5. Dezember: Xiao x Reader

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„Mund auf!", grinste ich dem Adepten entgegen und hielt ihm mit der einen Hand einen Löffel voll Mandeltofu vors Gesicht, die andere hielt ich unter dem Löffel, um nichts auf dem Boden landen zu lassen. Xiao blickte peinlich berührt und resigniert zur Seite, die Arme vor der Brust verschränkt, schielte er kurz zu mir, bevor er sich geschlagen gab, und den Mund weit genug öffnete, um den Löffel einzulassen. Ich lachte freudig, als der Adept in seiner Mimik, wie immer nicht verbergen konnte, wie sehr er dieses Gericht liebte.

Es war jedes Mal aufs Neue erstaunend zu beobachten, wie der Yaksha beim Essen des süßen Tofus seine Mauern fallen lies und jeden einzelnen Bissen genoss und schätzte. Obwohl der Grund seiner Liebe für die Süßspeise etwas irritierend war, war es dennoch einfach schön anzusehen. Der Adept, der Jahrhunderte des Leidens erfahren und einen Eid abgelegt hatte, sein Leben Liyue zu widmen, der Yaksha, der vom Karma der Seelen der Götter befallen wurde und darunter litt, der Junge, der versklavt und benutzt wurde, verlor seine Kühlheit durch ein von Sterblichen erfundenes Gericht.

Seine Augen glitzerten bei jedem Bissen feucht, er wirkte den Tränen nahe, Erinnerungen an seine verstorbenen Kameraden und die Zeit des Leids spiegelten sich in ihnen wieder. Und wenn er dann den Tofu herunterschluckte, nahm dieser die Erinnerungen mit sich, wischte sie weg. Bei jedem Bissen aufs Neue. Wieder und wieder, Tag für Tag. Es war jedes Mal ein Mysterium. Und der Adept teilte es mit mir, ließ mich an sich heran und ließ mich hinter seine Mauern blicken.

Mein Lächeln wurde breiter, als Xiao leicht zu mir aufsah, das Gesicht noch leicht gesenkt, die Augen auf mich gerichtet, den nächsten Löffel erwartend. Es war ihm zunehmend peinlich, das merkte ich, doch ich freute mich einfach, dass er mich ihn füttern ließ - so bedürftig zeigte er sich niemandem, bei nichts, zu keiner Zeit, nur jetzt, bei mir.

„Aaaah", machte ich und hielt den nächsten Löffel bereit. Ich fühlte Freude in mir pulsieren, wie jedes Mal, allein durch seine Anwesenheit.

Als er fertig war, stellte ich den Teller weg und zog ihn hinter mir her, unter dem Dach hervor, zum Geländer. Ich lehnte mich daran an und betrachtete die Landschaft. Schnee glitt sanft vom Himmel herunter, die winzigen Flocken ließen den Hintergrund im Weiß verschwinden. Xiao stellte sich stumm neben mich, die Mauern um seine Emotionen noch immer fallen gelassen. Ich nutzte es und legte meine Hand auf seine, ließ die Augen auf der von Schnee zugedeckten Welt.

Xiao sah mich einfach nur an. Meine Aufmerksamkeit flog wieder zu den Eiskristallen, die dichter wurden und die Fehler und Makel der Welt unter sich begruben, die Landschaft ebneten und der Erde jegliche Farbe nahmen. Wunderschön. Das war es zweifellos. Die kalten weißen Punkte rieselten unaufhörlich von Celestia herab, gesellten sich zu ihren Vorgängern und bildeten eine weich, warm und kuschelig aussehende Decke, die jegliches Leben für wenige Momente zum Stehen brachte.

Ich streckte meine freie Hand aus, um einige der Flocken auf ihrem Weg nach unten aufzufangen. Die Kristalle kitzelten leicht auf der Haut, zeigten mir für wenige Sekunden ihre schönen Details, bevor sie schmolzen und winzige Pfützen auf meiner Hand hinterließen und sich die nächsten Flocken auf ihr niederließen. Ich betrachtete die unterschiedlichsten Eiskristalle, so lange, bis die Wärme langsam aus meinem freigelegten Arm wich und ich ihn leicht schaudernd wieder unter meinem Mantel versteckte.

Ich wurde wieder auf Xiao aufmerksam, er blickte mich immer noch an, sein Gesicht ausdruckslos, keinen seiner Gedanken preisgebend. Seine Stimme zerbrach die Stille in tausende klitzekleine Scherben.

„Faszinierend, wie dich der bloße Anblick etwas so Umbedeutsamen derart fesseln kann."

Ich drehte mich zu ihm um, sah ihn ebenfalls an und nahm seine beiden Hände in meine. Ich musste erneut lächeln, als er das, was ich zuvor über ihn gedacht hatte, auf mich bezogen wiederholte. Mit den Daumen streichelte ich leicht über seine von Handschuhen bedeckten Handrücken.

Du bist faszinierend." Xiao zeigte keinerlei Reaktion, doch seine Augen fingen wieder leicht an, zu glitzern, nicht von Tränen, sie stellten einen Spiegel seiner Gedanken dar.

Wir verweilten in dieser Position, sahen einander nur in die Augen. 

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