Kapitel 9

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Die nächsten Stunden kämpfe ich als weiter, der Frust, dass ich die gesamte Zeit verliere, kränkt meinen Stolz. Natürlich fange ich erst jetzt so richtig an und bin verletzt, aber ich habe schon vor einigen Jahren mit dem Training angefangen. Noch immer lässt mich der Gedanke, dass ich das Supersoldatenserum nehme nicht los. Es würde alles um so viel vereinfachen, aber ich weiß nicht, was die Nebenwirkungen sind. Das Risiko ist groß, dass etwas schlimmes passieren könnte. Bin ich wirklich bereit, alles zu riskieren? Ich möchte einfach nie wieder dieses Gefühl, der absoluten Hilfslosigkeit verspüren. Diese Angst, die einen von innen heraus auffrisst, einen verschlingt und man nichts dagegen machen kann. Bei den Dunkelelfen, hinter den Auto, habe ich mich verloren gefühlt, mir war klar, dass ich sterben würde. Und jetzt lebe ich noch, aber sie auch noch. Die ganze Sache ist noch nicht abgeschlossen.

Bucky_ Du musst dich konzentrieren.

Ich_ Ich weiß, ich gebe doch schon mein bestes.

Bucky_ Nein, du denkst an irgendetwas anderes.

Verlegen schaue ich runter, zu meinen Füßen. Ich weiß, dass er recht hat. Ich gebe keine einhundert Prozent und das sieht man auch. Meine Hände zittern schon eine weile und mein Körper gibt langsam den Geist auf. Diese Stunden waren zu anstrengend für den Anfang. Ich verspüre das Bedürfnis mich jemandem anzuvertrauen, aber ich kenne niemanden gut genug. Wenn ich Clint etwas von meinen Ängsten und Zweifeln beichte, dann werde ich niemals zu ihnen gehören und ich wünsche mir im Moment nichts sehnlicher als zu jemandem zu gehören, der mich versteht. 

Bucky_ Was ist los?

Meine Augen sind glasig. Ich habe nicht bemerkt, dass ich kurz vorm heulen bin. Sanftheit kennt Bucky eigentlich nicht wirklich, zumindest zeigt er es nicht wirklich oft, dass er einfühlsam ist. Jetzt jedoch legt er seine Hand auf meine Schulter und schaut mir in die Augen. Dieser intensive Blick ist zum dahinschmelzen. Ich liebe ihn, dass wird mir immer stärker bewusst. Ob er dasselbe auch für mich empfindet, weiß ich nicht.
Ich fühle mich echt dazu hingezogen, dass ich ihm alles erzähle. All meine Sorgen und alles was mich die gesamte Zeit bedrückt. 

Bucky_ Wenn du willst, dann kannst du mit mir reden, wenn nicht, dann ist es auch in Ordnung.

Ich_ Es ist einfach so viel passiert. Innerhalb von ein paar Tagen ist meine Mum gestorben, ich habe meinen Vater gefunden, wäre beinahe gestorben und das mehrmals. Ich dachte wirklich, dass ich das einfach so überstehen kann, aber es ist doch schwieriger als ich dachte.

Bucky_ Wenn dir das alles zu schnell geht, dann musst du das nur sagen. Wir können auch in ein paar Wochen noch trainieren oder gar nicht.

Ich_ Nein, dass hier hilft mir eher, dass alles zu verarbeiten. Ich unterdrücke immer alles und der Sport trägt dazu bei, dass ich mit all dem klar komme. 

Bucky_ Trotzdem glaube ich, dass es genug für heute war. Morgen machen wir weiter.

Ich_ Bucky.

Bucky_ Ja.

Ich_ Danke.

Bucky_ Wofür?

Ich_ Dafür, dass du mir hilfts und mich schon öfter gerettet hast.

Bucky_ Das ist mein Job.

Er hat es zwar bestimmt nicht so gemeint, aber dieser Satz hat ganz schön wehgetan. Ich dachte, dass ich etwas besonderes wäre und nicht nur irgendein Auftrag. Das war klar und deutlich. Er empfindet nicht dasselbe für mich, sonst hätte er gesagt, dass er das alles liebend gerne gemacht hat oder dass er sich nichts schöneres vorstellen könnte, als mit mir Zeit zu verbringen. Jetzt steht es fest, ich bin eine hoffnungslose Romantikerin und er steht nicht auf mich. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen, was mich schwer schlucken lässt. 
Damit es für mich nicht noch unangenehmer wird, gehe ich schnellen Schrittes auf den Aufzug zu und fahre in das Stockwerk, in dem auch mein Zimmer liegt. Bucky nimmt den nächsten. Mein könnte meinen, dass ich beinahe gerannt bin, damit ich nicht mit ihm in einem kleinen Raum alleine bin. Es soll für mich einfach nicht noch schmerzhafter werden. 
In meinem Zimmer gehe ich duschen und ziehe mir schon wieder Schlafsachen an. Es ist schon ziemlich spät geworden, was mich etwas erstaunt. Nach meinem Gefühl sind wir doch eben erst losgelaufen, um zu trainieren. Die Stunden vergingen wie im Flug und waren wirklich schön. Seine Muskeln zu sehen, seinen Körper an meinem zu spüren und seine ganze Aufmerksamkeit zu bekommen ist wirklich schön. Seine strahlend blauen Augen, die glänzen, wenn das Licht auf sie scheint. Sein lächeln, wenn er mich erneut auf die Matte legt, weil er was das angeht, noch immer ein Kind ist. Seine Hände, sie mich berühren, damit er mir die richtige Position zeigen kann. Ich habe natürlich auch viel gelernt, aber Bucky stand bei mir, die ganze Zeit im Mittelpunkt. Noch jetzt spukt er in meinen Gedanken umher und verleiht mir ein wohliges Gefühl. In meinem Bauch macht sich eine angenehme Wärme breit, nur bei dem Gedanken an ihn. Plötzlich klopft es an der Tür und ich werde wieder in die Realität gerissen.

Ich_ Komm rein.

Clint_ Du hast heute Abend noch nichts gegessen, deswegen dachte ich mir, dass du vielleicht etwas Hunger hast.

Ich_ Ja, ich sterbe vor Hunger. Danke.

Clint_ Wie war das Training?

Ich_ Ganz gut, ich habe viel lernen können.

Clint_ Du weißt, dass ich nicht sonderlich begeistert davon bin, dass du mit uns kämpfen möchtest, aber verstehe das bitte nicht falsch. Da bist meine Tochter, von der ich lange Zeit, nicht mal wusste, dass sie existiert. Jetzt möchte ich einfach nur, dass du dein Leben für etwas riskierst, wofür du noch nicht bereit bist. Ich möchte dich kennenlernen, mit dir Zeit verbringen, sodass wir irgendwann, ganz normal, wie Vater und Tochter miteinander reden können.

Ich_ Das möchte ich doch auch. Aber ich möchte auch den Menschen helfen, wie du es machst. Mum war in Kriegen und hat Menschen beschützt, du rettest auch tausende, da möchte ich nicht aus dem Raster fallen.

Clint_ Du machst das aber doch nicht nur deswegen oder?

Ich_ Nein, natürlich nicht. Mum war immer mein Vorbild, ich wollte immer so sein wie sie. Jetzt, da habe ich die Chance anderen zu helfen, da möchte ich sie auch ergreifen. 

Wir setzen uns gemeinsam aufs Bett, er reicht mir den Teller mit essen. Wir unterhalten uns noch eine Weile, bis ich anfange zu gähnen. Er merkt, dass ich absolut müde bin, weswegen er beschließt, dass Zimmer zu verlassen. Davor aber umarmt er mich noch und sagt, dass er wirklich stolz auf uns ist. Man kann sich nicht vorstellen, wie glücklich es mich macht, diese Worte aus seinem Mund zu hören. Es stimmt, ich komme ihm immer näher, was mich erfreut. Ich bin mir sicher, dass wir schon bald, diese normale Vater- Tochter Beziehung haben werden. Obwohl man hier nicht wirklich über Normalität sprechen kann. Es ist nämlich absolut nichts normal. Weder das Gebäude, noch die Leute, die darin wohnen oder die, die angreifen. Scheinbar bin ich auch nicht ganz normal, also passt es doch eigentlich perfekt. Da stellt sich mir nur die Frage, was ist normal? Wer darf darüber entscheiden, was normal ist? Ist es, was die meisten Leute dort draußen vorgaukeln zu sein, aber nicht sind? Es stimmt schon, dass jeder sein eigenes Säckchen zu tragen hat, was aus jedem etwas besonderes macht, also warum sollte man normal sein wollen. Thor ist alles andere als gewöhnlich und ist auch stolz darauf, also warum sind es einige nicht auch? Es gibt keinen Grund, warum man anderen Leuten, die eigene Persönlichkeit vorenthalten sollte. All das wird mir erst jetzt so wirklich klar. Früher habe ich mir ein Leben gewünscht, dass nicht besonders ist. Eine glückliche Familie, die in einem schönen Vorstadthaus lebt und genügend Geld hat, um zu überleben, aber nicht zu reich ist. Jetzt ist alles anders gekommen und ich finde es schön. Alles hat natürlich sein für und wieder, aber solange man sich wohl fühlt, ist es doch in Ordnung oder liege ich dabei falsch? 

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