10. Flucht

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»Tara? Ist alles okay?!«

Was? Wie? Benommen blinzelte ich, aufgeschreckt aus dem Schlaf und Serafinas Gesicht erschien vor meinen Augen, die mich besorgt ansah. Alarmiert setzte ich mich auf und wich instinktiv zurück.

Bevor ich antworten konnte, fiel mein Blick auf die Tür. Sie war aus den Angeln gerissen und der Stuhl lag weggetreten mitten im Raum herum. Es sah aus, als wäre ich von Piraten überfallen worden.

»Was habt ihr mit der Tür angestellt?«, wollte ich erschrocken wissen.

»Die bessere Frage ist, warum hast du dich eingesperrt?«, ertönte die finstere Stimme von Kirian direkt neben meinem Bett. Er hatte die Arme verschränkt. Sofort stellten sich alle meine Härchen auf.

»Vielleicht, weil ich euch nicht vertraue.«, gab ich ihm garstig seine Antwort und warf die Decke zurück, als Serafina sich räusperte.

»An ihrer Stelle würde ich genauso handeln, Kirian.«, verteidigte sie mich, und warf ihm einen strengen Blick zu. »Und jetzt raus mir dir. Ich muss Taras Narbe behandeln.«

Mit einer wedelnden Hand machte sie ihre Aufforderung deutlich, ehe sie sich fürsorglich mir zuwandte. Kirian verkniff sich ein Schnauben, folgte der Anweisung der Heilerin jedoch.

»Wie geht es dir, Tara?«, fragte Serafina, als wir alleine waren und musterte mich eingehend. Ich zuckte mit den Achseln. Meine Narbe pochte immer noch schmerzhaft, aber es war zu ertragen. Allerdings war die Wälzerei von gestern Abend nicht meine hellste Sternstunde gewesen.

»Sie tut ziemlich weh.«, sagte ich ehrlicherweise und Serafina nickte verstehend.

»Wie lange habe ich geschlafen?«

Während Serafina mich stumm dazu aufforderte mein Bein freizulegen, antwortete sie mir.

»Fast 14 Stunden. Deshalb ist Kirian auch so ausgetickt, als er bemerkt hat, dass du deine Tür verschlossen hast. Er dachte du wärst geflohen.«

Ja, das wünschte ich auch, dachte ich zynisch.

»Was erwartet er denn? Das ich fliegen kann? Euer Tal ist umgeben von Bergen, wie soll man da als Normalsterblicher fliehen?«, rief ich erregt. Serafina seufzte auf. Vorsichtig nahm sie meinen Verband ab und es ziepte fürchterlich, als sie den frischen Schorf teilweise mit abriss. Ich sog zischend die Luft ein und krallte meine Finger in das Bettlaken.

»Nimm ihm das nicht übel. Er hat seine Gründe, weshalb ihm diese Prophezeiung so wichtig ist.« Es klang in meinen Ohren verdammt so, als hütete Kirian ein Geheimnis. Eines, welches niemand erfahren sollte. Gerade wollte ich nachfragen, als die Heilerin das Thema wechselte. Es war klar, was sie mir sagen wollte: Frag nicht.

Ich betrachtete meine Narbe, die leicht geschwollen und gerötet war. Schorf, vermischt mit Blut machte es zu einem unschönen Anblick. Das sah Serafina aber wohl anders.

»Deine Narbe sieht schon viel besser aus. Wenn du sie auf eurer Reise richtig zu Ende pflegst...«

»Was für eine Reise?«

Serafina wurde rot. Scheinbar hatte sie aus dem Nähkästchen geplaudert und das eigentlich nicht verraten dürfen. Ich durchbohrte sie mit meinem Blick, um ihr zu zeigen, dass sie jetzt mit der ganzen Wahrheit rausrücken musste.

Sie wich meinem Blick hüstelnd aus. »Du und Kirian werdet im Auftrag des Rates nach Irania und Hithlon geschickt. Sobald du bereit bist.«, erzählte sie kleinlaut.

»Was meinst du mit bereit?«, fragte ich misstrauisch. Sie lief noch röter an. Ihre Augen schuldbewusst.

»Wenn du deine Kräfte als Drache beherrschst.«, antwortete sie zögerlich, als hätte sie Angst, dass ich sie für diese Worte erwürgte. Tatsächlich hatte ich das Bedürfnis jemanden zu schlagen, aber es war nicht sie, bei der ich das tun wollte. Es wurde jetzt also konkret, dachte ich verdrossen. Irgendwie hatte ich geglaubt, dass es noch etwas dauern würde, bis ich wirklich etwas zu tun bekam. Das alles war noch viel zu surreal.

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