Nachdenklich sehe ich zu, wie mein Bruder das Leben auf dem kleinen Planeten initialisiert. Er setzt die einzelnen Grundlagen aus, dann verschmilzt er sie. Ich kenne die Prozedur. Einige Male habe ich es auch gemacht, aber dann doch schnell das Interesse verloren. Am Anfang ist es noch spannend, wenn man zusieht, wie sich aus kleinen Organismen immer größere entwickeln. Aber irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem es keine wirklichen Änderungen mehr gibt. Zwar formt es sich dauernd um, aber das sind nur Äußerlichkeiten. Der Rhythmus bleibt immer der gleiche. Nichts gegen ein Sternsystem, welches mit einem anderen kollidiert und mich damit immer wieder neu überrascht. Denn jedes Mal entsteht etwas anderes dabei.
Mein Bruder hat wie üblich das Wasser ausgewählt, um dort das Leben zu säen. Recht hat er. Wasser gerät immer wieder in Bewegung und so kommen die Grundlagen und später die ersten Organismen in Berührung miteinander. In der Luft geht das auch, ist aber schwieriger. Zu oft wird dann wieder auseinandergewirbelt, bevor es zu einer Interaktion kommen kann. Und an Land geht es gar nicht. Dafür muss es sich erst bewegen können.
Mir wird bewusst, dass wir alle zwar das Leben säen, aber nicht entwickeln können. Wir brauchen eine Mini-Welt dafür. Wir können auch nicht andere wie uns aus uns selbst hervorbringen wie es Einzeller tun. Das ist wohl auch der Grund, warum wir uns alle als männlich sehen. Eigentlich sollten wir kein Geschlecht haben. Aber wir haben eines. Oder bilden es uns ein.
Manchmal formt mein Bruder einen neuen von uns. Aus dem Leben, welches er auf einem Planeten oder einem Mond gesät hat. Ich habe das noch nie gemacht. Aber jetzt denke ich darüber nach. Vielleicht wäre es ganz nett, jemanden aus meiner Substanz und dem Leben eines Planeten zu formen. Aber dann hätte ich gerne jemand Weiblichen. Und diese Macht scheint uns nicht gegeben zu sein. Wir können die Prozesse anstoßen, die bewirken, dass etwas entsteht, was man als weiblich ansehen kann. Aber wir können nichts Weibliches schaffen. Nichts, was aus sich selbst heraus Leben schaffen kann.
Das Leben im Wasser kommt in Bewegung. Aus den kleinen Organismen sind bereits Zellen geworden. Ich sehe noch zu, wie sich die Zellen zusammenschließen, dann wende ich mich wieder dem Sternentanz zu. Aber immer wieder sehe ich zu diesem Planetchen hinüber.
Es ist nicht das einzige, auf dem mein Bruder Leben ausgesät hat. Oder einer der anderen. Aber diesem hier schenkt er seine meiste Aufmerksamkeit und das interessiert dann auch mich. Irgendetwas hat er noch vor mit dieser Mini-Welt und ich bin sehr neugierig. Aber er wird es mir erst verraten, wenn es soweit ist.
Das Leben füllt inzwischen die Meere und schickt sich an, das Land zu erobern. Eine Weile fesselt mich das. Diesmal hat es die Photosynthese erwählt, um Energie aufzunehmen und zu speichern. Ein Prozess, der mir nahe liegt, weil er mit Licht zu tun hat.
Ein anderes Leben nutzt die gebundene chemische Energie der Photosyntheser. Es zersetzt sie, gewinnt daraus eigene Energie, setzt aber gleichzeitig Stoffe frei, welche die Photosyntheser brauchen. Es fasziniert mich. Ich nehme die Gestalt eines Photons an, lasse mich aufnehmen und erlebe mit, wie ich zu chemischer Energie umgesetzt werde, ebenfalls von diesem anderen Leben aufgenommen, zersetzt und dann wieder von den Photosynthesern vereinnahmt werde, um erneut den Verwertern zugefügt werden. Dieser Kreislauf macht Spaß, also wiederhole ich es einige Male.
Dabei verpasse ich den Moment, als eine andere Art Leben auf das Land kommt. Eines, das sich bewegen kann. Erst auf Körperauswüchsen, dann auf ausgebildeten Beinen. Vier. Dann zwei. Ich nehme die verschiedenen Formen an, um sie auszuprobieren. Auf vier Beinen steht man sicherer. Auf zweien kann man sehr schnell laufen, aber man muss aufpassen, nicht aufs Gesicht zu fallen. Vielleicht stellen sich darum auch manche Zweibeiner wieder auf alle viere.
Diese Art Leben – mein Bruder nennt es Tier – hat eine andere Methode, um Energie zu gewinnen. Es isst. Statt einzelne Bestandteile zu assimilieren, nimmt es das ganze andere Leben in sein Maul, zerkleinert es und schluckt es hinunter. Und jedes Tier hat etwas anderes, was es isst. Einige essen die Photosyntheser, andere die Verwerter, etliche aber auch andere Tiere. Im ersten Moment finde ich das seltsam. Dann fällt mir ein, dass auch Sterne einander fressen. Manchmal nehmen sie nur die Energie anderer Sterne auf, welche diese aussenden. Aber immer wieder vereinnahmen sie die gesamte Materie eines anderen Sternes. Das geschieht auch hier bei den Tieren.
„Interessant, nicht?" fragt mein Bruder. Ich schrecke zusammen. Da habe ich mich doch tatsächlich mehrere Äonen lang von diesem Leben ablenken lassen. Vielleicht sollte ich mich doch mehr mit Leben beschäftigen. Es ist mehr dran als ich dachte.
„Ja", gebe ich zu. „Sie verhalten sich so anders. Anders als wir und anders als die Sterne und doch irgendwie ähnlich."
Mein Bruder gibt das zu. „Ich habe ein paarmal gelenkt", gesteht er ein. „Ich habe etwas vor, weißt du."
Das ist mir schon lange klar. Aber was?
„Ich will auf dieser Welt Wesen schaffen, die uns ähnlich sind", erklärt mein Bruder.
„Du meinst, neue von uns?" Ein neuer Gefährte wäre eine Abwechslung. Auch wenn er wieder männlich sein wird.
„Nein, keine neue Gefährten", erwidert mein Bruder. „Eine ganze Rasse, die zwar Leben sein wird, aber nicht nur sich selbst verändern kann, sondern auch seine Welt."
Ich erstarre vor Schreck. „Das ist gefährlich!"
„Warum? Sie werden nicht lange leben!"
„Als einzelner, ja. Aber als Rasse können sie sehr lange leben." Ich weise auf die Geschöpfe, die jetzt diese Welt bevölkern. „Diese hier leben als Rasse schon einige Äonen. Aber sie leben einfach und verändern nichts bewusst. Kurzlebige Geschöpfe aber, mit der Macht der Veränderung, werden die Welt zu schnell wandeln. Da kommt der Planet dann nicht mit!"
„Das wird schon so schlimm nicht werden", meint mein Bruder.
Ich bin mir da nicht so sicher.
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Das hab ich nicht gewollt ✔️
ParanormalDas wollte ich nicht. Ich war nicht einverstanden mit dem Vorhaben meines Bruders. Vergeblich habe ich versucht, ihn davon abzubringen. Und als er nicht auf mich hören wollte, habe ich versucht, die Folgen zu mildern. Es hat nicht geklappt. Ich weiß...