2. Neue Narbe

107 8 0
                                    

»Dir ist klar, dass du es sowieso nicht geschafft hättest mich davon abzuhalten, oder?«, sagte ich, während ich meinem besten Freund Bo beim Schmollen zusah.

Dieser verzog nun das Gesicht und machte sich weiter daran meine Wunde am Bein zu säubern.

»Einfach so auf einen Berg zu steigen, der von Geistern und Göttern bevölkert ist halte ich für ziemlich dumm.«, brummte er missbilligend. Seine sonst so fröhliche Miene war verschwunden.

Bo war normalerweise eine Frohnatur und hatte dunkles Haar, welches ihm frech in die Augen fiel. Eigentlich hieß er Bothan, aber er hasste den Namen. Deshalb nannte ich ihn bloß bei seinem Spitznamen. Seine Kleiderfarbe beschränkte sich meist auf schwarz und stand im krassen Gegensatz zu seinem Gesicht, dass immer am Grinsen war.

Ich verdrehte die Augen.

»Reg dich ab. Das Einzige, was du dort oben findest sind Eiswölfe und die habe ich überlebt. Da waren weit und breit weder Götter noch Geister.«

Ich schaute hinunter auf mein Bein. Der tiefe Kratzer, den die Klaue des Eiswolfes durch mein Fleisch gezogen hatte, war unschön anzusehen und würde mit Sicherheit eine weitere Narbe hinterlassen. Nicht, dass mich das störte. Ich sah Narben schon lange nicht mehr als körperliches Makel an. Im Gegenteil. Im Leben einer Drachenjägerin symbolisierten sie die Momente in denen man überlebt hatte, anstatt getötet zu werden. Trotzdem konnte ich Bos Sorge um mich durchaus nachvollziehen. Ich hätte an seiner Stelle auch nicht gewollt, dass ich dort hochstieg, wenn ich glauben würde, was er glaubte.

Um den Berg Taluktán rankte sich Legende um Legende, und allesamt warnten sie den Hörer vor Geistern und brutalem Unglück. Der Norden war ein verdammt abergläubisches Volk, dass bis heute an die sieben Gottheiten glaubte, die angeblich den Norden beherrschten. Mich hatte das nicht abgeschreckt. Ich glaubte nicht and die Götter und an alberne Legenden erst recht nicht. Zudem hatte man mir eine utopisch gute Bezahlung geboten, wenn ich es schaffte, einen der besonderen Steine aus der Höhle zu besorgen, die am Gipfel des Berges Taluktán ruhte.

Für das Geld hatte ich sogar die Tatsache ignoriert, dass Steine von einer Göttin zu stehlen nicht in meinem eigentlichen Tätigkeitsfeld lag. Und die Warnungen von meinem Weggefährten Bo hatte ich gleich mit ignoriert.

»Du weißt, dass wir das Geld brauchen, Bo.«, sagte ich jetzt diplomatischer und nahm den Lederriemen entgegen, den er mir hinhielt.

Er nickte nur. »Ich weiß. Ich bin nur froh, dass du es wieder zurückgeschafft hast, Tara.« In seiner Stimme klang ernsthafte Besorgnis mit, die mich nervös machte. Ich hatte mit derlei Gefühlen noch nie sonderlich viel anfangen können. Ich schob mir den Lederriemen zwischen die Zähne, als Bo Nadel und Faden nahm, und nach einem prüfenden Blick zu mir, begann den ersten Stich zu setzten.

Es war nicht meine erste Naht, die ich bekam, aber es tat dennoch jedes Mal nicht weniger heftig weh. Ich grunzte in den Lederriemen, fand damit bei Bo jedoch keine Beachtung. Er machte den Job schon lange genug, um sich von meinem Wehklagen nicht mehr beeindrucken zu lassen. Mit konzentrierter Miene setzte er einen Stich nach dem nächsten. Ich krallte meine Fingernägel in die morsche Bettkante. Jedes Mal, wenn ich auf dem Rücken lag und Bo mich nähte, fragte ich mich, ob es sich nicht vielleicht doch hätte verhindern lassen. Ich vergaß einfach immer zu schnell, wie beschissenen weh das tat! Man sollte meinen ich würde daraus lernen. Aber irgendwie landete ich dann doch immer wieder hier. Nach einer gefühlten Ewigkeit war Bo endlich fertig.

»So, dass hätten wir.« Er setzte sich auf.

Von der Bettkante des schäbigen Bettes in meiner Dachgeschosskammer der Taverne nahm er einen Verband und legte sie um die frische Wunde, damit sie sich nicht entzündete.

Heart of Ice Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt