"Kakashi, stirb mit mir."

132 7 4
                                    

"Ich will dir nicht weh tun.", schnappte er entsetzt nach Luft. Das sollte ihn bestrafen, aber doch nicht sie! "Kakashi!", schluchzte sie erleichtert und klammerte sich noch enger an ihn, "Wehe du machst sowas wieder! Ich - Ich brauch dich hier - mehr als alles andere." Er hatte seine Hände von seiner Kehle gelöst und zog sie nun ganz dicht an sich. Er wollte ihr wirklich nicht weh tun. Das würde er niemals wollen. Also drückte er ihren schwachen Körper an sich und rang weiter nach Luft. Er wusste nicht genau, ob er es wirklich geschafft hätte sich selbst zu erwürgen, aber er war mehr als erleichtert, dass er es nicht getan hatte. Trotzdem starb ein kleiner Teil von ihm bereits, als er erfahren hatte, was er Natsuki angetan hatte. "Verdammt, wenn du mich liebst, warum würdest du mich dann verlassen wollen?", schluchzte sie, noch immer traumatisiert von dem, was sich gerade hier in diesem beengenden Raum abgespielt hatte. "Ich weiß es nicht, Nani.", atmete er noch immer schwer, "Ich weiß es nicht." Er war noch nicht bereit alles zu verlieren. Sie hatten vermutlich nur noch ganz wenig Zeit zusammen und er hatte es doch tatsächlich gewagt, diese kostbare Zeit zu verkürzen. "Scheiße, tut es mir leid.", schluchzte er und wurde noch saurer auf sich selbst, "Ich liebe dich wirklich, das musst du mir glauben." Das war wirklich knapp gewesen. Hätten Natsukis Worte ihn nicht berührt, sähe es gerade ganz anders aus. Er hätte sich nie von ihr verabschieden können. "Ich weiß und deswegen hab ich eine Bitte an dich.", schniefte sie und richtete sich wieder ein bisschen auf. Den Schock hatte sie offensichtlich noch immer nicht verdaut. "Alles was du willst.", schnaufte er und sah sie schuldbewusst an. Es machte ihn wütend, dass er sich einfach das Recht nehmen wollte, als erstes abzutreten, aber er wollte Nani genauso wenig sterben sehen, wie sie ihn. "Kakashi,", fing sie einmal tief durchatmend an, "stirb mit mir."

Und das war das Letzte, was er für sie tun konnte. Ihr bis zum bitteren Ende beistehen. Alles andere war aussichtslos. Er würde nie sehen, wie ihr Vater sie zu ihm an den Altar bringt, in ihrem Brautkleid, das sie längst gekauft hatte und regelmäßig anprobierte, weil sie es so schön fand - dann schickte sie ihn immer aus der Wohnung, denn es brachte ja Unglück, wenn der Bräutigam die Braut schon vor der Trauung im Kleid sah. Tsk. Diese Vorkehrung würde ihnen auch nicht mehr das Leben retten. Und sein Kind würde er auch nicht mehr zu Gesicht bekommen, obwohl sie bereits zusammen unendlich viel Babykleidung geshoppt hatten. Ganze Nachmittage hatten sie damit verbracht, jeden Laden unsicher zu machen. So kleine Strampler waren einfach zu süß und diese kleinen Schühchen erst! Aber die würde das Baby nie anziehen. Er würde es ihm nie anziehen können. Und er würde nie mit Natsuki in ein Haus ziehen, dort draußen, wo er vor ein paar Tagen noch all seine Träume und Hoffnungen hinbauen wollte. Das alles und noch viel mehr, würde er nicht mehr erleben. Würde sie nicht mehr erleben. "Versprochen. Ich sterbe mit dir.", log er und schenkte ihr ein schwaches Lächeln.

Sein Kopf lag auf den weißen Fliesen und um seine verstrubbelten Haare hatte sich eine rote Lache gebildet. Vermutlich hatte er sich eine Platzwunde zugezogen, als er es noch eilig hatte zu sterben. Doch nun würde er es bis zum Schluss durchziehen, das mit dem leben. Für Natsuki leben. Er hatte es ihr versprochen, auch wenn man vielleicht nicht lügen sollte, wenn man bereits halb auf dem Sterbebett liegt, aber er würde das mit dem gemeinsam sterben nicht Realität werden lassen können. "Gemeinsam schaffen wir das. Wir überleben das vielleicht nicht, aber so schlimm kann es ja wohl nicht werden - nicht, wenn du es mit mir tust.", ihre Tränen waren getrocknet und auch ihr Gemüt hatte sich wieder etwas beruhigt. Die Vorstellung mit der Person zu sterben, die man liebt, lindert den Gedanke an den Tod. Gemeinsam hatten sie schon so viele Dinge ausprobiert. Er war der Erste, den die geküsst hatte und wird nun auch der Letzte bleiben. Er war der Erste, mit dem sie geschlafen hatte und wird nun auch der Letzte bleiben. Er wird der Erste sein, der mit ihr stirbt und wird auch der Letzte bleiben. So viele erste Male hatte sie mit ihm gehabt. Doch nun würden auch etliche letzte Male dazu kommen. Irgendwann würde er sie küssen und es würde das letzte Mal sein, ohne dass sie es überhaupt weiß. Irgendwann würde er das letzte Mal ihren Namen sagen, ohne das sie weiß, dass es das aller letzte Mal sein würde. Aber dann war es ein letztes Mal für immer. Sie würden sich vielleicht nie wieder sehen. Kakashi glaubte daran, dass sein Wille des Feuers in anderen weiter leben würde, aber sie wusste nicht so genau, an was sie glauben sollte. Sie trug weder den Willen des Feuers in sich, noch war sie anderweitig religiös oder gläubig. Bis jetzt hatte sie da auch noch nie so richtig darüber nachgedacht. Der Tod schien so unnahbar, dass sie meinte, er würde sie erst heimsuchen, wenn sie alt genug war, um eine Antwort auf diese Frage zu haben. Schließlich hatte sie einen Superninja an ihrer Seite, der sie immer beschützten würde, war kerngesund und lebte ein schlichtes, ungefährliches Leben. Doch so schnell konnten sich Dinge wohl ändern, hm?

"Ich hoffe du bist jetzt nicht all zu geschockt, wenn ich dich jetzt aufkläre, aber wenn du stirbst, holt dich kein kleiner lilafarbener Plüschhase ab, der auf einem Einhorn angeritten kommt, dessen Regenbogenschweif mit vielen kleinen rosa Blümchen geschmückt ist und von pinkem Feenstaub umgeben ist. Der Tod wird nicht umsonst als Sensenmann dargestellt, Nani, was soll daran nicht so schlimm sein?", zog er sie auf und brachte tatsächlich ein kleines Grinsen zustande. Für diesen einen Moment vergaßen sie all ihre Schmerzen und ihr Leid, sondern konzentrierten sich darauf, ihre letzten Stunden nicht zu verpatzten. "Dein Pessimismus ist schlimm daran.", lachte sie und warf ihren Kopf in den Nacken. So ganz unbeschwert und frei lachte sie immer, wenn sie zusammen Kommentare an die Seite von Büchern schrieben, wenn sie etwas urkomisch fanden. Ja, sie beschäftigten sich an manchen Tagen ausschließlich mit Büchern, denn genau das war die Leidenschaft, die sie teilten. Sie waren beide Leseratten und ließen sich von diesen Fantasiewelten in einen Bann ziehen. "Und du hast einen ungesunden Optimismus.", lachte er nun auch und sah ihr dabei zu, wie sich wieder ihre kleinen Grübchen an ihrer Wange bildeten. Alleine für diesen kleinen Augenblick war er froh, dass er noch lebte. Diesen Wimpernschlag lang, war alles in Ordnung. Kakashi bildete sich fast ein, dass alles wie früher war und dieser Sensenmann, über den er eben noch gelacht hatte, nicht in zwei Tagen vor seiner Tür stehen würde, um ihn ein für alle Mal endgültig und gnadenlos von dieser Welt wegzureißen. Erst das erneute Klopfen an der Glasscheibe ihres Zimmers brachte ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. "Ich weiß, dass ihr keine Lust mehr habt, mit uns zu reden, aber wir müssen noch die Medikamente klären und mit wem ihr alles in den letzten Tagen Kontakt hattet." Und dann wurde ihnen wieder klar, dass sie gerade keine alberne Komödie lasen, sondern sie selbst die Hauptrollen in einer Tragödie spielen, für die sie sich nie beworben hatten.

Kakashi, stirb mit mir.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt