Kapitel 1

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Es war Samstagabend. Genauer gesagt war es der 2. April 2016. Er war gerade nach Hause gekommen und war ziemlich müde. Seine Frau, die mit den Kindern noch bei Freunden war, hatte ihn ewig nicht gehen lassen wollen. Aber er hatte sich durchsetzen können und war alleine Heim gefahren.
Er fluchte innerlich, da er in seiner Ehe alles andere als glücklich war. Aber er wusste genau, wie er sich ablenken konnte. Seit ein paar Wochen gab es da so eine Sendung, die er verfolgte. Leider konnte er sie nur auf YouTube anschauen und auch erst dann, wenn die Ausstrahlung in Österreich bereits vorüber war. Deshalb wurde die Sendung meist erst am Samstag hochgeladen, obwohl sie am Freitag live im Fernsehen lief. Allerdings eben in Österreich und die Sender empfing man hier in Deutschland eben nicht.
Wenigstens musste er daraus heute kein Geheimnis machen und in die Yogaschule fahren, um dort die neue Folge anzuschauen. Wenn seine Frau davon nämlich erfuhr, würde er die Hölle auf Erden haben. Wobei er die sowieso schon hatte. Nur war er jetzt alleine zu Hause und konnte es sich ganz gemütlich machen.
'Gleich würde er sie wiedersehen!', dachte er aufgeregt und eilte ins Wohnzimmer. Dort stand der Laptop auf dem Tisch. Diesen nahm er an sich und schaltete ihn ein. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er das Internet endlich öffnen und YouTube aufrufen konnte. Eilig gab er etwas in die Suche ein und tatsächlich - das neue Video war schon hochgeladen worden.
Er freute sich und war schon gespannt, wie sie heute aussah. Wobei sie immer umwerfend war, egal was Sie trug. Das Gerede am Anfang interessierte ihn nicht und er spulte vor, bis zu der Stelle an der sie die Tanzfläche betrat. Sein Herz machte einen Sprung. Sie sah wunderschön aus, in ihrem roten Kleid, das sie heute trug. Und.. Hatte sie etwa die Augen verbunden? Ja, wirklich. Er hatte sich nicht verguckt.
Eine Rumba würden sie also heute tanzen. Sie und ihr Partner Thomas. Der Mann auf der Couch musste wie immer grinsen, weil es einfach passte wie die Faust aufs Auge. Biggi und Thomas, ja da war mal was gewesen. Es wirkte wie eine Reise in die Vergangenheit und als er sie über die Tanzfläche schweben sah, schwelgte er in Erinnerungen.
Die Augenbinde symbolisierte Vertrauen und auch ihm hatte sie einmal vertraut. Aber das war inzwischen circa 15 Jahre her und sie hatten keinen Kontakt mehr zueinander. Und dennoch sah sie aus wie damals, als wäre sie kein bisschen gealtert. Die kurzen Haare, ihr Lächeln und rot stand ihr nach wie vor am besten.
Aber im Gegensatz zu früher trennten sie jetzt mehrere hundert Kilometer und während sie ihre Karriere als  Schauspielerin immer weiter vorangetrieben hat, steckte er hier fest. In Osnabrück und war alles andere als glücklich. Er war unglücklich mit seinem kompletten Leben. Es war anders verlaufen, als er gewollt hatte. Die Schauspielerei hatte er an den Nagel gehängt und war stattdessen Yogalehrer. Wahrscheinlich erinnerte sich kein Mensch mehr an den Namen Thomas Wächter, höchstens Leute die die ganz alten Serien in denen er mitgewirkt hatte noch kannten. Natürlich kam es vor das Fans zu ihm in die Yogaschule kamen, aber das wurde immer mehr zur Seltenheit.
Und manchmal fehlte es ihm Schauspieler zu sein. Vor allem vermisste er viele seiner Kollegen, allen voran Biggi. Sie war wirklich etwas besonderes gewesen und war es offensichtlich immer noch. Er schaute sich den Tanz gleich mehrmals hintereinander an und suchte anschließend nach anderen Videos.
Er fand viele zu Küstenwache. In dieser Serie hatte er ausnahmsweise eine Rolle gespielt, aber nur weil er extra dafür angefragt worden war. Biggi, die eine der Hauptrollen verkörpert hatte, hatte ihn hinter der Kamera hauptsächlich ignoriert.
Dabei waren sie einmal sehr gute Freunde gewesen, jedoch konnte er es ihr nicht verübeln. Er hatte ihr weh getan und nie würde er den Schmerz vergessen, der in ihren Augen gestanden hatte als er sich vor vielen Jahren verabschiedet hatte. Und jetzt, 15 Jahre später, wirkte sie glücklich. Wenigstens konnte er übers Internet vieles herausfinden und damit war er dann auch beschäftigt, bis seine Frau mit den Kindern nach Hause kam.
Er brachte wie jeden Abend seine zwei Kinder ins Bett und legte sich dann ebenfalls schlafen. Mit Vera, seiner Frau, redete er an diesem Abend kein Wort mehr, nachdem am Nachmittag vor dem Aufbruch zu Freunden erneut ein Streit zwischen ihnen eskaliert war.
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In Österreich kehrte Biggi Schwerin zurück in ihr Hotelzimmer. Hinter der Schauspielerin lag ein weiterer, intensiver Trainingstag. Sie spürte jeden einzelnen Muskel und wollte einfach nur noch schlafen. Tanzen war anstrengend, aber genau das brauchte sie im Moment. Allerdings vermisste sie ihren Sohn, der zu Hause in Salzburg war.
Erschöpft ließ Biggi sich aufs Bett fallen und spürte gleich darauf, wie eine sanfte Hundeschnauze sie anstupste. Sie lächelte. Ihre Golden Retriever Hündin Sunny saß neben ihr im Bett und sah sie erwartungsvoll an. "Musst du etwa noch mal raus?" Sunny legte den Kopf schief und Biggi deutete das als ja.
Also stand sie auf und zog sich an. Beim Auftreten spürte sie deutlich den Fuß schmerzen, den sie sich gestern bei der Show verknackst hatte. Aber keiner hatte es gemerkt, bis auf Thomas der hinter der Bühne sofort mit einem Kühlakku zur Stelle gewesen war. Und Biggi war froh, überhaupt noch tanzen zu können, denn vor ein paar Jahren hätte ein Unfall beinahe dafür gesorgt, dass sie ihr restliches Leben im Rollstuhl hätte sitzen müssen. Da waren diese Schmerzen im Moment echt aushaltbar.
Biggi nahm Sunny an die Leine und zusammen verließen sie das Hotel. Es war kalt geworden und die Schauspielerin fror trotz ihrer Jacke ein wenig. Sie war schließlich übermüdet und freute sich auf das Bett, das auf sie wartete. Als sie so durch die Gegend lief, wurde sie nachdenklich und genau heute vernahm sie die lauten Rotorengeräusche eines Helikopters.
Sofort blickte sie zum Himmel und lächelte. Es erinnerte sie immer an eine Zeit, die schon lange zurück lag, die sie aber in jeder Hinsicht geprägt hatte. Die Dreharbeiten zu Medicopter 117, einer der erfolgreichsten Serien die je im TV gezeigt worden war. Allerdings redete sie nicht gerne über diese Zeit, da etwas die schönen Erinnerungen überschattete.
Ihr Lächeln im Gesicht verschwand, als sie an ihn dachte. An ihren Kollegen Thomas, der mehr gewesen war als ein Freund und der sie ziemlich verletzt hatte. Das war nun 15 Jahre her und trotzdem taten die Gedanken daran nach wie vor weh. Sehr weh sogar.
Und die Gedanken verschwanden an diesem Abend nicht mehr so schnell. Irgendwann lag Biggi an Sunny gekuschelt im Bett und sogar Tränen kullerten. Sie fühlte sich so allein, denn mit einem anderen Mann hatte es nie geklappt. Und das wegen ihm.
Irgendwann schlief die Schauspielerin, erschöpft und traurig wie sie war, ein.
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Thomas lag währenddessen noch länger wach und grübelte. Über sein Leben, seine Familie, seine Frau und darüber wie es sich wohl entwickelt hätte wenn er sich damals gegen Vera und für Biggi entschieden hätte.
Er hatte die Wahl gehabt und nur eine der Frauen hatte er aufrichtig geliebt. Genau von dieser hatte er sich getrennt, aus Angst vor Konsequenzen. Vera liebte er natürlich auch oder besser gesagt hatte er sie einmal geliebt, vor langer Zeit. Bei Biggi allerdings hatte er das Gefühl gehabt, sie würde ihn wirklich verstehen und ihn so nehmen, wie er war.
Wegen Vera hatte er schließlich mit der Schauspielerei aufgehört. Aus Rücksicht, da ihre Eifersucht größere Rollen für ihn unmöglich gemacht hatten. Unter anderem für sie hatte er damals die Serie Medicopter verlassen und somit auch Biggi. Und er bereute es inzwischen zutiefst.
Er sah ja, was aus ihr geworden war. Eine Frau, die man nur bewundern konnte, während Vera es sich mit jedem verscherzte. Neben ihm lag die falsche Frau, dieses Gefühl wurde er einfach nicht mehr los.
Sehnsüchtig dachte er an damals, als sich das mit Biggi so langsam entwickelt hatte. An die heimlichen Treffen, die Drehpausen, an ihre gemeinsamen und stundenlangen Gespräche. All das fehlte ihm, nur jetzt war es zu spät. Sie hatte eine Familie und er hatte seine. Und seine Kinder bedeuteten ihm alles, darüber ließ er trotz allem nichts kommen.
Ob er sich bei ihr melden sollte? Wie würde sie wohl reagieren? Und wie ging es ihr wohl gerade, was machte sie? Schlafen? Dachte sie ab und zu auch noch an ihn?
Fragen über Fragen und über diese dachte so lange nach, bis er in einen oberflächlichen Schlaf fiel.

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So, das erste Kapitel des 2. Teils, ich hoffe euch hat es gefallen :) Ich bin schon sehr gespannt, wie diese Story bei euch ankommen wird!

Liebe Grüße Feline

Fürs echte Leben gibt's nun mal kein Drehbuch - 15 Jahre später Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt