AZRIEL
Der Wind wirbelte um mich auf. Das einzige, was die Dunkelheit durchbrach, war das Blau meiner Trichtersteine. Ich war der Sonne zuvorgekommen, denn obwohl es hinter den Bergen, hinter Velaris' Grenzen, bereits zu dämmern begonnen hatte, war die Sonne auf dieser Seite der Sidra noch immer nicht zu sehen.
Meine Schatten wirbelten kräftig umher, als sie die Anwesenheit von jemand anderem spürten. Ich drehte mich um und blickte in das Violett meines Freundes und Bruders. Rhysand kam auf mich zu und zog mich in eine feste Umarmung. Ich grinste schief, während meine Schatten umherschwebten.
Als er sich von mir löste, blieb mir keine Zeit um ihn zu begrüßen, denn er boxte mir fest gegen die Schulter. Ich stöhnte auf und griff nach der Stelle. »Wofür war das denn?«, fragte ich und rieb den Schmerz weg. Hätte er gewusst, dass sich genau an dieser Stelle eine Wunde befand, hätte er nicht zugeschlagen. Wobei ich nicht darauf gewettet hätte.
»Schon einmal daran gedacht, eine Nachricht zu senden, du Idiot?« Rhysand funkelte mich böse an. »Wir haben fast einen Monat lang nichts von dir gehört.«
Seufzend ließ ich die Schultern sinken und schloss die Augen. Erschöpft fuhr ich mir mit der Hand über Haar und Gesicht, ohne dabei die schmerzende Schulter zu belasten. »Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich nicht einmal die Gelegenheit hatte, Melany zu schreiben?« Ich schüttelte mit einem bitteren Lächeln den Kopf. »Sie muss sicherlich am Ausflippen sein.«
Rhys nickte bekräftigend, doch seine Gesichtszüge wurden sanfter. Vielleicht hatte er ja genug Mitleid mit mir um nicht noch einmal zuzuschlagen. Ich hatte keine Lust, die Wunde erneut zuzunähen. »Sie hat dir mehrmals geschrieben. Mor und Feyre sind jetzt am Tageshof bei ihr.«
Ich nickte bloß. Rhys bedeutete mit einem Kopfnicken, ihm in die Flussvilla zu folgen. Nachdem wir einige kurze Worte miteinander gesprochen hatten, schickte er mich in meine Gemächer, damit ich mich ausruhen konnte. Ich sagte ihm zwar, dass es wichtigere Angelegenheiten gäbe, über die wir sprechen müssten, aber er meinte, dass wir ohnehin auf Cassian und Feyre warten müssten. Wenn Mor und Feyre am Morgen vom Tageshof zurückkämen, würden wir über meine Informationen sprechen. Bis dahin hätte ich Zeit, um mich auszuruhen.
Erschöpft und ohne einen weiteren Gedanken an etwas zu verschwenden, fiel ich in mein Bett und schlief nach fast vier Wochen das erste Mal für einige Stunden am Stück. Ich wusste nicht, ob es ein Segen oder ein Fluch war, der Stimme aus meinen Träumen nicht zu begegnen, aber in dieser Nacht blieb es dunkel und leer. Ein traumloser, ruhiger und stimmenloser Schlaf.
Am Morgen klopfte es an meiner Tür, ehe Nuala mit einem Stapel Umschläge in mein Zimmer kam. Ich richtete mich auf und fuhr mir müde über die Augen. Sie lächelte sacht, ehe sie die fünf Briefe auf den Tisch neben meiner Tür legte und hinter sich die Tür schloss. Als ich mich daran erinnerte, dass Rhys gesagt hatte, Mel hätte mir geschrieben, stand ich sofort auf und griff nach den Briefen. Alle waren in ihrer wunderschönen Handschrift an mich adressiert und mit dem Goldsiegel des Tageshofs versehen.
Gerade als ich den ältesten von ihnen öffnen wollte, kam ein lachender Cassian durch meine Tür gestolpert. Mit ausgebreiteten Flügeln zog er mich in eine chaotische Umarmung und fiel mit mir gemeinsam auf den Boden. Ich ächzte unter seinem Gewicht und stemmte mich schwer auf die Beine. »Wieso kann keiner von euch ein einfaches Hallo zur Begrüßung sagen?«, beschwerte ich mich stöhnend.
Cassian nahm keine Notiz von meinen Beschwerden sondern zog mich genauso wie Rhys in eine feste Umarmung. Vorsichtig drehte ich meine verletzte Schulter von ihm weg, ohne zu viel Aufmerksamkeit darauf zu erregen. »Wäre ich nicht so erleichtert, dass du nicht vergiftet hier aufgetaucht bist, würde ich dich jetzt nach Hybern befördern.« Er löste sich von mir und sah mich tadelnd an. »Wo hast du bloß so lange gesteckt?«
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Der Ruf des Schattensängers
Fanfic[Azriel Fanfiction nach „Das Reich der Sieben Höfe" 3] Seit dem Sieg gegen Hybern ist Azriel, der Schattensänger des High Lords vom Nachthof, einsamer denn je. Keiner hätte gedacht, dass sich nach einem solch hellen Sieg, eine so tiefe Dunkelheit au...