Kaputte Barbara

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Barbra Streisand röchelt und keucht, bis sie schließlich komplett den Geist aufgibt.

"Oh nein!" Seufzend flehe ich mein Auto an: "Barbra, Süßße." Ich streichle in beruhigenden Kreisen über das Arma turenbrett. "Bitte spring an. Ich komme sonst zu spät zur Arbeit. Tust du es für mich? Biiitte. Also noch mal, bereit?"

Ich drehe den Zündschlüssel erneut. Dieses Mal ist das Geräusch noch schlimmer, wie ein metallisches Kreischen. "Mist!" Ich ziehe den Schlüssel ab. Es ist ein eiskalter Dezembermorgen, und wenn ich ausatme, kann ich meinen Atem sehen.

Das Surren meines Handys kündigt eine Nachricht an, es ist Mina: 'Hab gerade den 75. Pullover des Morgens gefaltet. Wann kommst du?"

Wegen des Weihnachtsrummels öffnet das Einkaufs zentrum diese Woche früher als sonst. Mina faltet schon seit einer Stunde Klamotten bei New Yorker und ich müsste in zwanzig Minuten bei Thalia sein, der Buch handlung, in der ich arbeite.

Ich schreibe zurück: 'Hoffentlich bald! Barbra springt nicht an.'

Sie antwortet: 'Bitter! Ich kann dich später nach Hause fahren'. Ich schicke ihr einen Kuss-Smiley, dann steige ich aus dem Auto, ziehe den Mantel fest um mich und renne ins Haus. Mom und Mama sind noch nicht weg, trotzdem ist alles still. Ich schaue ins Wohnzimmer, dann in die Küche. Nichts. Ich gehe rauf zu ihrem Schlafzimmer, doch die Tür ist geschlossen. Gemurmel dringt in den Flur. Normaler weise steht die Tür immer offen. Normalerweise würde ich einfach reingehen, mich aufs Bett werfen und fragen, ob mich eine von ihnen fahren kann. Aber jetzt ist die Tür zu und dämpft ihre aufgebrachten Stimmen.

Ich hole tief Luft, richte mich auf und klopfe zweimal kurz.

Die Stimmen verstummen und wenig später öffnet Mom die Tür. Wir haben die gleichen roten Augen und das gleiche glatte, schwarze Haar, welches ich mir aber zu einem kräftigen Rot gefärbt habe.
Aber ihr Blick ist müde und ihre Haare sind zu einem unordentlichen Zopf zusammengebunden. Ehrlich gesagt könnten sie etwas Extra-pflege vertragen. Am liebsten würde ich ihr das Rezept für diese tolle Avocado-Haarkur empfehlen, das ich im Inter net gefunden habe, aber der Stimmung im Raum nach zu urteilen ist jetzt nicht der richtige Moment für solche Tipps.

"Eijiro", sagt Mom. "Müsstest du nicht bei der
Arbeit sein?" Ihre Stimme kippt, als ob sie sauer auf mich wäre oder so. Ich spiele nervös mit dem Davidstern an meiner Hals kette und wippe auf die Fersen. "Barbra springt nicht an. Schon wieder. Kann mich eine von euch zum Einkaufszentrum bringen?" -"Das Auto gehört längst auf den Schrott", murmeltMom.

Mein Puls beschleunigt sich. Barbra Streisand darf nicht auf den Schrott. Klar, sie ist alt, ein Erbstück von meinen Müttern, aber ich brauche ein Auto, und mein Gehalt bei Thalia reicht gerade mal so für Sprit und die Versicherung. "Ahm." Ich räuspere mich. "Ich möchte nicht zu spät kommen. Ihr wisst schon, Weihnachtstrubel und so..."

Mama gesellt sich zu uns. Ihr braunes Haar ist noch ganz nass vom Duschen und sie hat sich ihren pfirsichfarbenen Seiden-Bademantel locker um die runden Hüften gebun den. Es ist seltsam, wie sie beide barfuß auf dem Schlaf zimmerteppich stehen, während ich hier in Stiefeln auf dem Parkett im Flur warte.

"Ich würde dich ja gerne fahren", sagt Mama. "Aber ich habe gleich Unterricht und muss mich noch vorbereiten. Tut mir leid, Liebling."

Ich bedenke sie mit einem kleinen Lächeln. "Schon okay. Mama."

"Na gut." Jetzt klingt Mom wirklich sauer. "Dann nehme ich dich eben mit. In fünf Minuten bin ich unten." "Okay". Ich verhake meine Finger ineinander. "Danke."

Mom nickt und schließt die Tür. Das Gemurmel beginnt von Neuem, lauter als zuvor. Ich schnappe etwas von schmutzigem Geschirr auf. Geschirr? Streiten sie jetzt ernsthaft wegen des Abwaschs?!

Ich gehe nach unten, aber anstatt die Garage anzusteuern, mache ich einen Abstecher in die Küche. Die Kaffeekanne steht in der Spüle. Daneben ein Löffel und ein Becher mit einem Rest Milchkaffee. Ein idiotischer Grund für einen Streit. Ich kann das Problem ganz der Welt schaffen und schon sind alle wieder glücklich. Ich schlüpfe aus dem Mantel, streife mir ein Paar Spülhand schuhe mit Marienkäfermuster über, wasche die Sachen und trockne alles ab.

Mom hält vor dem Einkaufszentrum und nimmt einen Lippenstift aus ihrer Handtasche. Mit zwei gekonnten Strichen trägt sie die hellrosa Farbe auf. Als ich kleiner war, lag ich oft ausgestreckt auf dem Teppichboden im Schlafzimmer und durchstöberte ihre zahlreichen Kosmetik- und Parfümtäschchen, während sie am Schminktisch saß, ihr Gesicht eincremte und die Augen mit einem weichen braunen Stift umrahmte. Es war herrlich ruhig, unser kleines Refagium.

"Soll ich dich nachher abholen?", fragt Mom und setzt den Deckel auf den Lippenstift. Sie ist nicht sauer auf mich. Natürlich nicht. Es war kaum zu erwarten, dass sie vor Freude jubelt, weil Barbra wieder einmal kaputt ist.

"Mina fährt mich nach Hause", sage ich. "Trotzdem danke!"
Dann sagt sie: "Ich muss los."

"Gut." Sie legt den Lippenstift ins Mittelfach. "Also, vielen Dank fürs Herbringen."

Ich schnalle mich ab, schnappe meinen Stoffbeutel und steige aus. Als ich die Tür zuschlagen will, dreht Mom sich zu mir, ihr Blick wird weicher. "Ich sag nachher Eve Bescheid, damit sie vorbeikommt, um sich Barbra anzuschauen. Einverstanden?"

Ich strahle. »Super" Eve ist eine Freundin der Familie and Mechanikerin. Mom hat sie vor gut zehn Jahren beim Kickboxen kennengelernt, und seitdem stattet uns Eve regelmäßig einen Besuch ab, wenn eins der Autos, normalerweise Barbra (okay, eigentlich immer Barbra) repariert werden muss. "Sehen wir uns heute Abend zur Latke-Party?"  "Natürlich", sagt Mom. "Bis nachher."

Ich schließe die Tür, und Mom winkt kurz, bevor sie wegfährt.

Die Latke-Party ist unsere Familientradition für den letzten Chanukka-Abend. Wir gehören nicht zu den Juden, die an jedem der acht Lichterfest-Tage eine Kerze anzünden, aber zumindest an einem Abend feiern wir mit Latkes und Dreidel. Meine Mütter und ich lieben es, Zeit zu dritt zu ver bringen, ganz egal ob zur Latke-Party, beim In 90 Tagen zum Altar-TV-Marathon oder beim Bowling-Abend. Wir passen einfach perfekt zusammen, wie das 2000-Teile-Puzzle, das wir letztes Jahr gemeistert haben. In einem Sommer haben wir es sogar geschafft, eine sechzehnstündige Autofahrt nach New York zu überstehen, ohne auch nur ein einziges Mal zu streiten, was bei Familien auf Reisen vermutlich so was wie ein Weltrekord ist.

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