Eleven • Kairosclerosis

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Letztendlich hatte sich herausgestellt, dass Hyunjin mich in Zukunft weiterhin beim Tanzen dabei haben wollte. Das große Gespräch, das er angekündigt hatte, war nichts weiter als eine Einladung gewesen, zwar mit einem Strauch Margeriten verziert, welche in blassrosa Papier eingewickelt worden waren, doch ich hatte trotzdem aus einer gutmütigen Fliege einen Elefanten gemacht.

Nachdem ich Hyunjin zugestimmt hatte und nun offiziell zweimal die Woche mit ihm und Minho tanzen gehen durfte, waren wir auch direkt zum Training gegangen. Keine Worte der Welt würden beschreiben können, was für eine Achterbahnfahrt an Gefühlen diese eineinhalb Stunden gewesen waren. Nicht nur hatte mein Schwarm mir durchgängig süße Komplimente gegeben, auch Minho war darauf versessen, die ganze Zeit über mit mir zu flirten. Dadurch hatte Hyunjin immer wieder verächtlich geschnaubt oder seine Augen verdreht, bis ihm schließlich in der Pause der Geduldsfaden gerissen war.

"Es reicht", hatte er gefaucht. "Du hast gestern erst Jisung ausgeführt und beschlossen, ihn daten zu wollen, also hör auf, dich an jeden Jungen ranzuschmeißen. Bloß, weil er gut aussieht und heiß ist, bedeutet das nicht, dass er dich genauso attraktiv findet und mit dir ins Bett steigen will. Konzentrier dich endlich mal auf eine einzige Person!"

Ich war sprachlos gewesen. Irgendwie war diese Reaktion verdammt süß, auch wenn mir klar war, dass Hyunjin in dem Moment wirklich sauer gewesen war. Aber das änderte nichts daran, dass er auf diese Weise mein Herz erwärmt hatte. Statt dass er mich auf diese Weise verschreckt oder gar eingeschüchtert hatte, wollte ich noch viel eher in seiner Nähe sein. Von Hyunjin beschützt zu werden fühlte sich großartig an. Ich konnte mir kein schöneres Gefühl vorstellen.

Nach dem Tanzen hatte sich Minho von uns verabschiedet. Wenngleich sein bester Freund ihn ganz schön angefahren hatte, schien es ihm wohl nichts auszumachen. Seltsamerweise hatte er uns sogar noch viel Spaß bei unserem gemeinsamen Abend gewünscht. Ja, vielleicht mochte ich kein Meister darin sein, die Intentionen einer Person richtig zu verstehen, aber ich war fest davon überzeugt, dass keine Ironie in seinen Worten gesteckt hatte. Minho hatte uns viel Spaß gewünscht, mit reinem Herzen und einer ehrlichen Zunge. Selbst Hyunjin hatte für einen Augenblick verwundert gewirkt, ehe er mich mit sich gezogen hatte, sich lediglich beim Weggehen verabschiedend.

Und inzwischen saßen wir beide in einem niedlichen Restaurant direkt am Fluss.

Ich musste gestehen, ich war kein Fan davon, essen zu gehen. Irgendetwas daran hatte ich stets komisch gefunden und auch die Besessenheit anderer Leute, Restaurants für Dates zu verwenden, hatte ich einfach nicht richtig nachvollziehen können. Doch jetzt, als ich mich selbst in dieser Situation befand und meinem Schwarm gegenüber saß, empfand ich es tatsächlich als sehr romantisch. Na ja, romantisch oder schrecklich beängstigend, je nachdem, wie man wohl meinen rasenden Herzschlag interpretierte. Ob ich bereits im Himmel angekommen war? So aussehen tat es, es war ein traditionell koreanisches Restaurant, mit wirklich qualitativer Dekorationen und vielen bunten Lichtern, die eine sanfte Stimmung initiierten. Sie strahlte Ruhe und Geborgenheit aus. Dad perfekte Ambiente für ein Date.

"Tut mir nochmal leid wegen Minho. Er ist wirklich ein Idiot manchmal. Dabei wollte ich nicht, dass du dich unwohl fühlst, wenn du mit uns tanzt." Hyunjins Seufzen zog mich aus meinen Gedanken und ich hob meinen Kopf. Vor lauter Aufregung und Verlegenheit hatte ich mich flüchtend hinter der Speisekarte versteckt. Die Stille zwischen uns beiden war zwar nicht unbedingt unangenehm, jedoch wollte ich über so viele Dinge mit ihm reden - das erklärte wahrscheinlich auch mein Herzklopfen. Allein die Vorstellung davon, ihm all meine Gedanken und Gefühle mitzuteilen, glich einem Traum. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass er tatsächlich wahr wurde.

"Nein, das tue ich nicht, keine Angst. Ich hab damit kein Problem, seit ich mit Jisung geredet hab. Er weiß, dass ich nichts dafür kann und nichts von Minho will, also ist er mir nicht böse. Und er hat mir versichert, dass er absolut nicht eifersüchtig ist und es einfach auf eigene Faust probieren möchte." Sanft lächelte ich Hyunjin an, allerdings verzog sich seine Miene zu einer grimmigen Grimasse, während ich sprach.

"Aber mich stört es", grummelte er dann. Direkt weitete ich leicht meine Augen, musste dann aber kurzerhand leise anfangen zu kichern. Das war so niedlich. Wieso fand ich es so toll, wenn er so besitzergreifend wurde? Hyunjin stellte einen Anspruch auf mich, nicht in einem besessenen Weg, sondern lediglich auf einer schützenden Art. Es fühlte sich gut, gesund an. Vielleicht sollte ich so nicht denken, aber ich konnte es nicht steuern. Sein eifersüchtiges Verhalten erfüllte meine Brust eben mit Wärme.

Ja… stimmt… Eifersucht, das war es. Das war der Grund für sein Schmollen. Und es war einfach viel zu süß.

"Dabei weißt du doch, dass ich nur Augen für dich habe", erwiderte ich sofort. Zum ersten Mal wagte ich es, offen zu meinen Gefühlen zu stehen, ohne es direkt zu bereuen oder rot anzulaufen. Meine Wangen brannten zwar, doch dieses Feuer war nicht gerade erst entzündet worden. Es brannte schon so viel länger, fraß sich durch meinen Körper und hinterließ nichts anderes außer Liebe. Reine Liebe, pure Liebe, warme Liebe - selbst das schönste Bild der Welt würde nicht annähernd zeigen können, wie wunderschön sie war.

Die Kellnerin brachte uns unsere Getränke und nahm unsere Bestellungen auf. Brav antwortete ich ihr, doch kaum drehte sie sich weg, ruhten meine Augen wieder auf Hyunjin. Allein ihn anzuschauen löste so viel Zufriedenheit in mir aus. Den verträumten Blick würde ich nie wieder verstecken können.
Allerdings wirkte Hyunjin ebenfalls sehr zufrieden. Er legte seine große Hand auf die meine, die friedlich auf dem Tisch geruht hatte. Ein Kribbeln durchzuckte mich wie ein Blitz. Dieser Junge war mein Lieblingssturm, das faszinierende Gewitter, dem ich stundenlang zuschauen könnte.

"Deswegen habe ich dich eingeladen, Felix. Mir geht es nicht anders. Ich habe mich in dich verliebt."

Ich verschluckte mich an meinem Kaffee, als er das sagte. Hustend schnappte ich mir ein Taschentuch, um mich rasch zu putzen, starrte ihn nebenbei in purem Schock an. Wie konnte er es wagen, das zu sagen, während ich gerade etwas trank?! Nicht nur war das unglaublich klischeehaft, sondern auch grässlich gemein! Hyunjin fing dadurch an zu lachen, er lachte mich aus, dieser böse Teufel! Wieso musste er mich direkt so blamieren?

"Hättest du nicht abwarten können?", jammerte ich verzweifelt. Ehrlich gesagt raffte weder mein Gehirn, noch mein Herz, dass er das gerade wirklich gesagt hatte. Es klang viel zu surreal, zu perfekt, um wahr zu sein.

Hwang Hyunjin, der Hwang Hyunjin liebte mich? War ich in irgendeinem schnulzigen Buch eingesperrt, ohne etwas davon zu wissen?

"Hm, doch, das war der beste Moment dafür", sagte Hyunjin scheinheilig lächelnd. Mittlerweile hatte er sich wieder beruhigt und strich sich nur noch eine Lachträne aus dem Auge, aber meine Wangen plusterte ich trotzdem noch auf. Ich wusste ja auch nicht, wie ich sonst reagieren sollte! Wie reagierte man auf so etwas!?

"Du bist doof!"

"Genau wegen solchen Reaktionen habe ich mich verliebt. Egal, ob wir miteinander geschrieben haben, du mir Bilder von deinen Outfits geschickt hast, ich deiner Stimme lauschen durfte, dir beim Tanzen zusehen konnte oder ich einfach nur deine Sommersprossen betrachte... jedes Mal verzauberst du mich aufs Neue. Du bist alles, was ich mir immer gewünscht habe. Und ich würde es wundervoll finden, mit dir zusammen herauszufinden, ob wir funktionieren", erklärte Hyunjin. Sogleich hörte ich auf zu schmollen und sah ihn mit großen Augen an, war absolut sprachlos.

In diesem Moment passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. All die Nervosität und Aufregung verschwand aus meinem Körper, zurück blieb bloß Wärme. Mein gesamter Körper stand nicht länger unter Strom, viel mehr fühlte ich einen inneren Frieden. Wärme, die mehr und mehr durch meine Knochen kroch, bis sie sich in meinem Herzen ansiedelte. Zum ersten Mal in meinem Leben benebelte nicht ein einziger, negativer Gedanke meinen Kopf. Alles, was mein Herz füllte, war Liebe.

Fühlte es sich so an, wenn man glücklich war?

Mein Lächeln wurde breiter, herzlicher, liebevoller. Hyunjin war mein Engel, mein Retter in der Not. Er war mein Sturm, der mein Leben auf den Kopf stellte und doch befand ich mich so nahe bei ihm, dass mich er nicht bedrohte. Ich stand im Auge des Hurrikans, umhüllt von einer Mauer aus Liebe. Nichts würde mich erreichen oder gar verletzen können.

Ja. Ich war glücklich.

"Ich möchte es versuchen, Hyunjin. Ja, ich will mit dir zusammen sein."

★★★

Kairosclerosis:
The moment you realize you are currently happy.

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