Schon seit vielen Jahren lebe ich ohne dich mein Leben. Ich habe gelernt alleine klar zu kommen. Ich habe gelernt ohne deine Hilfe klar zu kommen. Und letztendlich habe ich gelernt ohne irgendjemanden klar zu kommen.
Du warst immer der Mensch gewesen zu dem ich aufgesehen habe. Dein Leben hatte meinem als Vorbild gedient. Als eine Richtung an der ich mich orientieren konnte. Doch als du plötzlich weg warst irrte ich verloren in diesem Wald umher, in dem du mich zurückgelassen hattest. Der Wald war volller Abzweigungen und Sackgassen. Andauernd wechselte ich meine Richtung, ohne, dass ich wusste wohin ich eigentlich gehen wollte. Wahrscheinlich jagte ich der Erinnerung an den Weg hinterher, den du mich damals entlanggeführt hattest. Doch egal wohin ich auch ging und wie viel ich diesen Weg auch suchte, nie habe ich auch nur einen Hinweis darauf gefunden wo dieser sein könnte. Es war als hättest du diesen Weg damals mit dir genommen. An den Ort an den ich nicht gehen konnte. Dennoch suchte ich ihn.
Ich suchte, weil ich glaubte, dass du keine Wahl gehabt hättest.
Weil du gehen musstest.
Weil du gerne geblieben wärst.
Doch nach all den Jahren der Suche fand ich schließlich die Wahrheit heraus. All die Zeit hattest du mir diese Lügen in mein Ohr geflüstert, damit du mich nicht auch noch verlieren würdest. Du hattest meine Liebe gewollt, ohne welche zurückgeben zu wollen. Du wolltest, dass ich deinem Weg folge, ohne, dass du mir die Richtung zeigst. Du hast mich verlassen, weil du selbst einen anderen Weg gehen wolltest. Doch von mir hast du erwartet, dass ich immer auf diesem gleichen Weg bleibe.
Du bist derjenige, der mich verlassen hat, also bin ich dir auch nicht schuldig auf diesem Weg zu bleiben.
Ich gehe jetzt meinen eigenen Weg. Getrennt von dir. Du musst diesen Weg weder mögen, noch brauche ich deine Erlaubnis um ihn gehen zu können. Denn ich bin ich und ich bin nicht mehr wie du. Das kleine Mädchen, dass du damals im Wald zurückgelassen hast gibt es nicht mehr. Sie braucht dich nicht mehr, auch wenn sie dich immer lieb haben wird. Denn sie ist nicht wie du.
Sie lässt die, die ihr etwas bedeuten nicht einfach alleine im Wald zurück.
Sie hilft anderen, weil es sie glücklich macht und nicht, weil sie sich daraus etwas erhofft.
Sie muss andere nicht kontrollieren, denn sie vertraut und vergibt.
Sie muss andere nicht verändern, denn sie liebt nicht das, dass sie sieht, sondern das, dass sie fühlt.
Sie muss nicht strikt einem Weg folgen, denn sie geht dorthin wohin sie ihr Herz führt.
Denn, als du sie damals zurückgelassen hast, da hast du sie nicht ausgesperrt.
Du hast sie befreit.
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Ein Brief an all die Väter, die uns verlassen haben
Short StoryFür jeden, der auch verlassen wurde und vielleicht etwas Erleichterung und Mitgefühl in meinen Worten sucht.