Kapitel fünfzehn - ein leerer Raum für Zwei

113 8 20
                                    

Jungkook

Mir zitterten die Beine. So sehr, dass ich keinen einzigen Schritt tun konnte. Ich wusste im Publikum würde meine Mutter sitzen. Und meine Geschwister und mein Stiefvater, der sich nur wegen meiner Mutter hierher bewegt hatte und sehen wollte „wie ich versagte". Aber ich hatte nicht vor zu versagen. Ich wollte Gewinnen. Aber meine Beine wollten nicht wirklich. „Jungkook?", hörte ich Jimins Stimme und atmete erleichtert aus. Jimin würde mir bestimmt das Lampenfieber nehmen können. „J-ja?", antwortete ich und meine Stimme klang dabei so gebrechlich und zittrig, wie ich mich fühlte.

„Gott sei Dank", atmete mein Tanzpartner auf und klopfte vorsichtig gegen die Toilettentür. „Lässt du mich rein? Ich habe dich überall gesucht." Nur ganz zittrig konnte ich den Knopf umdrehen, sodass Jimin eintreten konnte. Wir waren schon beide Umgezogen und geschminkt. Der Anblick von Jimin in einem Tutu dieser Sorte was noch immer ein bisschen befremdlich. Beim Üben hatte er zwar auch eines getragen, aber dort tatsächlich eines ohne großen Schnickschnack, also nur zum Üben. Das hier war prunkvoll und stand im großen Kontrast zur Toilette. Hier gehörte dieses Kleid nicht hin, das gehörte auf eine Bühne.

„Ist es so schlimm?", fragte Jimin sanft und zog mich vorsichtig an seine Brust. Ich konnte nur nicken. „Es ist okay, ja? Wir rocken das Ding und du kannst ja deine Augen schließen, wenn du magst. Wir kennen unsere Schritte", versuchte er mich aufzumuntern und tatsächlich zeigte es Wirkung. Seine Nähe zu spüren und seine Worte zu hören, begann meinen Körper wieder zu beruhigen. „Und wenn wir nicht gewinnen?", fragte ich vorsichtig. „Dann ist das so." Jimin zuckte mit den Schultern und ich atmete tief aus. Es fühlte sich an als würde noch einmal eine Last von meinen Schultern genommen werden. Die Angst Jimin enttäuschen zu können. „Wir gewinnen nur für uns, vergessen?", fragte Jimin und drückte mich noch einmal fest.

„Und wenn wir nicht gewinnen, dann haben wir wenigstens Spaß." „Genau", stimmte Jimin zu und drückte mich nun sanft von sich. Er ließ mich nicht los, sondern schob mich nur so weit von sich, dass er mich anschauen konnte. „Wir schaffen das. Ich glaube an dich." Für einen Moment blieb mir der Atem weg. So hatte Jimin das noch nie zu mir gesagt. Es erfüllte mich mit Stolz und Mut. Ich würde da nun auf diese Bühne gehen, zusammen mit Jimin. Auch wenn ich nicht für die Bühne geschaffen war, Jimin war es. So wie er nicht dafür geschaffen war im Wald zu tanzen, dafür war ich es. Fast musste ich wieder kichern, als mir die Bilder in den Kopf kamen, als wir das ausprobiert hatten.

Sanft zog mich Jimin mit sich mit. Hoseok kam uns entgegengelaufen. Er war es der für uns alle hier sorgte und die CD für unsere Tanzschule gebrannt hatte. Jimin und ich bildeten den Schlusstanz des ganzen Wettbewerbs. „Gut, dass ihr kommt", meinte er und lächelte uns zu. Sorge blitzte in seinen Augen und ich erinnerte mich daran, dass er noch nicht wusste, dass Jimin und ich uns vertragen hatten. „Ich wollte noch vorher ein kurzes Wort mit euch wechseln. Jungkook weißt du wie das Lied heißt, zu dem ihr tanzt?", fragte er und ich schüttelte den Kopf. Ich wusste ja nicht mal, wie die ganze CD meiner Mutter hieß. Hoseok nickte, dann lächelte er. „Ich war sehr überrascht als ich las, wie der Interpret hieß und habe daraufhin bei deiner Mutter einmal nachgefragt. Dein Vater hat diese Lieder geschrieben und dass zu dem ihr nun tanzt, heißt: Voller, leerer Raum."

Ich spürte, wie ich große Augen bekam. Mein Vater hatte diese Lieder geschrieben? Voller, leerer Raum? Ich wusste nicht wie lange ich paralysiert hier stand, aber irgendwann zupfte mich Jimin am Ärmel. Ich fühlte mich meinem Vater wie noch nie verbunden, als ich auf die Bühne trat und meine Position einnahm. Ja, Jimin und ich waren wie ein voller, leerer Raum. Aber ich teilte meinen leeren Raum gerne mit ihm, erfühlte meinen Tanz mit dem seinem. Er war ein Gast, der mir willkommen war. Ich konnte die Stille hören, die Ansage zu unserem Tanz. Einen Moment schaute ich zu Jimin herüber. Er lächelte. Wir hatten jetzt eine kleine Geschichte zu erzählen. Eine von Druck und leeren Räumen. Von Wut und Ängsten.

Der Vorhang rauschte, die Stille war ohrenbetäubend und ich schloss meine Augen. Später würde ich sie wieder für die Hebefiguren öffnen müssen, doch bis dahin konnte ich mir meinen Wald hierher denken. Meinen leeren Raum, den ich mit Jimin teilte. Die Musik setzte ein und ich wirbelte über die Bühne. Ich fühlte mich frei. Frei mit Jimin. Meine Schritte saßen und ich hatte das Gefühl zu schweben. Ich konnte Jimin spüren, tanzte im Einklang mit ihm, obwohl er ganz klassisches Ballett tanzte und ich einen Misch. Ich fühlte mich, als würde ich Jimin über die ganze Bühne fliegen lassen können und hin und wieder begegnete ich seinem Blick. Wir tanzten mit Leidenschaft, mit dem was uns ausmachte. Mit der Unsicherheit die wir zusammen ablegten.

Schwer atmend ließen wir irgendwann unsere Choreoparts fallen. Wir tanzten ganz frei, ohne weitere Vorlage, weil wir keine mehr brauchten. Wir kannten das Lied, wir konnten den anderen in seinen Bewegungen lesen. Wir waren ein Team. Ich und Jimin stoppten mit den letzten Tönen. Ich hielt ihn im Arm und wusste nicht mal, ob ich oder er sich in die Position getanzt hatte. Vielleicht waren wir es auch einfach beide gewesen. Jimin war genauso verschwitzt wie ich, lächelte genauso breit wie ich und seine Augen leuchteten. Sie strahlten ein solches Glück aus das ich bisher noch nie bei ihm gesehen hatte. Ich wusste: Jimin hatte Spaß, so wie ich.

„Wir haben es geschafft", hauchte ich und Jimin nickte: „Ja, haben wir. Du warst fantastisch Kookie." Ich schüttelte sanft den Kopf. „Du warst auch fantastisch", widersprach ich. „Dann sind wir wohl beide fantastisch", murmelte Jimin noch, bevor er seine Hand plötzlich an meinem Nacken legte. Er zog mich nur ein kleines Stückchen zu sich, um seine Lippen auf meine zu legen. Und während ich genießerisch die Augen schloss, war es mir, wie Jimin vollkommen egal, dass wir auf einer Bühne standen und uns eigentlich bei dem gerade herrschenden Applaus verbeugen müssten. Denn wir wussten: Egal wie die Jury entschied, wir hatten gewonnen.

Ganz allein für uns.

Und so soll es sein.

Nur so. 














Ende

Hold me right - JikookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt