20. Im Licht der Sonne

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Die Nacht schlich dahin und die Sterne funkelten unermüdlich, während wir unter ihnen hinwegwanderten. Unser Tempo pendelte sich ein und Kirian und ich liefen irgendwann im Gleichschritt über den Sandboden.

Der Narbenwald zu unserer Rechten entfernte sich von uns und wurde von Zeit zu Zeit immer kleiner. Bald würden wir die Walnard-Schlucht erreichen. Ein Canon, der einst eine große Stadt beherbergt hatte, bis eines Nachts wie aus dem Nichts der Felsen weggebrochen war, der die Stadt getragen hatte. Der Sage nach, hausten die Geister der Verstorbenen in den verfallenen Ruinen, die man vom Rand der Schlucht aus noch erkennen konnte.

Die versunkene Stadt.

So wurde sie genannt, denn ihr wahrer Name war vergessen.

Hier im Osten geschah anschließend dasselbe, wie überall nach solchen verhängnisvollen Ereignissen. Irgendwer, der sich wichtigmachen wollte, erfand eine gruselige Geschichte, um anderen Angst einzujagen, die im Anschluss mit Mundpropaganda weitergetragen wurde. Solange, bis daraus eine Legende wurde und sich kaum noch jemand zu der versunkenen Stadt hin traute. Mein Glück, dass ich nicht mehr an Geister glaubte, seit ich den Eiswölfen begegnet war. Blieben noch die Götter vor den ich mich fürchten konnte.

Ich fragte mich unwillkürlich in einem Anflug von Nostalgie, ob die Götter des Nordens immer noch über mich wachten.

Hier im Osten gab es sieben andere Götter, die grundsätzlich ein und dieselben mit denen des Nordens waren, aber eben auch wieder nicht.

Der Gott des Meeres war im Osten ein sanftmütiger Mann mit einem Faible für Schiffbauern, die ihre Werften an den Küsten der See erbaut hatten. Er war ein Mann mit kräftigem und lautem Stimmvolumen, dessen voller Ton dem Tosen der Wellen glich.

Der Gott des Meeres aus Vadheim war rau und ohne viel Sinn für Feingefühl, ganz ähnlich im Gemüt, wie die Menschen selbst. Die See bei uns tobte oft, warf dann hohe Wellen, die an den Felsenklippen mit einem brechenden Tönen aufgehalten wurden. Mádoll, der Gott des Wetters und Tilaón, der Gott des Meeres verbündeten sich seiner Zeit oft miteinander und es gab heftige Schneestürme. Statt zu singen, vertrieb sich Tilaón gerne seine Zeit mit Trinken und konnte dann sehr aufbrausend werden. Niemand der anderen Götter war im Stande ihn zu beruhigen, wenn er einmal begonnen hatte. Bis auf Linéa, die Göttin der Liebe.
Sie war die Einzige, die sein bis dato ungestümes Gemüt zu besänftigen vermochte. Und seine Lust zu trinken.

Die Geschichten der Götter beruhigten mich, stimmten mich jedoch auch melancholisch. Bo gegenüber hatte ich immer steif und fest behauptet, dass ich nicht mehr an die Götter glaubte. Und das war auch nicht gelogen, denn mit Sicherheit war das die letzten zehn Jahre auch so gewesen. Aber jetzt?

Seit ich denken konnte, hatte ich die Götter für den Verlust meiner Familie verantwortlich gemacht. Sie dafür gehasst, dass sie mir und den Anderen aus meinem Dorf nicht geholfen hatten. Über die Jahre hatte sich mein Hass auf die Drachen verlagert. An die Götter hatte ich seitdem praktisch nicht mehr gedacht. Und jetzt hatte sich selbst der Hass auf die Drachen irgendwie in Luft aufgelöst. Und ich wusste, woran es lag; Ich mochte Kirian.

Nach einer weiteren Stunde kamen wir schließlich an der Schlucht an. Die Schlucht lag genau auf der Grenze zwischen Irania und Hithlon, begrenzte jedoch gleichzeitig auch die Grenze zwischen Hithlon und Ashar.

Es handelte sich bei der versunkenen Stadt um eine Art Grauzone in der Kartografie. Niemand der vier Länder erhob rechtmäßig Anspruch auf die Ruinen, denn es hatte keinen wirtschaftlichen oder militärischen Nutzen. Letztendlich hatte man sich geeinigt es dabei zu belassen.

Die Landschaft bildete eine Mischung aus roter Steinwüste, gespickt mit kleinen Nadelwäldern. Nur wenig Tiere lebten hier, hauptsächlich Reptilien und Stechmücken.

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