Weight ➛ Jimin

Worte haben Macht

Es war nur ein dummes Spiel. Eine dumme Idee, die aber unterhaltsam genug für eine Folge RUN BTS schien.

Ein dummer Satz, gesagt von Soekjin, ohne zu erahnen welche Folgen dies haben könnte.

Eine dumme Aussage, die nicht einmal ernst gemeint war, sondern nur dem Witz der Show dienen sollte.

"Jimin, du fragst mich immer: Hyung, habe ich zugenommen? Und jedes Mal wenn du fragst würde ich am liebsten sagen: du siehst aus wie ein Schwein!" Jin lachte. "Aber das kann ich nicht, weil ich dich nicht verletzen will!"

Das hatte gesessen. Jimin sank lachend zu Boden, die Kameras auf ihn gerichtet, um seine Reaktion zu filmen. Und egal wie sehr ihn diese Worte trafen, er spielte das Spiel mit. Er war ein Profi. Niemand konnte ihm ansehen, wie seine Gedanken sich überschlugen. Eigentlich wusste er, dass Jin dies nur sagte, damit er die Überhand bei diesem dämlichen Spiel hatte, aber dennoch rasten Bedenken durch seinen Kopf. Hatte er zugenommen? Sah er für die anderen wirklich aus wie ein Schwein? Aß er wie ein Schwein? Blamierte er sich auf der Bühne weil er dick aussah? Fanden Armys ihn fett? Logen die Member ihn an, nur weil sie Angst hatten ihn zu kränken? Wollten sie ihm nicht sagen, wie dick er geworden war, weil sie wussten, dass er vor einiger Zeit Probleme mit dem Essen hatte?

Diese Gedanken spielten sich immer wieder ab, fraßen sich in sein Gehirn, sorgten ihn und machten ihn nervös. Jin hatte sich zwar entschuldigt dafür und er hatte seinem Hyung versichert, dass er nicht böse auf ihn war deswegen, was auch stimmte, denn anscheinend hatte er so durch Zufall herausgefunden, was sein Hyung tatsächlich über ihn dachte. Auch wenn es ihn enttäuschte, dass seine Brüder ihn anscheinend anlogen, aber sauer war er deswegen nicht.

Am Abend stand er vor dem großen Spiegel in seinem Zimmer und begutachtete sich von allen Seiten. Vielleicht hatten sie recht? Er hatte auf jeden Fall zugenommen. Er dachte, das sei etwas gutes, das wollten doch alle von ihm und er fühlte sich fit und gesund und war bis zu dem Zwischenfall vor ein paar Stunden zufrieden mit sich gewesen. Doch jetzt war er sich unsicher, was er dort im Spiegel sah. Vielleicht sah er gar nicht die Realität, vielleicht war das was er sah, nur Wunschdenken und in Wirklichkeit war er genau das Schwein, was Jin beschrieben hatte. Sein Herz begann zu rasen als sich Bilder und Gedanken in ihm überschlugen, wie ein Tsunami brachen sie über ihn herein, wie sie ihn auslachten, wie sie heimlich hinter seinem Rücken über ihn herzogen und redeten. Ihm wurde schwindelig und Angst machte sich in ihm breit. Die Twitter Hashtags ergaben plötzlich Sinn und auch wenn die anderen immer wieder gesagt hatten, er solle nicht darüber nachdenken, dass er nicht auf die Antis hören sollte... vielleicht hatten diese ja nur die Wahrheit gesagt?

An diesem Abend scrollte er durch alle Hashtags und die dazugehörigen Kommentare die mit seinem Gewicht zu tun hatten und fasste einen Entschluss. Er würde abnehmen. 

"Jimin-ah, dein Frühstück wird kalt, komm und iss was, wir müssen gleich los.", rief Namjoon dem Tänzer zu, als sie sich am nächsten Morgen fürs Studio bereit machten.

"Danke Hyung, aber ich mag nicht. Ich hab Bauchschmerzen.", sagte Jimin.

Namjoon blickte ihn direkt besorgt an. "Bauchschmerzen? Wirst du krank?"

"Nein, so schlimm ist es nicht, mach dir keine Gedanken. Ich hab nur keinen Appetit." Und mit diesen Worten war das Thema auch vom Tisch.

Gegen Mittag, als die Aufnahmen beendet waren, begann Jimins Magen zu grummeln und er bekam Hunger. "Hyung!", rief Jungkook begeistert. "Hobi Hyung lädt uns zum Essen ein. Kommst du mit? Wir wollen in das kleine Restaurant in unserer Straße, was neu aufgemacht hat. Das soll total super sein!"

"Danke, Kook-ah. Nächstes Mal gerne, ich wollte nochmal die Choreo für morgen durchgehen, ich muss noch ein oder zwei Dinge verbessern. Iss was für mich mit!" Mit diesen Worten verließ Jimin das Studio und machte sich auf den Weg zum Übungsraum. Er hatte nicht gelogen, er wollte tatsächlich noch an sich arbeiten, dass sich dies mit dem Mittagessen überschnitt, kam ihm grade recht. Er tanzte und probte und übte bis sein Shirt klatschnass an seinem Rücken klebte. Völlig fertig ließ er sich rücklings auf den Fußboden fallen und musste grinsen. Er würde es schaffen. Er würde den anderen schon beweisen, dass er nicht das fette Schwein war, dass sie in ihm sahen. Er würde den Antis jeden Grund nehmen über ihn zu lachen. Er würde seine Fans stolz machen.

So ging es Tag für Tag weiter. Jimins Ausreden wurden immer kreativer und vor lauter Stress, schien auch niemandem aufzufallen, dass er so gut wie gar nichts mehr aß.

Wenn sie Abends mal zusammen einen Film schauten und dabei Popcorn aßen, griff der Tänzer zu einem Apfel, biss ein paar Mal hinein und verabschiedete sich dann auf sein Zimmer mit der Begründung er wäre müde und würde schlafen gehen, nur um dort nochmal 200 Sit Ups und 100 Liegestützen zu machen, manchmal auch mehr, so lange, bis ihm schlecht wurde, er sich kaum noch bewegen konnte und die verdammten Kalorien des Apfels vernichtet waren. So sahen sie ihn essen und glaubten, alles sei in Ordnung.

Einmal war er kurz davor sich vor Erschöpfung zu übergeben und er lag total fertig vor seinem Bett auf dem Boden, nicht mehr in der Lage aufzustehen, als plötzlich Yoongi ins Zimmer platzte. "Was machst du da auf dem Boden? Bist du okay?", fragte er den Tänzer und begutachtete ihn kritisch. Jimin erschrak so heftig, dass er sich ruckartig mit immenser Anstrengung hochdrückte. "Ich habe meinen Ohrring fallen gelassen, der muss hier irgendwo sein?", keuchte er und schluckte die Säure herunter, die sich aus seinem Magen hoch in seine Speiseröhre arbeitete. Alles verkrampfte sich schmerzlich.

"Und wieso schwitzt du so? Hast du heimlich trainiert?" Yoongi verschränkte seine Arme vor der Brust, seine Katzenaugen beobachteten den Jüngeren ganz genau.

"Was? Nein.", log Jimin.

"Wirst du etwa krank?"

"Vielleicht. Deswegen will ich ja ins Bett. Aber ich muss erst den Ohrring finden, sonst saugt Jin Hyung den beim nächsten Staubsaugen mit auf."

Yoongi nickte. "Gute Nacht, Jiminie."

Jimin schlief umgehen auf dem Fußboden ein, als Yoongi das Zimmer verließ.

So ging es Wochen weiter. Jimin versuchte sich jeglichem Essen zu entziehen und als er den Erfolg auf der Waage und auch an seiner Kleidung spürte, war er grenzenlos motiviert. Das er schwächer wurde und unkonzentrierter, dass ihm beim aufstehen schwarz vor Augen wurde und er ständig fror, das ignorierte er. Ebenso den Fakt, dass er irgendwo in seinem tiefsten Inneren wusste, dass das, was er tat, so nicht okay war, denn er wusste genau, er konnte seine Member niemals in seine Geheimnisse einweihen, sie würden ihn davon abbringen wollen. Doch diesen Fakt tauschte er so lange gegen den Gedanken ein, dass sie nur nicht wollten, dass er besser aussehen würde wie sie, schlanker wäre als sie und erfolgreich, bis er es tatsächlich selber glaubte. 

Er begann sich Oversized zu kleiden und steckte sich immer ein paar von diesen kleinen Handwärmern in die Sweatshirt Taschen, damit sich seine Finger nicht zu eisig anfühlten. Ebenso trug er zwei paar Socken, um seine Füße warm zu halten. Aber das alles war ein kleiner Preis dafür, dass er dafür sorgte, nicht mehr das fette Schwein zu sein. Das alles war es wert, als die Stylistin nebenbei bemerkte, dass sie Jimins Bluse für den nächsten Auftritt enger machen musste. Er war stolz. Auf sich und auf das was er schaffen konnte. Er hatte die Kontrolle. 

Wenn einer seiner Member ihm Essen mitbrachte, entsorgte er es heimlich und log, dass er es gegessen hatte. Oder er nahm es mit auf sein Zimmer, packte es aus und starrte es an. Manchmal wenige Minuten, manchmal zwei Stunden. Manchmal hielt er stand und manchmal stopfte er sich riesige Mengen der herrlich duftenden Mahlzeit in den Mund, kaute sie gründlich durch bis sie zu Brei wurde, genoss den Geschmack der Gewürze, aber schluckte es nicht herunter, sondern spuckte es in kleine Kosmetik Müllbeutel, die er dann zuband und unter seinem Bett versteckte, bis er sie heimlich entsorgen konnte.

Er hatte die Kontrolle.