Kapitel 2

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Als Biggi am Morgen aufwachte, fühlte sie sich wie gerädert. Auch wenn Sonntag war, musste sie zum Training. Eine Woche um einen oder gleich mehrere Tänze zu lernen war schließlich nicht viel zeit und deshalb zählte jede Minute. Heute jedoch war sie nicht so voller Elan wie die letzten Wochen. Am liebsten wäre sie nach Hause gefahren, zu ihrem Sohn. Er war das einzige männliche Wesen, dem sie noch vertraute und sie vermisste ihn obwohl sie ihn erst am Freitag gesehen hatte.
Plötzlich wollte sie nur noch nach Hause, aber damit würde sie den Vertrag mit dem Sender brechen. Und das Tanzen machte ihr wirklich Spaß, aber dieser wurde nun von schlechten Erinnerungen an einen ehemaligen Kollegen und Freund überschattet. Nach langem hin und her Wälzen, von dem Sunny aufgeweckt worden war, setzte sich Biggi auf.
"Aufstehen, duschen, frühstücken, Gassi gehen und dann Training.", murmelte die Schauspielerin müde. Sie schlug die Decke zur Seite und hievte zunächst die Beine über die Bettkante. Als sie aufgestanden war, ließ sie sich gleich wieder zurück auf die Matratze fallen. "Aua!", entfuhr es ihr, da ihr Knöchel beim Auftreten mehr schmerzte als gestern. Als sie nach sah, war er blau angelaufen und stärker geschwollen, als noch vor ein paar Stunden.
Vielleicht hätte sie auf ihren Tanzpartner hören und sich schonen sollen, stattdessen war sie gestern eine extra große Runde mit Sunny gelaufen und hatte die Tanzschritte alleine nochmal wiederholt. Die Schmerzen wären also nicht so schlimm geworden, hätte sie die Anweisungen ihres Trainers befolgt und ihren Fuß ruhig gestellt. Das Training sausen zu lassen kam für Biggi trotzdem nicht in Frage, denn die Ablenkung brauchte sie heute noch dringender denn je.
Deshalb stand sie auf und ging ins Bad, um zu duschen. Danach versorgte sie ihren Knöchel so wie ihr Trainer es ihr gesagt hatte und schnappte sich Sunny, um mit ihr Gassi zu gehen. Heute schafften sie es allerdings nur bis zum nahe gelegenen Park, weiter konnte Biggi einfach nicht gehen. Sie setzte sich auf eine Bank und warf für Sunny Stöckchen. Die junge Hündin hatte ihren Spaß und Biggi liebte es, ihr zuzusehen.
Wenn Sunny nicht wäre, würde sie wahrscheinlich überhaupt nicht raus kommen. Sie wusste nicht wofür. Freunde hatte sie und Familie, aber irgendwie fehlte ihr doch immer etwas. Und sie war in letzter Zeit sowieso viel unterwegs.
Biggi hatte so viele Gründe glücklich zu sein, doch sie war es sehr selten wirklich. Die meiste Zeit war es Fassade. Das konnte sie gut, die Gefühle vorspielen die andere sehen wollten. Als Schauspielerin war sie darauf getrimmt in verschiedene Rollen zu schlüpfen und das tat sie auch im Alltag eigentlich durchgehend. Nur nichts anmerken lassen, lautete ihre Devise.
Und eigentlich war es auch absurd, nach 15 Jahren die inzwischen vergangen waren sich noch Gedanken über gewisse Dinge zu machen. Aber ob sie es sich eingestehen wollte oder nicht, sie war nach wie vor verletzt. Vier Hochzeiten, vier Scheidungen. Alleine das reichte aus um diese Tatsache zu belegen. Es war in ihren Augen armselig.
Länger als geplant blieb Biggi sitzen, bevor sie ihre Hündin zurück rief und sie gemeinsam ins Hotel zurück kehrten. Sie ging frühstücken und machte sich dann fertig fürs Training. Die ganze Zeit versuchte sie das Humpeln irgendwie zu verbergen. Sie wollte am Freitag wieder tanzen, deshalb musste sie die Zähne zusammen beißen. Beim Frühstück hatte Biggi zwar eine Ibuprofen genommen, aber die Wirkung ließ zu wünschen übrig.
Deshalb nahm sie unmittelbar vor dem Training nochmal eine Schmerztablette, diesmal mit höherer Dosierung, ein. Doch auch das linderte die Schmerzen nur so weit, dass Biggi einigermaßen normal stehen konnte. Laufen oder gar tanzen waren damit nur kurzzeitig möglich, bis sie die Schmerzen wieder deutlich spürte, die immer intensiver wurden.
Und Manuel, Sabines Tanzpartner, blieb ihr Zustand nicht verborgen. Er merkte, dass sie angespannter war als sonst und versuchte, ihren linken Fuß so wenig wie möglich zu belasten. Eine gewisse Spannung musste beim Tanzen sicherlich sein, aber das was Biggi da heute an den Tag legte, war mehr als Verspannung zu bezeichnen. Sie machte sich komplett steif und die Tanzschritte für den anstehenden Tango nächste Woche konnte sie sich auch nach vier Stunden noch nicht einmal ansatzweise merken. Das war Manuel von Biggi definitiv nicht gewohnt, da sie sonst immer bei der Sache gewesen war und auch nicht so abweisend ihm gegenüber war. Sonst hatten sie beim Training bisher immer viel Spaß gehabt, aber heute war Biggi irgendwie mit ihren Gedanken woanders. Aber jedes Mal, wenn er sie fragte ob alles in Ordnung war, bejahte sie das und wollte dann gleich wieder weiter trainieren.
Als Manuel sie jedoch bei einer der Hebefiguren wieder auf dem Boden absetzte, schrie Biggi plötzlich vor Schmerz auf. Beinahe wären ihre Beine eingeknickt und sie wäre zu Boden gefallen, doch Manuel fing sie noch rechtzeitig ab und ließ sie langsam zu Boden nieder gleiten.
"Was ist los?", fragte der Tänzer Biggi, die mit Tränen in den Augen und mit zusammen gebissenen Zähnen vor ihm saß und sich den schmerzenden Fuß hielt. "Dein Knöchel.", schlussfolgerte Manuel daraufhin und musste gar nicht nachfragen, ob er damit richtig lag. Denn es war offensichtlich, dass Biggi Schmerzen hatte, obwohl sie Manuel mehrfach versichert hatte das es erträglich war und sie sich fit genug fühlte. Ansonsten hätte Manuel Biggi heute nie tanzen lassen. Und das würde er sie heute auch nicht mehr weiter lassen, nachdem ihre Schmerzen anscheinend unerträglich waren.
Manuel kniete sich neben Biggi auf Höhe ihrer Beine auf den Boden nieder. "Lass mich mal sehen.", sagte er und hob das linke Bein von Biggi vorsichtig an der Wade an, um es sich auf seine Beine legen zu können. So konnte er definitiv besser sehen, aber für Biggi war es für einen Moment ziemlich schmerzhaft, obwohl Manuel sehr vorsichtig gewesen war.
Der Schmerz zog sich jedoch inzwischen bis hoch in den Unterschenkel und Biggi biss die Zähne noch fester zusammen, um einen weiteren Klageschrei zu unterdrücken. Es tat einfach unheimlich weh. Trotzdem musste Manuel nachsehen und dafür den Fuß erstmal von Schuh und Socke befreien. Ganz behutsam schob er also Biggis Leggins zurück und öffnete den goldenen Tanzschuh seines Schützlings, um ihn ihr so vorsichtig wie möglich vom Fuß zu ziehen. Dasselbe versuchte er auch mit der Socke, doch das gelang ihm nicht ganz. Er hörte Biggi wimmern und es tat ihm leid, dass er sie so quälen musste, aber er musste sich die Verletzung unbedingt ansehen. Schließlich war er ihr Trainer und somit war er für sie verantwortlich.
Er fühlte sich sowieso schuldig, nicht vorher nachgesehen zu haben. Jedoch hatte er auf Biggis Wort vertraut und diese hatte ihm ja mehrfach versichert, dass es ihr gut ging. Wenn das allerdings wirklich so wäre, dann wäre sie nicht eben vor seinen Augen regelrecht zusammengebrochen. Manuel stutzte schon, als er den dicken Verband um Biggis Knöchel gewickelt sah. Diesen begann er ganz vorsichtig zu entfernen und bereits bei der Hälfte konnte er das Dilemma erahnen, da man unter dem weißen Stoff und darüber bläuliche Verfärbungen sehen konnte.
"Oh, oh..", nuschelte Manuel und entfernte auch noch den Rest des Verbands. Zum Vorschein kam ein Knöchel, der mindestens doppelt so dick angeschwollen war als seine eigentliche Größe und außerdem war er komplett von einem ziemlich großen Bluterguss bedeckt, also dementsprechend blau und lila angelaufen.
"Oh scheiße.", war das einzige, was Manuel daraufhin sagen konnte. Denn mit einem solchen Ausmaß der Verletzung hatte er ganz sicher nicht gerechnet. "Was 'Oh Scheiße'?", fragte Biggi und riskierte nun ebenfalls einen Blick auf ihren Knöchel, da Manuels Reaktion sie verunsichert hatte. Bis jetzt hatte sie es vermieden, hinzusehen, da sie es ja deutlich spürte und das hätte ihr auch ausgereicht. Doch nun sah sie das Ausmaß ebenfalls und ihr wurde sofort schlecht. Es sah ziemlich böse aus, viel schlechter als heute Morgen, als sie den Verband angelegt hatte.

Fürs echte Leben gibt's nun mal kein Drehbuch - 15 Jahre später Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt