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"Jola" Was ist das? Ich höre die Worte wie durch Watte. Ich gleite noch immer in meiner sicheren Dunkelheit und spüre nichts als Sorglosigkeit. "Jola", säuselt wieder jemand. Ich merke, dass die Stimme nah an meinem Ohr sein muss, und doch dringt sie zu mir wie aus 3 Lichtjahren Entfernung. Nein, lass mich hier, umgeben von meiner schützenden Schwärze. Ich habe Angst vor dem Erwachen, gestehe ich mir ein. Ich habe Angst vor der Realität. Plötzlich spüre ich etwas auf meinen Lippen. Es fühlt sich samtig weich und etwas feucht und wunderbar an. Perfekt. Durch den Kuss beginne ich etwas zu lächeln und schlage die Augen auf. Milton lässt langsam von mir ab und lässt mir seine grünen Augen direkt in die Seele schauen, so scheint es. Sofort verbiete ich mir zu lächeln und erinnere mich wieder daran dass ich ihn ja hasse. "Was soll da-" , setzte ich an, als er schon wieder seine Lippen auf meine presst. Ich versuche ihn weg zu schieben, doch er ist stärker und drückt mich auf den kalten Boden zurück. Sein Kuss wird immer intensiver und ich beginne ihn zu erwidern. Für einen Moment schaffe ich es mein Gefühlschaos und all das zu vergessen und den Moment zu genießen. Sein Kuss schmeckt nach echten Gefühlen. Mir wird wieder klar, warum ich ihn liebe. Was? Nein Jola! Du hasst ihn! Du. Hasst. Milton. Es klingt falsch. Der Kuss fühlt sich hingegen richtig an. Sehr richtig. Aber irgendwann hat alles ein Ende und Milton sieht mich lange an. "Wie geht es dir?", fragt er leise. Außer uns ist niemand im Raum. Milton sieht mich sanft und treu an und ich beiße mir auf die Lippe. "Ich werde dir nicht verzeihen!", zische ich und stehe ruckartig auf. Auch wenn ich seine Nähe genieße zwinge ich mich dazu, den Zärtlichkeiten ein Ende zu bereiten. Wenn er denkt, durch einen Kuss, würde ich vergessen, dass er mich in dieses Irrenhaus geschleppt hat, dass ich immer noch einen Verband trage, dann...dann..."Jola, ich..." Ich balle meine Hände zu Fäusten, als ich seine Hand auf meiner Schulter spüre. Es wäre so leicht sich jetzt einfach umzudrehen, ihm in die Arme zu fallen und mich in seinem Pulli zu vergraben. Aber ich kann nicht. Er hat mich verraten, hat mit mir gespielt und mich hierher gebracht und er hat es mir noch immer nicht erklärt. Nein, ich werde nicht mehr naiv und dumm sein. Ich schüttele seine Hand von meiner Schulter und rüttele an der schweren Tür. Verschlossen. "Lass mich hier sofort raus!", fauche ich und drehe mich zu ihm um. Belustigt sieht er mich an, was mich noch wütender macht. Ich starre ihn fordernd an, weil ich nicht weiß was ich sagen soll. Er steht immer noch in der Mitte des Raumes, die Hände in den Hosentaschen, zerzaustes blondes Haar und ein zerknirschtes Grinsen im Gesicht. Seine schwarze Kutte, die er trug als ich ihm das letzte mal begegnet bin, hat er abgelegt und steht nun wieder in einem harmlosen Hemd und Jeans vor mir. Nichts schließt darauf, dass dieser Junge in der letzten Nacht zusammen mit lauter Psychopathen irgendein Ritual durchgeführt hat. Falsch. Sie wollten es durchführen, wäre ich ihnen nicht in die Quere gekommen. Und was genau sie vorhatten weiß ich auch nicht! Um mich abzulenken lasse ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen...graue Wände, grauer Beton boden, eine einsame Glühbirne an der Wand, ein Tisch in der Ecke und...Milton. In seinem reinen weißen Hemd sieht er nahezu unschuldig aus. Er hat wohl bemerkt, dass ich ihn gemustert habe, denn er schaut mich schief an und kommt auf mich zu. "Lass mich in Ruhe!", rufe ich leicht hysterisch. Wer weiß was er vorhat. "Wenn du mich hier nicht sofort rauslässt dann...dann.." Im nächsten Moment spüre ich schon seine Hand an meiner Taille. "Sorry", nuschelt er lächelnd, "aber in diesem Aufzug kann ich dich unmöglich ernst nehmen!" Schlagartig wird mir klar, dass ich ja Louise meinen Pulli geliehen hatte und jetzt nur in diesem albernen Hasen t-shirt dastehe. Er grinst mal wieder und lässt seine Hand über meinen Arm streichen, bevor er sie wieder meinen Rücken entlang wandern lässt. Angeekelt stoße ich ihn von mir und ohrfeige ihn. "Hast du einen Knall?", schnauze ich. Was erwartet er eigentlich? Dass er mich sofort wieder rumkriegt?? "Sorry", lacht er und geht zwei Schritte von mir weg. Die Stelle auf seiner Wange, die ich bei meinem Schlag getroffen habe, färbt sich rot, doch er lässt sich nichts anmerken. "Bist du eigentlich noch ganz bei Verstand?! Du schleppst mich hierher und ich habe keine Ahnung was das soll! Und wo ist Louise, was habt ihr mit ihr gemacht?! Du bist ein elender Verräter und glaub ja nicht, dass ich dir jemals auch nur noch zulächeln werde! Falls...falls ich hier überhaupt lebend rauskomme...", die letzten Worte nuschel ich nur so vor mich hin. Milton sieht zu Boden doch er grinst immer noch. Arschloch. Wütend drehe ich mich um und versuche mich zu beruhigen. "Ich..." , setzt Milton nach einer Weile an doch er wird von einem metallischen Klirren unterbrochen. Verschreckt weiche ich von der Tür zurück. Der Schlüssel dreht sich im Schloss und ich spüre wie sich von hinten langsam ein Arm um meine Schulter legt und mich sanft zu sich zieht. In meiner Panik lasse ich es zu, bin sogar etwas froh in Miltons schützendem Griff. Die Tür wird aufgetreten und Nick kommt herein. "Sofort auseinander", brüllt er doch ein dreckiges Grinsen stiehlt sich auf sein Gesicht. "Lass sie in Ruhe", entgegnet Milton ruhig, aber mit fester Stimme. Nick tritt plötzlich ganz nah an uns heran und ich suche Schutz hinter Milton. Ich rieche Nicks billiges Aftershave und den Zigarettengestank aus seinem Atem.,"Ich befehle hier! Man hat mir die Wache über sie zugeteilt also darf ich mit ihr machen was ich will!" Mir wird eiskalt. "Gib uns zehn Minuten", bittet Milton willig. "Nix da!", schreit Nick wütend und zieht mich gewalttätig am Arm, sodass ich der Länge nach auf den kalten Boden falle. Mir fehlt die Kraft mich aufzurichten und Nick hält mein Arm noch immer nach oben gezogen fest. "Sag dem Kommandanten ich übernehme die Abendschicht",sagt Milton tonlos wie zum Abschied. Ich spüre Nicks wütenden Blick auf mir liegen, also springe ich auf. "Ein falscher Schritt und du bist tot!", droht Nick mir leise aber gefährlich. Ich schlucke. Alles wird gut. Alles. Wird. Gut. Nick schließt mit einem schweren Schlüsselbund die Tür auf und ist für einen Moment mit dem rostigen Verschlag beschäftigt. Ich spüre Miltons Atem ganz nah an meinem Nacken. "Keine Angst",flüstert er,"du bist nicht allein" Er drückt mir flüchtig einen sauber gefalteten Zettel in die Hand den ich unbemerkt in meiner Hosentasche verschwinden lasse. Alles wird gut, sage ich mir wieder als wir den Raum verlassen. Alles wird gut.

Herbstnebel-Meine ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt