Kapitel 1

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Wie jeden Morgen stehe ich auf und der Tag beginnt, wie jeder Andere zuvor. Meine Schwester Korinna liegt neben mir und schläft tief und fest. Beinahe wie ein Stein. Ihr zartes, von der Sonne geküsstes, Gesicht liegt entspannt auf dem roten Kissen, welches Mama uns genäht hat. Die Blumenranken darauf sind nur noch zu erahnen, da die Stickerei sich vor einiger Zeit verabschiedet hat. Die krausen und dunklen Locken meiner Schwester sind zu zwei Zöpfen streng nach unten geflochten, sodass sie beinahe an ihre Schultern heran reichen. Dass sie so tief schlafen kann, ist wahrscheinlich auch ein Segen für sie, da sie so nicht mitbekommen muss, wie spät ich zu Bett gehe und wie früh ich wieder aufstehe.
Die Nacht war mal wieder viel zu kurz. So wie es die Meisten in letzter Zeit sind. Erst spät bin ich aus der kleinen Nähstube, neben dem Café, nach Hause gekommen, da es auch hier wieder einige Frauen gab, welche entweder zu dick oder zu dünn für ihre feinen Kleider geworden sind und diese nun umgenäht bekommen wollen. So musste, mal wieder, eine extra Schicht eingelegt werden. So wie die meisten Abende in letzter Zeit.
Alle wollen sie auffallen, wenn der Prinz durch die Stadt fährt um sich potentielle Bräute anzusehen. Sowohl die Töchter, als auch die Mütter wollen zeigen, was sie und ihre Gene zu bieten haben.
Auch Korinna ist ganz aufgeregt. Sie, mit ihren gerade mal 5 Jahren, hofft selbst darauf, von dem Prinzen gesehen zu werden. Obwohl dies bei ihr wohl weniger der Fall sein wird. Doch trotzdem stellt sich mit die Frage: Wofür? Um eine Puppe des Königshauses zu sein, welche in viel zu engen Kleidern und mit zu viel MakeUp durch die Straßen fährt, lächelt und winkt und sich dann nachts von einem unerfahrenen kleinen Prinzchen, welcher einem selbst beinahe unbekannt ist, befummeln lässt, nur damit ein Erbe zustande kommt, welcher dann das gleiche Prozedere durchlebt?
NEIN DANKE!
Ich glaube zwar nicht an die wahre Liebe, aber so etwas ist auch keine Lösung! Bevor ich zu so einer armseligen Figur werde, welche man nach Belieben hin und her schleift, mache ich lieber meine drei Jobs und ernähre meine Familie lieber weiterhin alleine, wodurch ich mich sinnvoller und vermutlich auch glücklicher als die zukünftige Prinzessin fühle.
Es ist jetzt vier Uhr und in einer Stunde muss ich damit beginnen die Post in unserem Dorf auszutragen. Normalerweise kümmert sich Connor, mein zehn jähriger Bruder darum, jedoch liegt dieser seit einer Woche krank im Bett und ich übernehme diese Tätigkeit für ihn. Das Geld können wir schließlich gut gebrauchen.
Danach, um sieben Uhr, beginnt meine Schicht im Café. Hier holen sich früh morgens die Fabrikarbeiter ihren Kaffee, ihre Brötchen und manche sogar ein Stück Kuchen, bevor sie sich durch die Tore der Papierfabrik begeben. Danach, wenn wirklich jeder Mann in der Stadt arbeiten ist, kommen die Frauen der Arbeiter und treffen sich zum schwatzen. Meistens beginnen diese den Laden gegen zehn Uhr zu betreten um ihren Kaffee oder Tee mit ihren Freundinnen zu trinken. Dann erstrahlt das Café erst richtig in seinem Glanz. Die Frauen kommen meistens in bunten Kleidern mit schönen bestickten Mustern in den Laden und ab und zu erkenne ich dabei auch meine eigenen Werke.
Meistens arbeite ich in dem Café dann bis 17 Uhr und fange dann, in dem Gebäude nebenan, an die Kleider zu nähen, auszubessern, zu verändern oder zu designen. Dabei darf ich mich dann glücklicherweise die meiste Zeit frei entfalten, da die Besitzerin sich wenig darum schert, wie die Kleider am Ende aussehen, solange das Geld stimmt.
Ins Bett komme ich dann meistens gegen 22 oder 23 Uhr und lege mich dann neben Korinna in die warmen Kissen. Die meisten davon hat unsere Mutter genäht und bestickt, bevor sie sich das Leben nahm.
Ich kann sie verstehen. Nach dem Tod unseres Vaters waren wir alle wie ausgewechselt und verhielten uns als wären wir nicht lebensfähig. Sie ganz besonders. Zuerst hörte sie auf in der Schneiderei zu arbeiten, sodass ich ihre Schichten übernahm. Dann ging sie gar nicht mehr raus. Sie hörte auf sich zu waschen und auch sich umzuziehen. Danach ass sie nicht mehr und saß nur noch da und starrte gerade an die leere Wand in unserem Wohnzimmer. Ab dem Moment, in dem ihre Knochen beinahe durch ihre Haut hervor traten, verging nur noch wenig Zeit bis zu ihrem Tod und ich fing an, alles vorzubereiten, für den Fall, dass es kommen sollte, wie es kam.
Im Schlafzimmer meiner Eltern bereitete ich alles für Korinna und mich vor. Von meinen letzten Ersparnissen kaufte ich ein neues Laken und ein neue Decke für das Bett, das nun unseres sein sollte. Conner bekam mein altes Bett, welches ich zuerst mit ins Schlafzimmer schob, jetzt jedoch vor der Tür im Flur Platz gefunden hat. Danach bereitete ich meine Geschwister auf das bevorstehende vor.
Connor besorgte ich den Job um Zeitungen auszutragen und Korinna bekam einen Platz in der Spielgruppe in unserem Dorf. Hier lernt sie rechnen und lesen und kann den ganzen Tag spielen, bis sie eine Freundin unserer Mutter wieder nach Hause bringt. Sie sollten nicht zuhause sein, wenn es soweit ist.
Kurz nach unseren Vorbereitungen starb Mutter dann auch. Es fühlte sich an wie ein Segen. Ich hatte das Gefühl, als hätte sie uns noch genug Zeit gegeben um selbst zu wissen, dass es uns gut geht, bevor sie endgültig geht.
Für mich war es kein Schock. Für keinen von uns. Aber es nimmt einen mit. Egal wie abgehärtet man ist.

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⏰ Last updated: Sep 13, 2021 ⏰

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