Kapitel eins - der leere Raum

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Jungkook

In meinem Kopf ist häufig ein leerer Raum. Einfach nur ein leerer Raum. Wenn ich meine Augen schließe und mal nicht über etwas bestimmtes nachdenke, dann bin ich dort. Ich kann mich dort bewegen, dort fühlen und das tun was ich möchte. Dieser Ort ist mein Rückzugsort. Das war er eigentlich schon immer. Mein sicherer Platz. Leider kann ich nicht den ganzen Tag dort verbringen. Ich kann nicht immer mich dorthin zurückziehen, sondern muss mich der Realität stellen. Meine Mutter hatte kaum Zeit, um sich um mich zu kümmern. Das hatte sie eigentlich noch nie. Meine kleinen Geschwister gingen häufig vor, aber das war okay. Meine älteren Geschwister gingen gerade erst in den Kindergarten, während das jüngste gerade das Krabbeln lernte.

Trotzdem war mein Verhältnis zu meiner Mutter gut. Sie nahm meine Entscheidungen ernst und hörte mir in den richtigen Momenten zu und gab mir dann gute Räte. Allerdings übertrieb sie es manchmal auch gerne. Wie den Ballettkurs. Nebensächlich hatte ich einmal erwähnt, dass ein Mädchen, welches ich toll fand, total gerne Ballett mochte, was sie dazu veranlasst hatte mich in einer Tanzschule beim Ballett anzumelden. Während mein Stiefvater, alles andere als erfreut war - das sei viel zu Mädchenhaft - hatte sie nur abgewunken und gemeint, wenn ich Spaß dran habe, sollte ich das weiterverfolgen.

Ich tanzte jetzt schon seit mehr als drei Monaten Ballett und bin vor einer Woche in den Fortgeschrittenenkurs aufgestiegen. Was soll ich sagen. Mir machte das Bewegen spaß. Es war wie ein weiterer leerer Raum, den ich mit Bewegung und Gedanken füllen konnte. Ein Ort an dem ich mich sicher fühlen konnte. Die fließenden Bewegungen flossen durch meinen Körper, als gehörten sie da hin und bekräftigten mich in meinem Selbst. Ich fühlte mich selbst beim Tanzen und das war wohl das schönste an diesem leeren Raum. Die letzte Zeit hatten wir im Anfängerkurs viele Solotänze gemacht. Ich als Einsteiger im Fortgeschrittenenkurs hatte bisher nur Grundstücke und einfache Improvisation gelernt, damit meine Abläufe dynamisch werden.

„Jungkook", sprach mich eine männliche Stimme von der Seite her an. Es handelte sich um Jung Hoseok einer der Tanzlehrer. Er unterrichtete Ballett, Modern Dance und Hiphop. Wobei er beim letzteren nur gerne aushalf, um sich auf seine eigenen Kurse konzentrieren zu können. „Du träumst schon wieder", lächelte er mir zu und bedeutete mir mich den anderen beim Warmmachen anzuschließen.

Mit weichen, warmen Muskeln zog Hoseok die Aufmerksamkeit wieder auf sich, während wir uns dehnten. „Ich habe ein paar Neuigkeiten. Zuerst wollte ich euch zu eurer großartigen Performance am Samstag beglückwünschen. Ihr wart großartig." Hoseok nickte anerkennend in die Runde. „Da ihr nun wisst, wie ihr in Gruppen tanzt, habe ich beschlossen als nächstes Paartänze mit euch zu üben. Ich möchte, dass sich jeder von euch gleich einen Partner sucht, bevor ihr das macht, muss ich euch aber noch etwas erzählen: Die Stadt veranstaltet für alle im Umkreis liegenden Tanzschulen einen Wettbewerb! Und ich habe euch angemeldet. Vier Pärchen von euch können teilnehmen, also wäre es gut, wenn ihr bei eurer Partnerwahl das schon im Kopf habt, denn man tritt als Pärchen an."

Andächtig lauschten alle den Worten von Hoseok. Insgesamt kamen wir auf acht Pärchen. Die Hälfte von uns also würde an dem Wettbewerb teilnehmen können. Langsam stieg in mir Angst und Panik auf. „Also dann, rann an den Partner!" Hörte ich Hoseok enthusiastisch rufen und spürte wie sich in mir das Unwohlgefühl ausbreitete. Ich war nicht gut darin Menschen anzusprechen. Noch schwerer wurde es, wenn ich solche Fragen stellen sollte. Mein Mund war rocken und ich schaute hilflos dabei zu wie sich Pärchen bildeten. Immer mehr fanden sich, während ich das Bedürfnis hatte mich in meinen Safe-Place zurück zu ziehen. Aber es würde nicht helfen, wenn ich jetzt meine Augen schließen würde. Das war eine solche Situation, die ich hasste, einer der ich nicht entkommen konnte.

Noch immer hatte ich mich kaum von meinem Platz wegbewegt. Ich stand hinter allen, gut gedrückt in eine Ecke, nahe der Tür, um schnell verschwinden zu können. Es war immer besser nicht aufzufallen. Dann entkam ich den meisten Gesprächen. „Hat noch wer keinen Partner?", fragte der Tanzlehrer wenig später in die Runde und ich sah wie sich Jimin aus der Menge bahnte und die Hand hob. „Ich habe noch keinen!", meinte er und eigentlich war es nicht verwunderlich, dass Jimin noch keinen hatte. Der Tänzer vielleicht so zwei Jahre älter als ich tanzte hier schon seitdem er klein war, hatte schon mehrere Wettbewerbe gewonnen und durfte sogar auf Veranstaltungen trotz fester Tanzgruppe Solos tanzen. Er war das Vorbild von mir und ich liebte seinen Tanzstil, doch sein Charakter ließ zu wünschen übrig. Er war höflich, sprach mit den meisten aber in einem leichten arroganten Ton.

„Jungkook scheint noch keinen Partner zu haben.", höre ich Hoseok sagen und ich registriere nur wenige Sekunden später, was das bedeutete. Jimin schaute mich einen Moment an. Sein Blick war undeutbar und ich spürte wie mir das Herz zum Hals schlug. Himmel, ich sollte mit ihm tanzen? Ich war doch viel zu schlecht! Ich hatte das Gefühl meine Beine würden jeden Moment unter mir wegbrechen. Ich war einfach viel zu überfordert. „Also wie viele wollen denn Teilnehmen? Für die gibt es nämlich extra Regeln zusätzlich zu der Aufgabe, die ich euch allen stelle." Ich sah aus den Augenwinkeln wie sich zwei Pärchen meldeten, doch meine Augen waren vollkommen auf Jimin gerichtet, welcher seine Hand hoch erhoben hatte. Natürlich wolle er teilnehmen. Mit mir. Als Partner! MIR! 

Himmel tu dich auf...

Bitte...

Nimm mich nur einmal mit in einen wirklich leeren Raum...

Nur einmal.

Hold me right - JikookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt