In der Stellenausschreibung hieß es, dass Amor dringend Aushilfskräfte benötigen würde. Gute Kenntnisse im Bogenschießen setze man voraus. Arbeits-Flügel würden gestellt. Es würden nicht nur Epheben genommen. Klasse, da ich mich beruflich ohnehin umorientieren wollte, ging ich zu der im Inserat angegebenen Adresse. 'Verzaubert' prangte in Goldbuchstaben auf dem Ladenschild. Gut so, dick auftragen.
Der Ladeninhaber musterte mich. "Schon mal Rundflüge gemacht?"
"Drachenfliegen und einmotorige Maschinen", gab ich zur Antwort.
"Flügel gibt es hinten." Er wies in den hinteren Ladenraum. "Such Dir was aus."
"Ist es nicht so, dass die Flügel einen aussuchen?"
"Ich verleih doch keine Zauberstäbe; das hier ist keine Magie. Mythos ist ungleich stärker. Bist Du sicher, dass Du Dich darauf einlassen willst?"
"Naivität ist meine Stärke. Gutgläubigkeit ist mein Credo."
"Gute Voraussetzungen für alles das, was mit Mythos zu tun hat."
"Eine rein technische Frage: Wenn ich völlig eigennützig die Pfeile verschießen würde und durch Zufall eine von mir angebetete Frau treffen würde – wäre das okay?"
"Macht Amor ständig. Wäre sonst schwierig, ihn bei der Stange zu halten. Das sind so Vergünstigungen."
"Mythos hat was", sagte ich anerkennend.
Er händigte mir Pfeile und Köcher aus. "Wie sieht es mit Deiner Treffgenauigkeit aus?" Auf der anderen Straßenseite stand eine schöne Frau. "Nur zu; diese Pfeile sind aus feinstofflichem Material; die verletzen nicht; das ist eine völlig andere Wirkungsebene."
Ich schoss gleich drei Pfeile auf sie, sie wurde zur Nymphomanin, küsste drei Herren in ihrer Umgebung und entledigte sich ihrer Kleidung. "Bringt Spaß." Ich hätte den Job auch ohne Bezahlung gemacht, aber er drängte mir eine Handvoll Gold-Münzen auf. "Dublonen. Ist doch okay?"
"Vorschuss ist immer okay", beruhigte ich ihn.
"Liebe ist kompliziert. Wir machen sie einfach. Jeder Schuss ein Treffer." Er klang wie ein Schießbuden-Besitzer auf dem Jahrmarkt." "Und das Tolle ist, wenn Du die Flügel trägst, wirst Du unsichtbar. Unsichtbarkeits-Modus und Mythos gehören einfach zusammen. Man muss offenen Herzens hineinstolpern. Ist beinahe wie beim Himmelreich: Anders findet man es nicht bzw. anders gelangt man da nicht rein." Wer hätte gedacht, dass meine Blauäugigkeit mir einst zum Vorteil gereichen würde? "Wie im Märchen." "Verwechsle das nicht. Wir waren eher da. Mythos liegt allem zugrunde."
Ich schnallte mir das Flügelpaar um. Saß gut. Wie angegossen. "Gibt es die auch in taubenblau?"
"Ich muss mal schauen." Er schaute tatsächlich nach.
Okay, ich war kein Stalker, aber Cindy wich mir stets aus; wäre doch schön, wenn da etwas mehr Begeisterung für mich wäre. Da kamen Amors Pfeile doch wie gerufen; jetzt nur noch die moralischen Bedenken überwinden.
"Da empfehle ich den Moral-Betäuber; ist unablässig für diese Art von Arbeit. Amor braucht das auch ständig. Hat trotzdem Burn-out und die Krise. Ja, der Job schlaucht." Er nickte wissend. Er drückte mir eine Phiole in die Hand. Da stand tatsächlich 'Moral-Betäuber" drauf. Sie hielten es wohl nicht für nötig, irgendwas zu kaschieren. Ein gewisser Stolz schwang bei allem mit, was er tat: durchdrungen von Mythen-Stolz. Dass mir das entgangen war; wir hatten den Mythos in den Ruhestand geschickt, dabei war er nach wie vor quicklebendig – agierte munter mit.
Ein Nebeneffekt des Unsichtbarkeits-Modus: Man sah plötzlich Geister; sie winkten mir freundlich zu. So schnell ging das Switchen zwischen den Parallelwelten? "Es gibt jede Menge Parallelwelten ...", es tat ihm sichtlich gut, sein Wissen preisgeben zu können wie ein Museumsführer. Plötzlich erschien mir die ganze Welt wie eine Ausstellung mit unentdeckten Räumen; vielleicht war man bisher zu gelangweilt, zu desinteressiert, um sich im Museum genauer umzuschauen?
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Amors Stellvertreter
HumorIn der Stellenausschreibung hieß es, dass Amor dringend Aushilfskräfte benötigen würde. Gute Kenntnisse im Bogenschießen setze man voraus. Arbeits-Flügel würden gestellt. Es würden nicht nur Epheben genommen. Klasse, da ich mich beruflich ohnehin um...