Eigene Sicht

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Gehen fühlte sich so schwer an. In letzter Zeit war das Gehen so schwer.
Alles war so verzerrt.
Ich lief durch die Stadt und sah tausend Gesichter. Menschen, die man nicht kannte. Ich lief und lief. Mit ganzer Kraft versuchte ich zu gehen.
Neben mir ein Mann, der Tage lang an gleicher Stelle nach Geld bettelte. Jeden Tag lief ich dort lang.
Es war jemand, den ich nicht kannte. Also lief ich weiter.
Alles war so eintönig.
Frage über Frage in meinem Kopf. Gedanke über Gedanke. Hätte bloß jemand eine Lupe und könnte mich genauer betrachten. Aber sie kannten mich nicht.
Niemand kannte mich und ich kannte niemanden.
Also lief ich alleine weiter mit meinen Gedanken.
Ich kam zu Hause an. Endlich kam ich zu Hause an.
Voller verlorener Gedanken nahm ich ein Glas aus dem Schrank.
Was sollte ich auch anderes tun ?
Alles war so eintönig.
Ich starrte es an. Wie eine Lupe sah es aus. Alles war so viel größer, oder ?
Als ich das Glas mit Wein füllte, war es weg. Die Faszination.
Ich trank und trank. Und jetzt war das Glas wieder leer.
Die Lupe war wieder da. Sie verzerrte meine Sicht.
So eine schöne Sicht.
Endlich mal eine schöne Sicht.
Jedes Mal wieder eine andere Art von Faszination.
Es war gar nicht mehr so eintönig.
Bei dem holen der neuen Weinflasche war das Gehen gar nicht mehr schwer. So lange habe ich dieses Gefühl nicht mehr gehabt.
Die Gedanken waren gar nicht mehr so schwer.
Keiner brauchte mich näher betrachten.
Ich kannte mich nicht.
Ich kannte mich nämlich selber nicht.
Keiner kannte mich und ich kannte niemanden.
Menschen die man nicht kannte,
Menschen vor denen man seine Gedanken verbarg und durch Schmerz sein Leben verzerrte.
Sein eigenes Leben verzerrte.
Diese Menschen brauchten mich nicht betrachten.
Ich kannte mich nicht.
Wegen ihnen kannte ich mich nicht.
Die Lupe verzerrte meine Sicht.
So eine schöne Sicht.
Endlich mal eine schöne Sicht.
Ich schwor mir,
Eine bessere Sicht würde ich nicht bekommen.
Ich begann mir eine neue Weinflasche zu holen.
Plötzlich war alles so leicht.
So blieb es auch.
Versunken in meiner eigenen Sicht.
Und gar nicht mehr so eintönig.

Menschen, die man nicht kannte Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt