Eine nützliche Lehre

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Johanna wurde aus der Trance gerissen, als ihre Hand losgelassen wurde. Sie blickte auf und sah, wie Philipp sie schwach anlächelte. „Du bist auch eine, die beim Lesen alles um sich vergisst", stellte er fest und Johanna zuckte mit den Achseln.

„Und du bist ein kurzer, aber intensiver Schläfer. Sind gerade mal zwei Stunden vergangen", murmelte sie und schloss die Akte, bevor sie das I-Pad in den Stand-By-Modus versetzte.

„Neue Erkenntnisse?", fragte Philipp neugierig und Johanna atmete tief durch.

„Philipp..."

„...Johanna", sagte dieser zurück und Johanna stopfte ihr I-Pad in die Tasche.

„Es scheint, als wäre dies alles eingefädelt worden, um ein Racheplan an unsere erfahrenen Kommissare durchzuführen. In deiner Wohnung wurde am Badezimmerspiegel eine Nachricht aus Blut hinterlassen. Eine Fallaktennummer. Es handelt sich um einen Fall kurz vor der Auflösung der K11 vor ein paar Jahren."

Johanna stoppte die Erklärung vorerst und wartete auf Philipps Reaktion. Dieser atmete tief durch, schluckte tief und schüttelte leicht mit dem Kopf.

„Ich war der Köder...?", schlussfolgerte er und Johanna nickte nur leicht.

„Und wenn du nicht gekommen wärst um mich abzuholen..."

„...ich bin's aber", funkte Johanna Philipp sofort ins Wort und nahm seine Hand. „Und du lebst. Das ist das was zählt..."

Philipp sagte nichts, sondern umfasste Johannas Hand und drückte leicht zu. Für eine kurze Zeit starrte er die Bettdecke an, bevor er sich wieder Johanna widmete.

„Um was für einen Fall handelt es sich...?"

Johanna schüttelte als Antwort mit dem Kopf, doch Philipps eisblaue Augen durchdrangen sie wie ein Laserstrahl.

„Joschi bitte...", flüsterte er und die Angesprochene unterdrückte ihre Überraschung über die Nennung ihres Spitznamens sofort.

Mit einem Seufzen nahm sie wieder ihr I-Pad hervor und öffnete die Fall Akte. Bevor sie das Gerät Philipp reichte, hielt sie inne.

„Versprich mir bitte, dass du ruhig bleibst!", sagte sie eindringlich und der Angesprochene nickte.

Ohne ein weiteres Wort, gab Johanna Philipp das Tablet.

Aufmerksam las er jede Zeile durch und kämpfte immer wieder durch sein medikamentenvernebeltes Gehirn an.

„...der mutmaßliche Täter, Jürgen Winzlow, schlug den Kriminaloberkommissaren Robert Ritter nieder, der in einer Klinik mit einer mittelschweren Gehirnerschütterung eingeliefert wurde. Durch die Bewusstlosigkeit von Ritter, war es Winzlow gelungen, die Flucht zu ergreifen. Dieser Fall wird als ungelöst eingestuft...", vollendete Philipp die Lesung und sperrte das I-Pad, dabei sah er Johannas hilflosen Blick im Augenwinkel.

„Ich bin ruhig...", atmete Philipp tief durch und gab das Gerät zurück, dass Johanna dann wieder verstaute.

„Michael hat vorhin angerufen...Robert ist auf dem Weg hierher...soll ich...?"

„...du denkst, ich bin sauer auf Robert?", fragte Philipp und sah Johanna an, nachdem er sich zurückgelehnt hatte und für einen kurzen Moment die Augen geschlossen hatte.

„Bist du's?", fragte Johanna zurück und Philipp schüttelte mit dem Kopf.

„Lektion 1 Frischling", begann er dann leise, „so etwas wird dir auch mal passieren. So was passiert jedem von uns. Dir ist sicherlich auch schon in der uniformierten Zeit ein Ladendieb entwischt und du hast dich genervt. Im Prinzip ist dies was Robert da erlebt hat, dasselbe...nur das eben noch ein Menschenleben daran hängt...und man sich noch mehr aufregt..."

Johanna sah kurz auf den Boden und musste dann dennoch zustimmend nicken. „Wir sind auch nur Menschen", flüsterte sie und Philipp sah sie an.

„Wir sind auch nur Menschen", stimmte er zu und verzog das Gesicht, bevor er eine Hand auf die angeschlagene Flanke legte.

„Geht's?" Johanna war sofort auf den Beinen und hatte eine Hand auf Philipps Schulter gelegt. „Ja...geht gleich wieder", ächzte dieser und Johanna blickte immer wieder auf die EKG-Maschine, ob sie ausschlug, doch der Herzschlag blieb einigermaßen stabil.

„Tief durchatmen, okay?" Philipp tat wie ihm empfohlen.

„Warum schlägt das EKG nicht aus", zischte er dann dennoch und sein Gesicht verzog sich immer mehr. Der ganze Körper begann zu zittern und seine Augen rissen sich weit auf.

„Philipp?" Johannas Stimme war gedehnt und die Sorge deutlich zu hören. Als sie dann jedoch den kalten Schweiß auf Philipps Haut spürte, klappte in ihr ein Schalter um. Denn sie kannte dies. Dieses eine bestimmte Gefühl, dass kein Gerät wirklich aufspüren konnte und sich doch wie das Sterben selbst anfühlte.

„Philipp, hast du gerade das Gefühl du musst wegrennen? Obwohl dir alles wehtut und du dich nicht bewegen kannst?"

Philipps weit aufgerissene Augen zeigten Angst und Furcht. Dennoch nickte er und umfasste sofort Johannas Arme.

„Okay, Philipp sieh mir in die Augen und weich nicht davon weg!", befahl Johanna beinahe forsch für ihren Umgangston, was Philipp aber dazu bewegte, sofort zu handeln.

„Philipp, du hast gerade eine Panikattacke. Das ist ganz normal für jemanden, der so was durchgemacht hat wie du. Du hast mir schon gezeigt, dass du Nähe brauchst, das ist sehr gut. Und nun hörst du mir genau zu: Du wirst nicht sterben. Ich weiß, dein Gehirn sagt dir das gerade und dein Herz zerspringt beinahe vor Furcht, aber das stimmt nicht. Du bist hier in Sicherheit. Ich bin hier, Rudi ist draußen und Robert wird auch gleich kommen. Michael, Alex, Dani sorgen auch dafür, dass dir das nie mehr geschieht! Okay?"

Johanna sah auf, als die Türe aufging und Doktor Schneider hineinkam.

„Er hat gerade eine Panikattacke", erklärte Johanna und Schneider sah sie erstaunt an. „Lange Geschichte", murmelte sie nur als Antwort und als ein Pfleger noch dazukam, bat Schneider, Johanna draußen zu warten. Diese nickte verstanden und ging aus dem Raum, wo Rudi sie anblickte, nachdem sie tief durchgeatmet und ihr Gesicht massiert hatte. Der erfahrene, bullige, uniformierte Polizist räusperte sich kurz und als Johanna ihn ansah, nickte er hinter sie.

Verdutzt, drehte sich Johanna um und sah jemandem am Boden sitzen. Die Arme auf den angewinkelten Knie gebettet und das Gesicht im Schatten versteckt.

Doch sie kannte die Statur, den Körperbau und das leichte Schluchzen gehörte auch zu einer Stimme, die sie nun in ihrer Schulungszeit mehr als nur zu gut kennengelernt hatte.

Ohne ein Wort zu sagen, ging sie auf die Person zu, kniete sich neben sie und legte eine Hand auf den einen Arm.

„Die Bösen machen wirklich nie Urlaub, was?", sagte sie sanft und lächelte traurig, als Robert Ritter sie mit tränenerfüllten Augen ansah. 

K11 - Die Jagd ist eröffnet // German fanfiction //Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt