51 | Alles wendet sich - Part I

224 20 34
                                    

Ich habe keine Ahnung, was gestern Nacht geschehen sein mag, aber die gute Laune, mit der Finnick heute pünktlich zum Frühstück auftaucht, passt nicht zu seinem sonstigen Verhalten. Anstatt direkt in sein Zimmer zu verschwinden, lässt er sich bei uns am Frühstückstisch nieder, der an diesem Morgen jedenfalls keinen Anlass zur Fröhlichkeit bietet.

Anstelle der üblichen reichhaltigen Brot- und Brötchenauswahl liegen bloß ein paar grüne Seetangbrötchen bereit, deren Anblick Cece mindestens genauso grün um die Nase werden lässt. Auch die Hafermilch, nach der sie stets verlangt, kann ihr die Avoxdienerin nicht bringen.

Mir ist das gleich, ich bediene mich wie jeden Morgen seit unserer Ankunft nur an ein paar Früchten und etwas süßem Milchpudding. Über den Rand meiner Schüssel mustere ich skeptisch Finnick, der mit einem breiten Lächeln sein Frühstücksei köpft.
„Und, ist gestern noch was passiert?", fragt er in die Runde, während er das Ei salzt.

Ich bin ganz konzentriert darauf, ein Stück eingelegten Pfirsich in zwei Hälften zu teilen. Nachdem Finnick zu seinem Termin aufgebrochen ist, habe ich mich in mein Zimmer eingeschlossen, den Kopf unterm Kissen versteckt und so lange vor Erleichterung geweint, bis ich von der Erschöpfung in den Schlaf getragen wurde. Nach all dem wilden Geschrei und der Konfrontation mit Dr. Gaul bin ich einfach froh, die Sache überstanden zu haben.

Von den Spielen habe ich so natürlich nichts mehr mitbekommen. Aber es liegt nahe, dass die Karrieros wieder auf Jagd sind. Solange sie zu dritt sind, stellen sie immer noch eine Übermacht da. Der letzte Rest Appetit schwindet zusehends, also viertle ich meine Pfirsichhälften lustlos.

Ambers Antwort höre ich über das Klappern des Löffelns auf dem Porzellan trotzdem. „Ob du's glaubst oder nicht, es ist überhaupt nichts passiert." Verdutzt horche ich auf. „Unsere lieben ‚Freunde' sind die ganze Nacht durch den Wald gelaufen und selbst mit ihren tollen Nachtsichtbrillen sind sie nicht einmal über ein Häschen gestolpert."

Finnick nickt befriedigt. „Das ist gut", murmelt er um einen Löffel Ei herum.
„Naja, nichts ist untertrieben", mischt Floogs sich ein. „Sie hatten einen Streit. Das Karrierobündnis beginnt zu bröckeln."
„Na, als wenn das was Neues wäre." Amber rollt mit den Augen. „Die Wetten eskalieren schon. Mittlerweile wird auf die verbleibenden Minuten gesetzt, die das Bündnis noch Bestand hat. Wenn ich wetten dürfte", sie grinst und pflückt ihr Seetangbrötchen auseinander, „dann würd ich sagen es passiert in ungefähr einer Stunde."

Cece betrachtet pikiert Amber, die ihrem armen Brötchen die weiche Füllung entreißt und pur verschlingt. „Manieren!", zischt sie empört und erntet damit Gelächter sämtlicher Mentoren. Ihre perfekt gezupften Augenbrauen wandern irritiert in die Höhe, ehe sie fortfährt. „Heute Abend sind wir im Übrigen in den Präsidentenpalast eingeladen, zur feierlichen Abstimmung über die Regeländerung. Ich baue darauf, dass ihr euch dort benehmt! Nächstes Jahr ist schließlich das Jubeljubiläum und das Fiasko von diesem Jahr können wir uns wahrlich nicht noch einmal leisten!"

Ein lautes Klirren lässt mich zusammenzucken. Finnick hat seinen Löffel auf den Teller geworfen und funkelt unsere Betreuerin grimmig an. „Cece, welches Fiasko?", fragt er und derselbe unterdrückte Zorn wie gestern Abend bebt in seiner Stimme. „Nennst du es ein Fiasko, dass unsere Tribute sich nicht der Rolle als gewissenlose Karrieros beugen wollten? Sie waren jedes Ringen um ihr Überleben wert, auch wenn das Glück nicht mit ihnen war."

Ein leises ‚Tsss' kommt Cece über die grellpinken Lippen. „Wir brauchen Karrieros, keine ängstlichen Kinder. Ihr seid lange genug Mentoren. Ihr lügt euch in die Tasche, wenn ihr glaubt, dass wir noch einmal gewinnen bei solcher Nachsicht." Mit diesen Worten erhebt sie sich vom Frühstückstisch und pfeffert ihre Serviette nieder. „Roan und sein Team kommen nachher fürs Styling. Punkt sechzehn Uhr treffen wir uns am Fahrstuhl – und keine Sekunde später!"

Meeressturm | Annie CrestaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt