52

313 20 25
                                    

So langsam beginnt jede und jeder von uns wieder zurück in den Alltag zu finden. Nachdem wir uns die vorlesungsfreie Zeit vollständig eingeigelt haben, lassen wir uns wieder öfter außerhalb unserer Wohnung blicken.

Spenc und Robin waren in ihr Wohnheimzimmer, wenn überhaupt, nur zum schlafen zurückgekehrt. Ansonsten hielten sie die Rechte an unserem Sofa, in dem, davon war ich überzeugt, ihre Körper bereits Umrisse hinterlassen hatten. Toni und Liss hatten mein Zimmer weiterhin in Beschlag genommen.

Jetzt wo wir öfter zu dritt waren, verbrachten Cole, Mila und ich die freie Zeit mit Backen, Lesen und Gesprächen, die bis weit in die Nacht hineinreichten. Wenn wir alle zusammen waren, arteten unsere Spielesessions und Reality TV Abende einfach immer aus. Entweder weinten wir vor Lachen, kreischten vor Empörung oder beruhigten unsere Nachbarn, die über den Lärmpegel ganz und gar nicht glücklich waren.

Wir bemühen uns sie bei Laune zu halten und so begannen wir sie mit Peanut Butter Cupcakes, Red Velvet Cake und netten Gesprächen zu bestechen, damit sie bloß nicht auf die Idee kommen der Hausverwaltung davon zu berichten, dass bei uns sieben Leute wohnen. Denn das würde sicherlich unschöne Folgen mit sich tragen.

Mitte Februar bekam ich einen Therapieplatz und konnte seitdem einmal die Woche zu einer Therapeutin gehen. Zu den Treffen ging ich weiterhin, doch ich hatte das Bedürfnis alles noch einmal mit jemanden durchzugehen, der das Ganze mit etwas Abstand und Professionalität betrachten kann.

Und bisher habe ich auch ein gutes Gefühl. Nach zwei der Sitzungen habe ich zwar die ganze Nacht mit Weinen vebracht, aber das war in Ordnung. Doktor Kensington hatte mich vorgewarnt, dass es einige Sitzungen geben würden, die besonders aufwühlend werden würden. Vor Allem ein Thema hat es doch geschafft mich wieder etwas aus der Bahn zu werfen.

Im Studiensekretariat wurde mir angeboten das Semester fortzuführen, aber da ich mich überhaupt nicht in der Lage sah, den vergangenen Stoff aufzuholen und beim aktuellen mitzukommen, hatte ich um ein Urlaubssemester gebeten, dass mir zum Glück auch bewilligt wurde.

Coles Vater war nicht nochmal überraschend bei uns aufgetaucht, doch mit seiner Mutter facetimen wir fast jeden Sonntag. Letzte Woche sogar während des Spaziergangs mit Damon und Stefan, die leider immer noch kein neues Zuhause gefunden haben. Immer wenn ich darüber nachdenke, wie viele Hunde kein Zuhause bekommen, obwohl gleichzeitig bestimmte Rassen gezüchtet wurden, nur um die Welpen dann teuer zu verkaufen, wurde ich wütend. Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Wieso noch mehr Hunde ins Leben holen, wenn es doch genug gibt, die ein liebevolles Zuhause brauchen und suchen.

Beim letzten Telefonat hat Coles Mutter schon zum zweiten Man angedeutet, wie sehr sie sich wünscht, dass wir sie besuchen. Cole ist ihr erstmal ausgewichen und hat mich später gefragt, was ich davon halten würde. Ich habe ihm versichert, dass ich seine Mutter gerne besuchen würde, aber das ich mich aktuell noch nicht in der Lage dazu sehe.

Er hätte sagen können: "Ach, Tate. Jetzt reiß dich doch mal zusammen." Oder: "Spiel hier nicht die wehleidige. Du hattest jetzt genug Zeit um gesund zu werden." Aber das hat er nicht. Er hat mich angesehen, mir einen kurzen Kuss gegeben und Okay gesagt. Und dafür bin ich ihm unendlich dankbar. Er war es auch der für mich zu Niko gegangen ist, um zu erklären, dass ich erstmal nicht wieder arbeiten gehen würde.

Mein neu erwachter Selbsterhaltungstrieb wäre ganz schön ins Wanken geraten, wenn er oder jemand anders mich unter Druck gesetzt hätte. Aber meine Freunde sind derart verständnisvoll und geduldig mit mir, dass ich sie allein dafür schon bis an mein Lebensende lieben werden.

Zudem haben sie Mila so selbstverständlich aufgenommen, dass ich mich wirklich frage, mit was für Menschen ich mich bisher umgeben habe. Toxisch trifft es nicht mal annähernd. Jedes Mal wenn sie nicht zusammenzuckt, wenn es an der Tür klopft oder sie Spenc ode Robin eines ihrer seltenen, schüchternen Grinsen zuwirft, schmilzt mein Herz förmlich wie ein Stück Schokolade in der prallen Sonne.

Für Mitte März ist die Luft heute überraschend mild und klar. Die Sonne schickt ihre Strahlen bis durch die Fenster zu mir ins Büro des Tierheims. Seit heute Morgen sitze ich vor dem Computer und aktualisiere die Steckbriefe der Tiere. Obwohl es bereits auf ein Uhr Mittag zugeht, bin ich noch immer bei den Hunden und gerade erst bei der Hälfte angelangt. Das hier ist defitniv zeitintensiver als ich es mir vorgestellt habe. Andrerseits erhöht eine möglichst präzise und genaue Beschreibung des Tieres auch die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Vermittlung.

Zwei Tassen Kaffee und zehn Anzeigen später, schnappe ich mir vier Hundeleinen und nehme außer Stefan und Damon noch Racker und Tacker mit. Zwei junge Labradorrüden, mit besonders einfallsreichen Namen. Soweit ich weiß, heißen ihre Geschwister Macker und Flacker.

Mit Kopfhörern in den Ohren und meinem langen schwarzen Parker ausgrüstet, mache ich mich auf den Weg. Obwohl Cole und ich mehrmals die Woche zusammen im Tierheim sind, schlage ich meistens den Weg ein, auf dem ich ihn das erste Mal hier in der Gegend getroffen habe.

Noch immer muss ich grinsen, wenn ich an diesen Tag und unseren Kuss im Wald denke. Und an die Rabauken, die auch dabei waren. Wie immer jagen die Hunde ausgelassen über die Felder. Sie genießen jeden Moment ihrer Freiheit und ich lasse sie so lange abgeleint, bis wir wieder kurz davor sind auf die befahrene Straße zu treffen.

Ich bin heute mit Essen aussuchen dran und deshalb stoppe ich auf dem Rückweg kurzerhand bei einem Inder. Mit dem Essen beladen, werde ich jubelnd in der Wohnung erwartet.

Cole gibt mir einen Kuss. "Wie war dein Tag?", fragt er lächelnd und nimmt mir ein paar der Essensverpackungen ab.

"Nahrung! Endlich", tönt es aus den Tiefen des Whnzimmers.

"Ziemlich gut und deine Klausur?"

"Kann mich nicht beschweren. Die sollte ich bestehen. Da macht mir die nächste Woche mehr Sorge. Aber Essen mitzubringen war eine sehr kluge Entscheidung. Spenc erklärt uns seit fast einer Stunde er würde gleich verhungern, wenn er nicht bald etwas richtiges zu essen kriegt. Kannst du dir vorstellen, dass er keinen unserer Peanut Butter Cupcakes essen wollte?"

"Was für eine Frechheit", empöre ich mich lautstark.

"Nicht jeder kann die bis zum Umfallen mampfen, Tate!" Spenc zieht mich in eine Umarmung, die ich enttäuscht kopfschüttelnd nicht erwidere. "Ich habe so große Hoffnungen in dich gesetzt."

"Oh, ich habe ihm schon die Folgen derartigen Verhaltens verdeutlicht." Mila nimmt mir grinsend den Rest der Essensverpackungen ab.

"Da bin ich ja beruhigt." Wir machen es uns auf dem Sofa und auf dem Boden davor bequem, während wir losen, wer heute die Serie aussuchen darf.

"Ha!", ruft Robin triumphierend. "Ich bin dran. Wir schauen...Trommelwirbel. Supernatural!", verkündet er feierlich und sieht sich beifallsheischend um.

Widersprüche werden laut und Mila und seufzen gleichzeitig.

"Wir kennen alle Folgen." Selbst Spenc scheint keine Lust auf eine erneute Wiederholung der Serie zu haben. "Es müssen mindestens zwei Jahre vergehen bis man eine Serie rewatchen kann. So will es das Gesetz!"

"Genau", stimme ich kurzerhand zu.

"Was wollt ihr denn schauen?" Robin betrachtet uns misstrauisch.

"Greys Anatomie", rufen Mila und ich wie aus einem Mund.

"Narcos", steuert Spenc bei.

"Blacklist." Das war Cole.

Ich seufze und beginne mein Curry zu essen. Das hier würde noch dauern. Während Mila beginnt die Vorteile von Greys Anatomie aufzuzählen, kloppen sich Spenc und Robin um die Fernbedienung und Cole grinst mich an. "Und ist es schön wieder zu Hause zu sein?"

"Und ob!"

_____________

Danke fürs Lesen 💛

Ich wünsche dir eine gute Nacht 🧡

Never Falling Deeper | AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt