Jäger

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„Ignatius von Loyola", schlage ich vor.

Hope legt den Kopf schief. „Der Begründer des Jesuitenordens?" Sie schnippt etwas Asche auf das feuchte Straßenpflaster. „Der ist doch schon ewig tot, oder?"

Ich muss überlegen. Manchmal fällt es mir schwer, den Überblick über die vielen Verstorbenen zu behalten. Darin sind Menschen sehr viel besser. Sie wissen immer ziemlich genau, wer tot ist und wer noch lebt.

„Mehr fällt dir nicht ein?", lacht Hope. „Dann können wir wohl davon ausgehen, dass ich Recht habe. Ignatius ist ein schrecklich altmodischer Name."

„Aber ich mag meinen Namen", erwidere ich beleidigt. „Er bedeutet-"

„Der Feurige", fällt mir Hope ins Wort. Sie verzieht spöttisch die Mundwinkel. „Ich hatte Latein auf der Highschool."

Anscheinend hat sich in den letzten 100 Jahren auch in Sachen Frauenbildung einiges getan.

„Na schön", meine ich versöhnlich. „Wie würdest du mich denn nennen?"

Hope legt eine Hand an ihr Kinn und mustert mich gründlich. Ich drehe mich zur Seite, damit sie mein Profil sehen kann. „Ich weiß nicht. Vielleicht Ignaz?"

„Unter keinen Umständen", protestiere ich, was sie erneut zum Kichern bringt.

Beiläufig streicht sie mir mit der Hand über den Arm. „Ich mach doch nur Spaß. Ab jetzt werde ich dich Nat nennen. Das ist einfach und hübsch."

Natürlich weiß Hope nicht, dass ich diesen Spitznamen schon früher getragen habe.

„Einverstanden", sage ich. „Hope und Nat."

Hope strahlt und für einen Moment scheint ihr Schwermut vergessen zu sein. Der Zustand hält jedoch nicht lange an.

„Hope!", ertönt eine laute Stimme. Kurz darauf treten zwei Männer ins Freie hinaus. Einer von ihnen ist der Dunkelhaarige, der Hope auf der Tanzfläche bedrängt hat. Sein Begleiter ist kleiner, schmächtiger und trägt die blonden Haare zu einem Knoten am Hinterkopf gebunden.

„Hope!", wiederholt der Rüpel, nachdem er Hope und mich entdeckt hat. „Was sollte denn der Scheiß eben?", will er wissen. „Du weißt doch, dass ich nur Spaß mache."

„Dann schlage ich vor, dass du deinen Spaß in Zukunft mit jemand anderem machst", erwidert Hope.

Trotz ihrer schlagfertigen Reaktion kann ich spüren, wie unwohl sie sich in der Nähe des Dunkelhaarigen fühlt. Sie wirft ihre Zigarette auf den Boden, tritt sie aus und verschränkt die Arme vor dem Körper. Ich bemerke das Frösteln, das ihren Schultern erschaudern lässt, und erinnere mich wieder daran, wie temperaturempfindlich der menschliche Organismus ist.

„Jetzt sei nicht so eine Bitch", meldet sich der Blonde zu Wort.

Die beiden Männer drängen sich durch die Menschen, die vor dem Eingang des Tanzlokals auf Einlass warten. „Wir fahren jetzt zurück zum Wohnheim", erklärt der Dunkelhaarige.

„Macht das", entgegnet Hope und verschränkt die Arme noch etwas fester. Ihre Lippen verbinden sich zu einem schmalen Strich. „Ich bleibe noch hier."

Trotz der Lichtverhältnisse kann ich die Überraschung auf den Gesichtern der Männer erkennen. „Bist du dir sicher?", meint der Blonde. Seine Nase ist klein und spitz, beinahe dreieckig, und seine Augen erinnern mich an eine Wühlmaus.

„Ich komme gut zurecht", sagt Hope.

Zwei Schritte später steht der Dunkelhaarige direkt vor uns. Er mustert mich, so wie es alle Menschen tun. Selbst wenn sie sich nicht auf sexuelle Weise zu mir hingezogen fühlen, verspüren sie das Verlangen, mir zu gefallen. Aus diesem Grund gerate ich für gewöhnlich nur selten in Streits. Es gibt schlicht niemanden, der mich beleidigen oder verletzen möchte.

NachtmahrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt