Ein kleiner Teil der Ewigkeit

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Ich stand am Fenster, hinter dem Vorhang. Vorsichtig schaute ich nach unten auf die Straße. Sie spielten. Ich konnte nicht erkennen was, dazu war ich zu weit oben. Durch die Nachmittagssonne sah ihr Haar fast golden aus, als wären sie Götter. Dann kam er aus dem Haus. Seine Wohnung lag im selben Haus wie unsere, doch 6 Stöcke tiefer. Das war der Unterschied. Der Unterschied, der so gering war, aber doch so viel aausmachte. Er kam heraus, einen Fussball unter dem Arm. Sofort begannen alle zu ihm zu rennen. Er rief irgendetwas, dann spielten sie Fussball. Alle richteten sich nach ihm. Auch ich, in gewisser Weise. Fussball. Das spielte ich auch gerne. Wusste er von mir? Hatte er mich je bemerkt, wenn ich mich nach oben geschlichen hatte? Hatte mich einer der anderen je bemerkt? Wussten sie, dass ich regelmäßig hier oben stand und auf sie hinunterschaute? Wussten sie, dass ich eigentlich in ihre Klasse gehörte? Wussten sie wo ich Tag für Tag war? Sie wussten gar nichts von alledem. Und das war gut so, es sollte so bleiben. Erstmal. Auch wenn ich mir wünschte, auch einmal dort unten zu stehen, mit ihnen zu spielen, zu lachen, seine Anerkennung zu gewinnen, ich wusste, es wäre unmöglich. Das hatte mir meine Erfahrung schon oft genug gezeigt. Ich wusste nicht, ob ich so eine bittere Enttäuschung noch einmal verkraften könnte. Nein, ich blieb lieber hier oben, auf meinem sicheren Beobachtungsposten. Hoch oben, über allem, mit dem Blick auf die Dächer der Stadt. Dieses Weite Häusermeer mit unzähligen Straßen, ähnliche wie diese, aber auch komplett anders. Vielleicht saß irgendwo jetzt auch jemand am Fenster und schaute auf die spielenden in seiner Straße. Vielleicht hatte er die gleichen Gedanken, wie ich? Vielleicht sollte ich ihn besuchen, ihm meinen Ausblick über die große Stadt und die kleinen Leute auf dem Boden zeigen. Er würde mir seinen Ausblick zeigen, seine Straße, seine Sicht über die Stadt. Vielleicht wohnte er am andren Ende der Stadt, vielleicht aber auch in meiner Straße. Ich war mir sicher es musste ihn geben, die Stadt war so groß. Vielleicht sollte ich aber auch einfach auf die Straße gehen. Ihn fragen, ob ich mitspielen dürfe. Er stand im Tor, der Ball flog auf ihn zu, er hielt ihn meisterhaft und spielte ihn einem anderen zu, der nach vorne preschte. Dieser jemand könnte ich sein. Ich bekam den Ball, rannte nach vorne. Er kam jetzt aus dem Tor passte mir, ich rannte weiter, lachend, wir würden gewinnen. Da flog der Ball schon wieder auf mich zu, ich nahm ihn an, schoss und traf das Tor. Jubelnd riss ich die Arme in die Höhe. Wir klatschten uns ab und rannten wieder zum Ball. Das Telefon klingelte. Ich ignorierte es, irgendwann war es wieder still. Ich beobachtete sie weiter. Die Sonne stand schon tiefer. Auf der Straße würde es jetzt schnell dunkel werden, ich würde noch ein wenig länger Sonne haben. Ich stand auf, ging zur Tür und ins Treppenhaus. Die Treppe knarzte, obwohl ich mich bemühte leise aufzutreten. Einen Aufzug gab es hier nicht. Ab dem dritten Stock war die Treppe aus Stein, der Flur würde höher, prächtiger. Meine Schritte hallten. Dann war ich unten. Gleich würde ich hinausgehen. Sie von nahem sehen, mit ihnen reden, spielen, lachen. Doch da fiel mein Blick auf seine Eingangstüre und ich wusste, er würde mich nur auslachen. Es war besser, wenn er nichts über mich wusste. Schnell, bevor er hereinkam lief ich wieder nach oben, in die bedrückende Enge. Auch dieser Nachmittag war nur ein weiterer Teil meiner endlosen Ewigkeit gewesen. So wie jeder andere. In den oberen Etagen war es düster und ich musste darauf achten nicht zu stolpern. Ich setzte mich wieder ans Fenster. Die Straße lag leer vor mir da. Hinter den Häusern versank gerade der letzte Rest der Sonne.

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