Geschichten und Zironenbonbons

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Ms. Darter führt mich durch die Wohnung hindurch zu einer Terasse die zu einem kleinen Garte ausgerichtet ist. Eine alte Frau sitzt dort mit dem Rücken zu mir auf einem bequem aussehenden Schaukelstuhl und wippt in einem ruhigen Takt vor sich hin.

Die Pflegerin bedeutet mir, auf die Alte zuzugehen und verschwindet dann wieder im Haus. Na toll, was jetzt? Ich kann ja nicht einfach mit <ich habe Ihren Bruder getötet> anfangen, zumal ich überdenken sollte, ob ich es Allison überhaupt sage nach der Warnung der Pflegerin. Unentschlossen trete ich um den Schaukelstuhl herum und - fahre vor Schreck kurz zusammen.

Mich mustern durch riesige Brillengläser vergrößerte, stahlgraue Augen sehr genau. Fast, als würden sie in mich hineinsehen können...

Der Mund der Alten verzieht sich zu einem erheiterten Grinsen.

"Aber, aber mein Sohn, so schaurig kann meine Erscheinung doch nicht sein, ich esse immer mein Gemüse!"

Ein erstauntes kleines Lachen entflieht mir und ich räuspere mich schnell.

"Mrs. Allison Fuller? Mein Name ist James Buchanan Barnes. Ich... mein... Vater kannte Ihren Bruder und... naja..."

Scheiße, mir fällt echt keine gute Erklärung ein, warum ich hier bin.

"Jajaja, ist ja gut, Söhnchen, niemanden interessiert wegen welch tragischer Hintergrundgeschichte du hier auftauchst. Was wirklich toll wäre, wenn du mir mal erzählen könntest, was du von Zitronenbonbons hälst. Ms. Darter sagt ja immer, ich esse zu viel von denen, aber die sind ja gesund, immerhin ist Zitrone drin! Könntest du ihr das vielleicht mal einbläuen? Ach und, bitte nenn mich Allison, dieser ganze Mrs. Fuller Quatsch hat sich mit dem Tod meines Mannes eigentlich erlegt."

Diese Frau ist wirklich ein einziges Wunder. Ich schüttle grinsend den Kopf und zwinkere ihr anschließend zu.

"Dann müsst du mir aber vorher eines zum Probieren geben, Allison!"

~~~

Nach einer ausführlichen Diskussion über die Nährwerte von Zitronenbonbons, einem Tee und einer noch ausführlichen Unterhaltung über den Wandel von Fußpflegestandarts seit den 1950ern (bei der ich verzweifelt zu kaschieren versuchte, wie gut ich mich tatsächlich mit dem Thema auskenne), sitzen Allison und ich nun ruhig jeweils auf einem Schaukelstuhl und bewundert den kleinen überwucherten Kräutergarten, der direkt vor uns liegt.
Nach einer Weile erhebt Allison das Wort und ihre Stimme klingt dabei... anders als zuvor, ernster.

"Ich habe meinen Bruder verloren als ich 20 war, meinen Zwillingsbruder Ricky."

Sie macht eine längere Pause während mein Herzschlag beschleunigt.

"Ich habe nie herausgefunden, was in jener Nacht wirklich passiert ist, aber das ist auch nicht mehr wichtig. Über all die Jahre verschwand die Frage nach dem Warum nach umd nach umd zurück bliebt nur der Wunsch, mehr Zeit mit ihm gehabt zu haben. Ihm richtig zuhören, wieder mit ihm zu spaßen, Streiche aushecken,... was ich damit sagen will Junge, ist, dass du den Tod nicht kontrollieren kannst. Er kommt ganz sicher, egal warum oder wann. Lass die Menschen die dir nahestehen wissen, wie wichtig sie sind."

Mit einem großen Kloß im Hals drehe ich mich zu Allison um, die mich mit großen grauen Augen ernst und irgendwie... wissend ansieht.

"Kindchen, ich merke doch, dass dich etwas bedrückt. Hast du so einen Menschen?"

Ich senke meinen Blick. Ja, zum ersten Mal seit einer sehr sehr langen Zeit habe ich jetzt einen Menschen, der mir so unglaublich viel bedeutet, so viel dass ich wirlich nicht sagen kann ob meine Bewunderung für ihn überhaupt Grenzen kennt.

"Er... heißt Sam." bringe ich schließlich über die Lippen.

"Mein lieber Junge, was machst du dann hier?"

"Ich... habe Angst. Nicht vor Zurückweisung oder sowas, ich habe Angst vor mir selbst."

Belustigt betrachtet Allison mich noch einmal von Kopf bis Fuß und sagt:

"James Bukarest Barnes, du bist ein guter Mensch und verdienst Liebe in deinem Leben, so wie jeder andere auch. Ich bin sicher, du wirst diesen Sam auf Händen tragen."

"Woher willst du das wissen, Allison? Du kennst mich gerade mal einen Nachmittag."

"Ach was, ich lebe ja nicht umsonst schon so lange. Mit der Zeit lernt man die Menschen einzuschätzen, und bei dir hat dafür hat ein Blick gereicht. Du willst nicht verletzten, du willst beschützen."

"Wollen und Tun sind nicht das gleiche."

"Wohl wahr. Und trotzdem hege ich keinerlei Zweifel daran, dass dein Geist und Herz stark genug sind, dein Wollen in Tat umzusetzten. Der Einzige, der dir nicht vertraut, bist du selbst"

~~~

Nachdem ich Allison versprochen habe, sie wieder zu besuchen, kehre ich aufgewühlt in die Wohnung zurück.
Nun laufe ich rastlos auf und ab. Hat Allison Recht? Bin ich wirklich schon bereit?

Einerseits liegen nun bereits Jahre hinter mir, in denen ich mich konstant versucht habe zu bessern. Ich bin endlich wieder an dem Punkt angekommen, dass ich Menschen vertrauen kann, mich ihnen öffnen.

Andererseits habe ich noch immer diese Alpträume, die mir meine größten Ängste immer wieder vorhalten. Doch werden sie jemals aufhören? Wenn Sam mir vertraut, sollte ich das dann auch tun?

Ich habe keine Chance, diesen Gedanken weiterzuführen, denn mein Handy schlägt plötzlich laut Alarm.

FUCK. Sams Nachricht ist kurz, fühlt sich aber an wie ein Schlag in den Magen.

Flagsmashers sind hier.

Winterfalcon - wie du mir; so ich dirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt