Kapitel 10

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Mit gleichmäßig kreisenden Bewegungen putzte er sich die Zähne. Da es in seinem Bad keinen Spiegel gab, in dem er sich selbst betrachten konnte, wanderte sein Blick stattdessen über die Fliesen, die auch mal wieder geputzt werden mussten. Um an die Innenflächen seiner Zähne zu kommen, musste er das Handgelenk drehen, das dabei vernehmlich knackte. Er nahm es nur vage zur Kenntnis, kannte es ja bereits.

Mit einem leisen Seufzen zog er sich einen neuen Hoodie an, ebenfalls schwarz und ebenfalls so groß, dass er darin versinken konnte. Die langen Haare versteckte er mal wieder in der Kapuze, bevor er sich auf den Weg in den Flur machte, um sich dort die Schuhe anzuziehen und die Maske aufzusetzen. Wie jedes Mal griff er den Schlüsselbund, an dem nicht nur der Wohnungsschlüssel sonder auch der für seinen Smart war und packte auch das Handy in die Tasche des Pullis, bevor er dann die Wohnung verließ. Obwohl es sich anfühlte wie immer, wusste er, dass dieser Tag anders war, als alle anderen. Er hatte sich heute etwas vorgenommen, was er unter normalen Umständen niemals getan hätte.

Er setzte sich in sein Auto, obwohl es nicht weit war und er den Weg zu Fuß besser kannte. Es war kühl draußen und vor allem sah es schon wieder nach Regen aus. Die Fahrt dauerte nur ein paar Minuten, doch er saß noch fast eine halbe Stunde in seinem Wagen, bis er sich traute, das Gebäude durch den Eingang zu betreten. Als er das erste und letzte Mal hier gewesen war, hatte er nicht wirklich auf alles geachtet, immerhin war er geführt worden. Deswegen war es jetzt auch eine kleine Herausforderung, bis er die Umkleiden fand. Von da an ging es leichter. Der Weg in die Halle war nicht nicht zu finden und obwohl er sich ziemlich sicher war, den richtigen Tag und die richtige Uhrzeit erwischt zu haben, freute und verwunderte es ihn gleichermaßen, dass tatsächlich Leute da waren.

Ein kleines bisschen unsicher ließ er den Blick über die verschiedenen Erwachsenen wandern, bis er die wuscheligen Haare sah. Unter der Maske musste er lächeln. Sven saß auf einer Bank und sah den anderen zu. Zumindest schonte er sich und stürzte sich nicht direkt ins Training. Wettkampf hin oder her, er musste sich auch mal schonen. Mit schnellen Schritten durchquerte er die Halle, bis Sven auf ihn aufmerksam wurde. Er sah sofort, dass der andere nicht mit ihm gerechnet hatte. "Hi." Sagte er, während er sich unsicher neben ihn setzte. "Hallo Fabi." Sven lächelte ihn vorsichtig an. "Ich... Ich hab im Internet nach Vereinen hier in der Gegend gesucht und habe dann die möglichen Zeiten gesucht, zu denen du da sein könntest." Svens Lächeln wurde ein bisschen breiter. "Und warum bist du her gekommen?" Fabian atmete tief ein und aus, bevor er auf seine Finger sah. "Ich bin hier, um dich abzuholen. Wir machen einen Ausflug."

"Wohin geht es denn?" Sven schnallte sich an und sah aus dem Fenster in die Dunkelheit." Fabian klammerte die Finger an das Lenkrad. "Naja... In meiner Vorstellung würden wir uns jetzt bei Sonnenschein in eine Wiese setzen, aber... Es ist dunkel und es ist permanent am Regnen. Deswegen... Ich habe keine Ahnung, was wir jetzt machen sollen." Sven fuhr sich mit der Hand durch die Haare und lehnte sich zurück. "Vor einer Woche hätte ich jetzt deine Hand genommen und gefragt, ob wir zu dir oder zu mir wollen, um etwas zu zocken. Jetzt gerade bin ich mir nicht sicher, ob es gut ist, dass wir zusammen in einem Auto sitzen." Fabian seufzte und sah runter auf seine Oberschenkel. "Wir müssen jetzt endlich miteinander reden. Ich weiß, dass du das nicht willst und dass du dich damit nicht wohl fühlst, aber wie müssen jetzt die Fronten klären. Ich habe meinen Standpunkt deutlich gemacht und ich mache das auch gerne noch einmal. Ich finde dich echt scharf und ich hätte Bock, dich als etwas anderes als Freund kennenzulernen. Jetzt musst du entscheiden, wie du damit umgehst. Willst du jetzt keinen Kontakt mehr zu mir haben oder bist du auch interessiert daran, mich neu kennen zu lernen?" Fabian seufzte gleich noch einmal. "Können wir nicht einfach Freunde bleiben?" Im Augenwinkel sah er, dass Sven den Kopf schüttelte. "Von mir aus können wir das, aber von dir aus geht das nicht. Du fühlst dich seit du es weißt in meiner Nähe unwohl... Und trotzdem hast du wieder Kontakt hergestellt. Ich verstehe das nicht. Ich werde nicht schlau aus dir. Deswegen musst du jetzt Stellung beziehen."

"Ich verstehe dich nicht, Sven. Ich meine... Du weißt nicht, wie ich aussehe. Wie willst du mich attraktiv finden?" er sah zu Sven, der den Blick fest erwiderte. "Darum geht es nicht, Fabi. Du denkst viel zu weit. Ich möchte wissen, ob du dir mit mir mehr als Freundschaft vorstellen kannst. Wenn ja, wird sich alles andere ergeben. Wenn nicht, dann spielt es keine Rolle." Fabian atmete tief ein und aus und lehnte den Kopf an die kalte Fensterscheibe. "Ich will dich nicht verlieren, Sven. Aber.... Ich weiß auch nicht, wie es weiter gehen soll. Ich weiß nicht, wie ich mit deinen Gefühlen umgehen soll. Ich weiß nicht, warum es mir deswegen schlecht geht. Ich will nicht, dass es uns deswegen schlecht geht... Und ich will, dass du nicht einfach so gehst." Schwere Regentropfen prasselten von außen auf das kleine Auto. "Bei dem Wetter steig ich ganz sicher nicht einfach so aus. Man sollte meinen, dass es langsam mal schneien könnte." Fabian war nicht zum lachen zu mute. Er schloss die Augen und verbarg das Gesicht in den Händen.

"Du hast noch nie einen Mann gedated, oder?" Fabian nickte, als Sven nach einigen Minuten die Stille durchbrach. "Und du hattest auch noch nie etwas mit einem Mann." erneutes Nicken. "Hältst du es für möglich, dass du dich deswegen unwohlfühlst?" Fabian schwieg, weil er das nicht wusste. Er hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht. "Lass mich anders fragen. Würdest du von vorneherein ausschließen, etwas mit einem Kerl anzufangen oder läge das theoretisch im Bereich des Möglichen?" Dieses Mal zuckte Fabian mit den Schultern. "Muss wohl, nicht? Wenn du sonst einfach abhaust..." Svens Hand legte sich auf seine Schulter, was Fabian leicht zusammen zucken ließ. "Das stimmt nicht. Wenn du sagst, dass du kein Interesse an mir hast, dann bin ich cool damit. Dir muss es damit aber auch gut gehen." Einige Momente lang war es wieder still, Fabian wusste nicht, was er sagen sollte, dann seufzte Sven leise. "Fühlst Du Dich vielleicht unwohl, weil Du meine Gefühle nicht verstehen kannst? Vielleicht, weil Du Dich selbst als uninteressant und unattraktiv empfindest?" Wenn Fabian so darüber nachdachte, dann kam es dem was er fühlte, ziemlich nahe, deswegen nickte er zaghaft.

Svens Hand legte sich auf die Finger, die immer noch das Lenkrad umklammert hielten. "Du musst keine Angst haben. Ich weiß, dass du das nicht verstehen kannst, aber ich finde dich wirklich anziehend. Du bist witzig, Fabi, und wirklich angenehm, um miteinander Zeit zu verbringen. Du hast ein gutes Herz und du bist ein guter Freund. Und es ist wirklich schön, mit dir zu Zocken." Svens Finger schlangen sich sanft um Fabians, er löste sie von dem Lenkrad, um sie zu halten. "Was hältst du davon, wenn wir jetzt zu dir fahren, ich dir einen warmen Tee koche und dir zum Einschlafen etwas Vorlese? Ich hab früher in einem Altenheim Vorgelesen, ich kann das wirklich gut. Und ich kann dir auch einige Monologe aus bekannten Werken rezitieren, wenn dir das lieber ist." Das war Fabian um einiges lieber. "Gerne. Du bist mit Sicherheit ein guter Vorleser. Und ein sehr guter Freund. Und du kannst dich gut um andere kümmern und bist sehr verständnisvoll. Ich hab dich gerne." Svens Lächeln ließ ihn das peinliche Stammeln wieder vergessen.

U.G.L.Y. ~ Wintersaft Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt