31 Wunschdenken

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Zum ersten Mal seit langem geht Severus allein den Weg in Richtung verbotenen Wald. Er freut sich sogar auf die frische Luft der Bäume und dem konzentrierten Sammeln von Kräutern. Selbst seine Gedanken wirken nicht mehr so bedrückend, wie Anfang letzter Woche.
Daheim hat er viel nachgedacht, vor allem über sich selbst und als sich seine Mutter lautstark räusperte und ihn mahnend ansah, wusste er, was in dem Moment sein Problem war: er suchte die Schuld bei sich.

Dabei hat er keine Schuld.

Niemand von ihnen beiden Schuld. Sie brauchen lediglich ein wenig Klarheit. Ein wenig Ruhe von dem Chaos.
Er gibt es nur ungern zu, aber er ist dankbar für die Woche. Er wurde sich seiner selbst um einiges bewusster. Bewusster, weil er sich vollkommen auf sich konzentriert hat.

Natürlich hat er dennoch Angst. Die Angst sie zu verlieren. Die Verlustangst verschwindet vermutlich niemals, doch er weiß, dass Toula wieder kommt. Ihr Brief vor einigen Tagen hat es ihm ein weiteres Mal offenbart. Bei dem Gedanken angelangt, schleicht sich ein Lächeln auf seine Lippen.
Er kann kaum glauben, was diese Woche für ihn gebracht hat. Er fühlt sich viel ruhiger. Angekommen, obwohl ihm seine Baustellen nun bewusst sind, doch genau das ist der Punkt. Er weiß endlich, was ihn stört. Er weiß, bei welchen Dingen er sensibel reagiert und woraus sein Schutzmechanismus besteht. All das hat ihn endlich weiter gebracht. Niemals hat er sich so viel mit sich selbst beschäftigt, dafür hatte er nie die Zeit.

Oder gar den Kopf.

Davon abgesehen fiel ihm jedoch etwas ganz bestimmtes auf: die Einstellung gegenüber sich selbst. Die Erkenntnis kam nicht von allein. Seine Mutter hat ihm geholfen, wo es nur ging und deshalb stand sie auch ein weiteres Mal im Wohnzimmer, während er die verdreckte Wand strich und zu sich selbst sprach. Er drehte seinen Kopf erst nach zig verstrichenen Minuten zu ihr.
Zu gefangen war er von seinem Monolog und dem Versuch sich besser kennen zu lernen. Dabei fielen nicht immer die nettesten Bezeichnungen.

"Sag mal, Severus...", seine Mutter hatte die Arme verschränkt und beobachtete ihn nachdenklich. "Würdest du mit jemanden befreundet sein wollen, der so über dich denkt, wie du über dich selbst?", ihr Gesicht sagte ihm, dass sie keine Antwort erwartete und ihr Verschwinden in der Küche bestätigte seine Theorie. Und auch wenn sie keine Antwort erwartete, hatte er seine innerhalb von Sekunden: Nein, natürlich nicht.
Aber ist es Wunschdenken zu glauben, dass sich seine Einstellung ändern kann? Er glaubt schließlich auch die Sachen, die Toula sagt. Er glaubt, dass sie ihn gut aussehend findet. Und loyal. Oder im tiefsten Herzen liebevoll.
Allerdings glaubt er das erst, seitdem er sie kennt. Davor war er nicht davon überzeugt.

Eigentlich dachte er auch nicht an solche Dinge. Nicht damals.

"Na, schöner Mann?", überrascht und mit klirrenden Alarmglocken dreht er sich um seine eigene Achse. Den fest umklammerten Zauberstab lässt er sinken als seine dunklen Iriden auf diese bekannten, grasgrünen treffen. "Minerva erwähnte, dass du gerade in Richtung verbotenen Wald losgegangen bist...", sie schaut ihn eindringlich an und obwohl sie ihre Frage nicht ausgesprochen hat, streckt er seine Hand aus. Lächelnd kommt sie seiner stillen Aufforderung nach.

Sie hat es vermisst, ihn zu spüren.
So paradox das nun klingt, denn eigentlich hatte sie in den letzten Wochen vor allem Probleme mit seiner Nähe.

Eine Woche ist definitv zu viel, aber geholfen hat es trotzdem. Und auch Severus wirkt auf sie irgendwie gelassener. "Danke, Sev.", murmelt sie leise und schaut auf ihre verschränkten Hände. Seine Hand fühlt sich warm an, trotz der kalten Temperaturen des Februars. "Ich dachte du wolltest erst am Sonntag kommen?", hakt er lediglich nach, während sein Daumen über ihren Handrücken streicht und er sie ganz langsam näher zieht.
In diesem Moment ist er froh, den verbotenen Wald noch nicht betreten zu haben, denn einmal darin gewesen, hätte Toula Stunden suchen müssen. Oder er Stunden warten. "Ich wollte nicht mehr ohne dich, aber wenn du noch ein wenig Zeit für dich willst, dann ist das absolut in Ordnung. Aber ich dachte ich schaue mal vorbei...", sie stockt in ihren Erzählungen und holt tief Luft, "Tut mir leid, ich hätte eine Eule mit einem Brief vorbeischicken sollen.", sie versucht sich aus seinem Griff zu befreien, doch er zieht sie bewusst näher. "Alles ist gut.", wispert er mit rauer Stimme. Seine Lippen platziert er flüchtig auf ihren. "Lass uns jetzt ein paar Kräuter sammeln. Ich habe schon einen Plan für die Nacht.", sie blickt ihn überrascht und mit schief gelegtem Kopf an. "Achja?", während er sie hinter sich her zieht, schiebt sie eine dunkle Haarsträhne hinter ihr Ohr. "Hagrid's Hütte war irgendwie der Anfang von unserem chaotischen sein.", er hält plötzlich inne und schaut an ihr vorbei in den Himmel. "...du und ich, wir sind irgendwie beide... zerbrochen. Wir haben an jeder Ecke mehrere Kanten, doch ich denke, dass du.... WIR dennoch Meisterwerke sind.", zum Ende seines Satzes fixieren seine Augen die ihren. "Ich habe dich vermisst.", erwidert sie flüsternd. Das dunkle blau in seinen Augen funkelt stärker als sonst. "Du siehst wirklich gut aus heute, aber ich muss dennoch meinen Zauberstab einsetzen. Finite.", setzt sie lächelnd nach und mustert ihn ein weiteres Mal. Seine Haut wirkt weniger blass. Seine Augenringe weniger sichtbar. "Ich habe fast die gesamte Woche mindestens zwei Stunden mehr geschlafen als sonst und ich war bei meiner Mutter.", Toula hebt bei seiner letzten Aussage skeptisch die Augenbraue. "...und?", vorsichtig drückt sie seine Hand. "Wir haben uns noch nie so gut verstanden, wie an diesen Tagen.", er verkündet die Aussage voller Stolz, den sie nur nachempfinden kann. "Das freut mich, wirklich!"

Das Versteckspiel... geht weiter (Severus Snape FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt