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Die nächsten Tage und Wochen waren anstrengend. Interviews, Zahlen auswerten, Koalitionsvertrag schreiben und vieles mehr.
Viele andere sind zurück in ihren Wohnorten und andere sind noch immer in Berlin. Ich eingeschlossen. 

Die Verhandlungen mit SPD und FDP sind am laufen und überraschenderweise funktioniert fast alles. Also fast. Mit der SPD haben wir die wenigsten Probleme. Klar, hier und da mal etwas aber nicht vieles. Natürlich haben unsere Freunde von der FDP keine Lust, sich auf einige Dinge einzulassen, weshalb viele unserer Punkte, die wir eigentlich durchsetzen wollten, nicht mehr brauchbar sind. Aber egal. Inzwischen steht der Vertrag fast, was bedeutet, dass es mit der neuen Regierung in die nächste Runde geht. 

Noch ist dafür jedoch Zeit, den erstmal wurden wir von Christian Lindner eingeladen, noch einmal in eine Bar zu gehen. Auch wenn ich damit keine sehr guten Erfahrungen habe, stimmten Annalena, Robert und ich ein. Auch Olaf stimmte zu, was mich echt verwirrt. 
Somit gingen wir 5 am letzten Sonntag vom November in eine kleinere Bar feiern.

Annalena und ich machten uns fertig und diesmal hatte ich endlich die Chance, eins meiner blauen Kleider zu tragen. Da sie mich wieder bei mir abholte, kamen wir sogar fast als erstes an. Nur Christian war schon eher da und begrüßte uns ungewöhnlich fröhlich.
Die Atmosphäre ist im Gegensatz zu der Feier mit den Grünen ganz anders. Ich habe erwartet, dass der ganze Abend echt stumpf und langweilig wird, aber in dem Punkt habe ich mich gewaltig geirrt. Die ersten Drinks spendierte uns Olaf und ich nahm mal wieder meinen Himbeercocktail, da ich weiß, dass ich davon einiges vertrage. 

Wir redeten wenig über Arbeit sondern fast ausschließlich über unser Privatleben. Dies wurde die letzten Wochen, vor allem durch die Wahl, sehr in den Hintergrund gedrückt und niemand hatte Zeit für Familie und Freunde. 
Der der erste Teil des Abends war der beste. Wir waren offener als sonst zueinander, was mich echt verwirrt. Je zu sehen, wie Olaf Scholz ganz gelassen mit einem redet und man nicht denkt, dass er Jahre älter ist als man selbst. Das einzige, was sich nicht geändert hat, ist das Ego und selbstverliebte Auftreten von Christian.

Durch seine Gespräche hab ich mitbekommen, dass er seit knapp einem Jahr von seiner Ex getrennt ist und inzwischen eine Art Kennenlernphase mit irgendeiner Reporterin hat. Er schwärmt zwar viel von ihr, jedoch nicht mehr als von sich selbst oder seinem Auto. Robert und Olaf haben sich zusammen auf den Weg gemacht, um uns neue Getränke zu holen, während Annalena und ich uns immer noch das Gequatsche von Christian anhören müssen. Wir sind inzwischen schon bei Runde 3 oder 4 und bei einigen merkt man den Alkohol im Blut. 

Zwischendurch gingen Annalena, Christian, Robert und ich zur Tanzfläche, wo kaum Leute waren und wir somit fast den ganzen Platz für uns hatten. Olaf befasste sich mit seinem Handy, da er inzwischen kaum noch geradeaus laufen kann und wir ihn jetzt mit Wasser versorgen. 

"Ma'am, Darf ich um diesen Tanz bitten?" fragt Christian und hält mir seine Hand hin. Völlig perplex steh ich da und überlege, was ich machen soll, denn eigentlich mag ich ihn nicht besonders, aber ablehnen ist unfreundlich und würde vieles zerstören, was wir die letzten Wochen aufgebaut haben. Und außerdem muss ich die nächsten 4 Jahre eh mit dem arbeiten, also was soll's.

Wiener Walzer. Wir beide mögen diesen Tanz, weshalb es nicht schwer war, mich an seine Art zu gewöhnen. Neben uns versuchen Annalena und Robert, sich nicht gegenseitig auf die Füße zu treten, was den Tanz mit Christian deutlich angenehmer macht. 
Trotzdem wünsche ich, dass ich mit Annalena tanzen würde. Die letzten Wochen haben wir viel Zeit zusammen verbracht, jedoch kaum allein. Ich weiß nicht, ob es für sie ein Problem war, aber für mich war es definitiv eins. Ich vermisse es, mit ihr alleine Zeit zu verbringen. Zusammen am Küchentisch sitzen oder irgendeinen Film schauen. Wir haben besser Kontakt als zuvor, jedoch fehlt dieses eine etwas. Jedoch ist es so besser, als irgendwie ignoriert zu werden. 

"Geht es dir gut?" reißen mich die Worte meines Tanzpartners aus den Gedanken. "Was? Ach so, uh, ja" "Brauchst du eine Pause oder-" er stoppt mitten im Satz. Mein Blick fiel wieder automatisch zu Annalena und Robert, was er natürlich bemerkte. "Jetzt versteh ich... wenn du mit ihm tanzen willst, dann musst du das sagen" 
*Wie mit ihm? Wen meint-* und dann verstand ich. Er denkt, ich will mit Robert tanzen, da ich die beiden schon die ganze Zeit beobachte. Oh Gott bitte nicht. Der leichte Unterton in seiner Stimme verrät mir, dass er damit nicht gerade glücklich ist, aber er sagte nichts weiter dazu, ging zu den beiden rüber und nahm Annalena mit sich, damit Robert und ich entweder tanzen müssen, oder wir beide richtig peinlich auf der Tanzfläche stehen. 

Im Endeffekt tanzen wir doch zusammen, was jedoch nur halb so gut funktioniert wie mit Christian. Ich mag den Typen zwar nicht, aber im tanzen ist er nicht schlecht. Nur das kann man von Robert eher weniger behaupten. Wir hatten zwar viel zu lachen, jedoch hat es nicht ganz funktioniert, weshalb wir nach zwei Tänzen an unsere Plätze zurück gingen.
Es dauerte auch nicht lange bis Annalena und Christian ebenfalls zurück kamen. Olaf geht es inzwischen besser, jedoch will er am heutigen Abend keinen Alkohol mehr anrühren. Der Rest von uns schon, weshalb Christian noch einmal los ging, um uns Getränke zu holen. 

Scheinbar hat er trotzdem schon einen zu viel drinnen, denn er hat unsere Getränke vollkommen vertauscht. Annalena hat er irgendetwas mitgebracht, für Robert hat er den Himbeercocktail, der normalerweise zu mir gehört und ich hab ein Radler bekommen. Nur wer trinkt Radler? Kein Mensch, zumindest nicht freiwillig. Der einzige, der das richtige Getränk hat, war natürlich er selbst. 
Das mit den Getränken hat sich unter uns geklärt; ich gab Annalena das Radler, Robert bekam das von Annalena und ich den Cocktail, den ich schon den ganzen Abend trinke. 

Nur als Christian bemerkte, dass wir unsere Getränke getauscht haben, war er plötzlich wieder bei allen Sinnen. 
"Wieso habt ihr das Zeug getauscht?"
"Naja, somit hat jetzt jeder seins." antwortet Annalena ihm, denn keiner von uns verstand, wieso er plötzlich so aufgebracht war. 
Er muss noch was geredet haben, was ich nicht mehr mitbekam, denn je mehr ich von meinem Glas leerte, desto dunkler wurde mir vor Augen, bis ich nichts mehr mitbekam. 

𝑎𝑛𝑑 𝑦𝑜𝑢 𝑠𝑎𝑣𝑒𝑑 𝑚𝑒 -annalena baerbockWo Geschichten leben. Entdecke jetzt