Like Last Summer

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Er war wieder da.

Ich spürte es bevor ich es sah. Ihn sah.

Seine Schritte, sein schwerer Atem, die Äste, die unter seinen Füßen knackten. 

Wie letzten Sommer.

Damals hatte ich es geschafft mich vor ihm zu verstecken, hatte es geschafft wegzulaufen. Doch er hatte mich wieder gefunden und nun würde er dasselbe wie letzten Sommer tun. 

Nur würde er es vollenden. 

Ich stand stocksteif da, konnte und wollte mich nicht bewegen. 

Es hätte sowieso nichts gebracht. 

Er würde mich immer wieder finden. 

Ich spürte wie er immer näher kam, gleichmäßige Schritte hinter mir, sonst war alles still. 

Die Vögel, die man sonst im Wald hörte waren verstummt, wie als hätten sie dieselbe Angst wie ich. Nichtmal Wind war zu spüren, nur er und ich. 

Letzter Sommer, die Narben waren immernoch da. Ich hatte immernoch Alpträume. Immernoch Angst. 

Angst vor ihm. 

Plötzlich spürte ich eine eiskalte Hand an meiner Schulter, an dem Arm mit der größten Narbe. 

Langsam fuhren seine Finger über meine Haut, bis hin zu meinem Handgelenk, dem Ort der Wunde. 

Ein kurzer Moment und der Schmerz war wieder da. Genau dieselbe Stelle, genau dasselbe Messer. 

Ich war wieder im Wald. Ich wollte spazieren gehen nachdem mein Ex mich verlassen hatte, ich musste mal raus. Nach ein paar Metern, dieses Geräusch, diese Schritte, dieser Mann. Er schnitt mir ohne Grund die Arme auf, so viele Wunden das man gar nicht mehr zählen konnte. Warum? Das war die einzige Frage, die ich mir stellte. Warum?

Immer wieder Schnitt er auf meinen Körper, zerstörte meine Seele ohne es zu wissen, es waren höllische Schmerzen. Ich konnte nur nicht schreien. 

Es gab keinen Ausweg mehr, ich würde hier sterben. 

Ein weiterer Schnitt brachte mich aus den Gedanken. Diesmal an meinem Bein, linker Oberschenkel, genau an die Narbe. 

Die Schmerzen gingen wieder los, ich taumelte zurück und knallte mit voller Wucht gegen einen Baum. 

Er folgte mir und schnitt weiter und immer weiter. Genau dieselben Stellen wie damals. 

Er hörte nicht auf, solange bis irgendwann Polizeisirenen zu hören waren. Dann war er plötzlich weg. Polizisten fanden mich am Boden liegend, halb bei Bewusstsein. Ich hörte nur noch wie jemand den Notarzt rief. 

Er schlug auf meinen Hinterkopf und ich stolperte nach vorne, auf den knallharten Boden. Etwas warmes floss über meine Haut und ich wusste sofort was es war. 

Blut. 

Tritte auf meinen Kopf, Schläge und Schnitte, es hörte nicht auf. 

Meine Sicht verschwand langsam und ich fing an Blut zu husten. 

Ich krümmte mich vor Schmerz und konnte nicht mehr atmen. 

Ich wachte im Klinikum auf. Sie sagten mir ich hätte eine lange Operation hinter mir, die viele Narben hinterließ, doch sonst war alles Okay mit mir. Das sagten sie, doch nichts war seitdem wie vorher. 

Doch jetzt würde es besser werden, jetzt würde es Okay sein. 

Immer weitere Tritte, doch ich spürte sie schon lange nicht mehr. Ich würde diese Welt verlassen, weg sein. Aber das war besser als in ständiger Angst zu leben. 

Angst vor ihm. 

Mein Atem war längst nicht mehr da, mein Kopf fühlte sich wie Blei an und mein Körper konnte dich nicht bewegen, doch das war Okay. Es war Okay zu sterben. 

Ich hörte auf zu denken. Ich rührte mich nicht mehr. Die Schmerzen waren weg. 

Er hatte es vollbracht. 

Vater hatte es vollbracht. 

Es war okay. 


Like Last Summer ~ KurzgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt