Ich schiebe den Vorhang mit dem weichen blutroten Saum ein Stück zur Seite. Der kleine Spalt macht Platz für goldenes Licht, dass die Dunkelheit um mich herum erhellt.
"Lass das sein Mädel! Konzentrier dich gefälligst aufs gewinnen!", schneidend ertönt die Stimme meiner Mutter. Es gleicht einem Messerstich in den Rücken. Ich fahre herum, bereit mich zu entschuldigen - zu versichern, dass ich mich konzentrieren und mein Bestes geben werde. Aber da ist niemand. Erneut eingehüllt von Vollkommener Dunkelheit blinzle ich. Nein. Sie ist nicht hier. Sie sitzt im Publikum direkt neben dem Richtertisch und obwohl ich noch in der Dunkelheit verborgen bin, spüre ich ihren kalten Blick schon auf mir Ruhen. Als würde sie mich verfolgen und nicht mal der blutige Umhang kann mich vor ihr Schützen. Wie ein großer Angsteinflößender Drache, der dir Prinzessin im Turm eingesperrt hat und nun kleinlichst darauf achtet, dass die Prinzessin genaustens tut was er zu sagen hat und schon gar nicht das Weite sucht. Aber das ist nicht fair. Ich will nichts Falsches tun. Ich will gehorchen und glänzen bis meine Mutter stolz ist. Nur ein einziges Mal. Und heute, heute werde ich sie stolz machen müssen, ansonsten wird die Prinzessin ihren Turm nie wieder verlassen und der Drache wird blutrünstiger werden als je zuvor. Das Klatschen und Pfeifen hinter dem Vorhang drängt sich sanft in den Vordergrund meines Bewusstseins. Ich bin an der Reihe. Stolz und schöne bringe ich meinen Körper in Position. Wie eine Marionette verharre ich und warte darauf, dass ich mich der Menge präsentieren kann. In aller Schönheit und Eleganz die meine Mutter mich zu lehren versucht hat. Niemals wird so eine Gelegenheit mich wieder erteilen. Anmutig hebe ich den Kopf, das Adrenalin pumpt bereits durch meine Adern. Ich bin bereit. Aber bin ich dem auch gewachsene? Die Vorhänge werden zur Seite gerissen und präsentieren mich wie ausgeliefert auf einem Silbernen Teller. Die Musik beginnt zu spielen, nimmt Besitz von mir ein ich komme in Bewegung. Mein eigener Will ist gebrochen, die Musik besitzt meinen Körper. Wie von einer Spieluhr aufgezogen tanze ich.
Mit beenden der Musik kehrt die Kontrolle zurück. Das Dröhnen in meinen Ohren ist der Applaus und doch weiß ich, dass ich versagt habe. Ich suche gehetzt mit den Augen nach meiner Mutter. Ich möchte Bestätigung, dass ich einmal etwas richtig gemacht habe. Aber ihr Platz ist leer. Verlassen und kalt. Der Drache ist losgezogen, um die Prinzessin in ihrem Turm für immer zu begraben. Mit zitternden Beinen versuche ich eine möglichst elegante Verbeugung zu machen und verlasse die Bühne. Als der Vorhang sich hinter mir schließt überkommt mich das Gefühl als würd sich eine Dunkelheit über mich legen, die die Luft aus mir rauspresst und sich fest um mich herum schließt. Ich schleiche in das Ankleidezimmer in dem ich mich wieder vollkommen in mich selbst zurück verwandeln können werde. Kein Mensch ist weit und breit zu sehen, gut, so kann ich in Frieden zu mir finden. Sanft ziehe ich die spitzen Klammern aus meinen Haaren, die den strengen Dutt gehalten haben. Die braunen Haare lösen sich aus dem von Mutter festgezerrten Knoten und fallen in sanften Locken um meine Schultern, schmiegen sich an meinen Rücken und umspielt leicht mein Gesicht. So mag ich es. Ein kleines Lächeln huscht über meine Lippen. Die Tür schwingt auf. Der Drache ist gekommen. Mutter stolziert herein, eingehüllt in ihre eisigen Aura sieht sie auf mich herab. Ein Schauer durchfährt mich. Ihre Kälte spüre ich bis auf die Knochen. Ohne zu zögern holt sie aus. Ich halte mir die schmerzende Wange. Das habe ich kommen sehen und doch sammeln sich Tränen in meinen Augen. Mein Atem stockt als ein erstickender Laut seinen Weg nach draußen sucht.
"Heul bloß nicht rum. Du bist selbst schuld!", zischt sie mich an. Ich erwidere nichts, starre auf den Boden und versuche die Tränen weg zu blinzeln. Die Luft kribbelt förmlich vor Anspannung, gleich würde sie etwas anderes machen, etwas Neues, was ich wissen sollte und doch ... Ich sehe vorsichtig auf, ein Hoffnungsschimmer, den ich verzweifelt zu greifen versuche. Sie packt mich an den Haaren, all meine Hoffnung stirbt unter dem festen Griff, mit dem sie mich zwingt aufzusehen und mich vor den Spiegel zerrt.
"Sieh dich doch Mal an! Ich hab dir alles versucht zu geben. Und Du? Heul hier rum! Nicht gut genug, weil du dich nicht anstrengst. Dieser Blick, dieses Gesicht! Wenn du dich gefälligst anstrengen würdest, dann würden nicht die mit Tränen gefüllten Augen mir entgegenstarren! Unnützen Kind. Weißt du wie viel Anstrengung du mir kostest?! Und du gibst mir nichts zurück!"
Sie hält inne, ich wage es nicht etwas zu erwidern. Wie Beute verharre ich in dieser tödlich entblößenden Situation, während mein Herz wie wild rast. Nicht mal das Atmen erlaube ich mir.
Es klopft an die Tür, eine dumpfe Stimme ertönt: "Ma'am? Die Preisverleihung beginnt in wenigen Minuten. Sind sie bereit?"
"Ich werde gleichkommen", fröhlich ertönt die Stimme meiner Mutter und rief dem Mann zu er solle nicht auf sie warten, sie würde noch einen kleinen Moment brauchen. Ihre Stimme klingt fremd und fern, ganz anders als das abstoßend zischen, dass für mich bestimmt ist: "So etwas wie heute wirst du dir nicht nochmal erlauben! Mach dich fertig und reiß dich gefälligst zusammen."
Sie ließ meine Haare los, der Schmerz hält jedoch an.
"Und binde dir gefälligst die Haare zusammen. Du siehst aus wie das Gesindel!"
Sie stürmt aus dem Raum und lässt mich zurück. Kaum ist die Tür ins Schloss gefallen, wage ich es wieder zu Atmen und betrachte mich genauer im Spiegel. Die braunen Haare, das bleichen Gesicht mit den schön geschwungenen Augenbrauen und den langen schwarzen Wimpern. Die blauen Augen in denen genauso wenig Emotionen vorhanden sind wie in denen meiner Mutter - und doch wirken sie anders. Die kleine Nase mit den sanft geschwungenen Lippen, hoch angesetzte Wangenknochen und eine sanfte Kinnlinie. Der schlanker Körper mit dem leichten Kurven und den langen Beinen. Und doch fühle ich mich schrecklich entstellt, wie schon so oft in meinem Leben. Aber es war anders als je zuvor. Ich greife nach einem Zopfgummi und Wickel meine Haare zu einem gekonnten Knoten zusammen. Noch nie hat meine Mutter mir erlaubt meine Haare offen zu tragen. Ich greife nach meiner Jacke und verlasse den Raum. Meine Füße tragen mich durch den engen Gang mit den vielen Räumen, die mit goldenen Nummern bestückt sind. Vor einer roten Tür bleibe ich stehen. Sie wirkt schwer und gewaltiger als jede andere Tür. Ich öffnet sie und steige die Treppe hinauf, an dessen Ende wieder eine ähnliche Tür ist. Auch diese öffne ich und trete ins Freie. Der Wind streift mein Gesicht und bringt ein wenig Wärme mit sich. Einen Moment schließ ich die Augen und genieße das Gefühl auf meiner Haut. Zögerlich gehe ich los und bleibe an der Dachkante stehen. Ich sehe herab und blinzle überrascht. Es ist viel höher als ich erwartet hab. Unglaublich hoch! Ich streife die Jacke ab und halte sie über den Rand. Nach einem Herzschlag lasse ich sie fallen. Angestrengt versuche ich die Jacke zu erkennen, kann aber weder den Aufprall hören, noch kann ich die Umrisse ausmachen. Ich balanciere ein kleines Stück an der Kante entlang, dann halte ich inne. Ich löse mein Haargummi und werfe auch dieses ins Ungewisse hinunter. Der Wind wirbelt durch meine Haare und lässt sie tanzen. Schöneres habe ich noch nie gefüllt. Ich höre einen Schrei und nehme meine Mutter aus dem Augenwinkel war, wie sie aus der Tür stürmt. Ihr Wut verzehrtes Gesicht erinnert mich mehr denn je an das Monster, dass die Prinzessin gefangen hält. Sie schreit und tobt. Ich sehe es, höre ihre Worte aber nicht. Sie kommt auf mich zu, wild und wütend. Würde sie in diesem Moment Feuer spucken, wenn sie könnte? Ich weiße es nicht. Ich will es auch nicht herausfinden und das werde ich nicht. Ich lasse mich nach hinten fallen, runter vom Dach, weg von meiner Mutter. Dem Drachen, der mich einsperren. Die Prinzessin einsperren. Aber die Prinzessin hat Glück gehabt. Denn die Prinzessin ist nun frei. Und jetzt wird sie Frieden finden.
DU LIEST GERADE
Die Prinzessin und der Drache
Short Story"Lass das sein Mädel! Konzentrier dich gefälligst aufs gewinnen!", schneidend ertönt die Stimme meiner Mutter. Es gleicht einem Messerstich in den Rücken. Ich fahre herum, bereit mich zu entschuldigen - zu versichern, dass ich mich konzentrieren und...