesicht der Tatsache, dass die Fae, die uns im kurzen Marsch durch den Palast entgegen gekommen waren, dasselbe getragen hatten, war dieser Fae vor uns bloß ein weiterer Angestellter. Doch etwas an seiner Ausstrahlung verriet mir, dass mehr an ihm war, als man im Moment zu erkennen vermochte.

Tatsächlich hatte er auch ein Detail an seinem Unterarm, was die anderen nicht getragen hatten. Und weil diese Art Armband so schien, wie als würde es wahres, brillanthelles Sonnenlicht in sich tragen, hätte es mir bei den anderen nicht entgangen sein können.

»Mylady«, begrüßte uns der Fae als er einige Meter vor uns stehen blieb und sich in eine tiefe Verbeugung bückte. Wir taten dasselbe indem wir höflich knicksten. »Ich heiße Euch alle am Hof des Tages willkommen.«

»Ich danke Euch, Mylord«, erwiderte Mor fröhlich uns setzte wie gewöhnlich ihre Maske des Adels auf. Sie wirkte um eines mächtiger wenn sie dies tat. Wie die Morrigan, die sie war.

»Wallis, bitte«, bot er mit einem freundlichen Lächeln an. »Ich bin der Berater von Highlord Helion.«

»Es freut uns, Eure Bekanntschaft zu machen«, sagte ich und erwiderte das schüchterne Lächeln, dass Wallis uns für die Bemerkung schenkte.

Der Ruf des SchattensängersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt