Vor einer Woche
„Sam! Wenn du jetzt nicht aufstehst kommst du zu spät zur Schule!!!"
Ich verdrehe meine Augen... Jeden morgen das selbe Spiel. Ich schalte meinen Wecker aus, drehe mich noch einmal fünf Minuten um und schon steht meine Oma in der Tür damit ich endlich aufstehe. Dazu muss man aber sagen, meine fünf Minuten sind eher so 20 Minuten. Es nutzt trotzdem nichts, ich muss aufstehen ob ich will oder nicht. Also quäle ich mich langsam aus dem Bett und trotte ins Bad. Als ich mich im Spiegel betrachte erschrecke ich mich fast vor mir selber... Ich bin extrem blass und habe tiefe Augenringe. Ich war gestern bei meiner Mutter und konnte diese Nacht mal wieder nicht schlafen. Ich klatsche mir ein wenig Wasser ins Gesicht, tusche meine Wimpern und hoffe das sich meine Augenringe im Laufe des Tages in Luft auflösen. Danach gehe ich zurück in mein Zimmer und setze mich auf mein Bett, welches meine Oma in der zwischen Zeit ordentlich gemacht und aufgeschüttelt hat. Ich greife nach meinem Handy. Die zehn neuen Nachrichten aus unserer Klassengruppe ignoriere ich gekonnt. Ich schreibe meiner besten Freundin guten Morgen und schaue nach dem Wetter. Nur 13 Grad heute. Ich entscheide mich für eine hellblaue Jeans, einen dünnen Pulli und eine Strickjacke. Dann begebe ich mich langsam in die Küche wo meine Oma schon das Frühstück auf den Tisch gestellt hat. Ich packe mir ein wenig für die Schule ein und nehme ein Croissant auf der Hand mit. Im Flur ziehe ich mir meine Schuhe an, schnappe mir meine Schlüssel und meine Tasche und mache mich auf den Weg zur Schule. Im Rausgehen verabschiede ich mich noch kurz lautstark von meiner Oma bevor ich die Tür zu unserer Wohnung hinter mir zu ziehe. Auf dem Weg zur Schule treffe ich meine beste Freundin Melanie. Wie immer gehen wir da letzte Stück zusammen. Auf dem Schulhof angekommen sehen wir eine riesige Menschenmasse mitten auf dem Parkplatz stehen. Da Melanie und ich uns herzlich wenig dafür interessieren was dort los ist, bahnen wir uns ohne diese Masse an Schülern großartig zu beachten uns unseren Weg ins Schulgebäude, welches wir gerade so mit dem Klingeln betreten. Wir gehen noch zusammen zu unseren Schließfächern, doch hier trennen uns unsere Wege leider, denn Melanie hat im Westflügel und ich im Nordflügel Unterricht.
„Treffen wir uns in der Freistunde in der Kantine?"
Kurz überlege ich ob ich nichts zu erledigen habe, doch dann sage ich zu.
„Ich muss kurz in die Bibliothek, aber ich komme von da aus direkt in die Kantine. Du kannst uns ja in der Zwischenzeit einen Fensterplatz sichern."
„Mache ich. Bis später Sam."
„Tschau M."
Mit den Gedanken wieder bei meiner Mutter gehe ich zu meinem Mathekurs. Trotzdem entgeht mir nicht, dass sich die Menschenmasse mittlerweile in den dafür viel zu engen Gang vor meinem Klassenraum verlegt hat. Ich mache mir nicht viel aus so etwas und mir ist es deswegen auch egal was hier scheinbar so spannend ist. Ich drängele mich einfach durch die Leute hindurch. Plötzlich macht ein Junge etwas weiter vor mir einen Schritt zurück, weswegen ich direkt in ihn hinein laufe. Zum Glück bin ich nicht schnell unterwegs gewesen und es war nur ein leichtes Zusammenstoßen. Der Junge scheint es nicht zu merken und da er mir immer noch meinen Weg versperrt schiebe ich ihn beherzt zur Seite und gehe weiter.
„Augen auf wo du lang läufst little Girl!"
Meint er mich? Ich widerstehe dem Drang mich umzudrehen und betrete den Klassenraum. Ich lasse mich auf einen Platz in der ersten Reihe fallen und warte auf unseren Lehrer Mister Squirrel. Er heißt nicht wirklich Mister Squirrel aber da man ihn die ganze Zeit Nüsse essen sieht, haben Melanie und ich ihn so getauft. Wie aufs Stichwort betritt er in diesem Moment den Raum. Er legt seine Tasche aufs Pult und kramt in einigen Unterlagen. Neben ihm steht der Junge aus dem Flur und ich sehe nun zum ersten Mal sein Gesicht. Vorhin habe ich ja nur seien Rücken anschauen können. Er scheint neu zu sein,was die Menschenmasse vorhin um ihn herum erklären würde. Ich habe ihn noch nie zuvor in der Schule bemerkt. Mister Squirrel gibt ihm einige Unterlagen und der Junge lässt sich kurz darauf auf dem freien Platz neben mir nieder. Der Unterricht beginnt und das allgemeine Tuscheln wird weniger und dennoch ist es mehr als sonst. Das liegt aber wahrscheinlich an dem neuen Jungen, welcher übrigens entgegen seines äußeren Images fleißig mit schreibt. Ich weiß diese Einschätzung ist sehr oberflächlich, aber das ist halt mein erster Eindruck von ihm. Er sieht aus wie ein typischer Draufgänger. Irgendwie heiß aber vor allem geheimnisvoll und auch ein wenig gefährlich. Ich weiß nicht viel über solche Jungs, da ich mich in der Regel von ihnen fern halte, aber mir ist nie aufgefallen, dass sie im Unterricht mitarbeiten. Nach der Einstiegs-Monolog-Phase von Mister Squirrel beginnt er zum letzten Thema wahllos Leute dran zu nehmen die dann eine Aufgabe vorrechnen müssen. Das macht er jede Stunde, um zu sehen ob wir das Thema der letzten Stunde verstanden haben.
„Jake."
Wer ist Jake? Ich schaue durch die Klasse und sehe, dass sich der Neue von seinem Platz aus zur Tafel bewegt.
„...Und dann zieht man am Ende noch die Wurzel und erhält somit x."
„Sehr gut Jake. Du darfst dich wieder setzten."
Gegen Ende des Unterrichts landet plötzlich ein Zettel auf meinem Tisch. Ich schaue nach rechts und sehe direkt in seine grünen Augen in denen man sich verlieren könnte. Wie gesagt man könnte es, wenn sie nicht so gefährlich funkeln würden. Solche Typen wie ihn gibt es an meiner Schule in jedem Jahrgang. Sie denken sie wären etwas besseres weil Papi und Mami mit dem Geldbündel hinter ihnen stehen und ihnen alles in den Arsch geschoben wird. Sie denken sie könnten sich alles erlauben und jede haben, aber nicht mit mir. Melanie und ich haben uns geschworen uns von solchen Jungs fern zu halten um unnötigen Herzschmerz zu vermeiden. Als es klingelt stehe ich also auf packe meine Sachen zusammen und verlasse den Raum. Den Zettel von Jake lasse ich dabei absichtlich auf meinem Tisch liegen. Ich mache mich auf den Weg in die Bibliothek. Ich versuche mich zu beeilen um Melanie nicht allzu lange warten zu lassen. Zuerst steuer ich auf die Geschichtsbücher zu. Ich brauche ein interessantes Thema für meinen Vortrag zur deutschen Geschichte nächste Woche. Mal sehen... Römer und Germanen, Varusschlacht, erster Weltkrieg... Ich entscheide mich für die Varusschlacht, ich habe zwar noch nie von ihr gehört, aber sie klingt interessant. Mit dem Buch auf dem Arm begebe ich mich in die Krimi Abteilung. Diesmal suche ich kein Buch für den Unterricht, sondern für mich selber. Ich liebe Krimis und könnte mich stundenlang in ihnen verlieren. Ich ziehe ein Buch mit dem Titel „Mission New York" hervor. Ich beginne den Klappentext auf der Rückseite zu lesen, als ich plötzlich aus meinen Gedanken gerissen werde.
„Du hast was vergessen little Girl."
Jake steht mit dem Zettel in der Hand vor mir. Als ich nicht reagiere sondern ihn weiter anstarre lässt er den Zettel mit einer schnellen Handbewegung in meiner Tasche verschwinden. Ich widme mich wieder dem Buch und versuche Jake auszublenden.
„Du stehst also auf Krimis? Interessant, man könnte sagen ich irgendwie auch. Was magst du sonst noch so little Girl?"
„Ich mag es in Ruhe gelassen zu werden!"
Mit diesen Worten lasse ich ihn einfach stehen und gehe nach vorne. Miss Harper, die Bibliothekarin, scannt meinen Schülerausweis und die beiden Bücher ein und gibt mir alles zurück. Danach mache ich mich so schnell wie möglich auf den Weg in die Kantine. Ich will gerade die Kantine betreten als ich von einem starken Griff gepackt werde und am Arm zurück gezogen und gegen die Wand gedrückt werde.
„Das war nicht nett little Girl... Mich einfach stehen zu lassen, das gehört sich nicht. Weißt du eigentlich wen du vor dir hast?"
„Nein und es ist mir auch egal. Wenn du das nicht beim Direktor klären willst würde ich sagen du lässt mich jetzt gehen."
Ich schüttel seinen nun nur noch leichten Griff an meiner Schulter ab und betrete die Kantine. Mit den Augen suche ich nach Melanie. Nachdem ich sie gefunden habe setzte ich mich ihr gegenüber an den Tisch.
„M... Du wirst mir nicht glauben was eben passiert ist!"
„Der neue will irgendetwas von dir?!"
„Wo... Woher weißt du das?"
„Ich habe gesehen wie er dir hinterher gegangen ist als du zur Bibliothek gegangen bist und wie er dich dabei fokussiert hat."
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Little Girl
Teen FictionWenn man entführt wird, versucht man instinktiv zu fliehen, das liegt in der Natur des Menschen. Doch ganz so einfach ist es für Sam nicht. Aus irgendeinem Grund drängt ihre Neugierde und ihr Drang zu helfen und zu verstehen den Drang zur Flucht in...