⊱Kapitel 21⊰

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Das Gefasel unserer Lehrerin dringt bloß gedämpft in meine Ohren. Viel zu sehr bin ich damit beschäftigt in meinen Gedanken an den bevorstehenden Abend zu versinken. Es ist nicht einmal Mittag und ich kann den Schlag meines Herzens schon jetzt bis in die Fußspitzen spüren. Auch wenn es im Sommer sowieso viel zu heiß in diesen miefigen Klassenzimmern ist, würde ich in diesem Moment nicht behaupten, dass die abgestandene Luft der Grund für meine schwitzigen Hände ist. Wenn das so weiter geht, dann werde ich wohl noch vor Aufregung platzen. Platzen, bevor mich Aiden überhaupt von zu Hause abholen kann. Dann könnte er statt auf unser Date direkt auf meine Beerdigung gehen. Einfach den ganzen Zwischenpart überspringen. Kein Date, keine gemeinsame Zeit, keine Zukunft. Keine Beziehung, kein Studium, keine Familie, nur die ewige Liebe. Sofern man das zwischen uns überhaupt so nennen kann. Liebe. Ein für mich völlig fremdes und neues Gefühl. Bisher kannte ich es nur aus all diesen kitschigen Romanen in meinem Bücherregal. Jedes von ihnen voll von romantischen Szenen und detaillierten Beschreibungen, wie sich das nun anfühlt. Wenn ich so darüber nachdenke, dann könnte Aidens und meine Geschichte eigentlich auch geradewegs ein Stapel gebundenes Papier darstellen. Schnell schüttle ich diese Frasen ab. Viel wichtiger ist, dass ich absolut keine Ahnung habe, was Aiden für unser erstes richtiges Date geplant hat. Folglich fehlt mir jegliche Idee dafür, ein passendes Outfit zu wählen, geschweige denn meine Gedanken beruhigen zu können. Sie kreisen unaufhörlich um diesen einen Abend. Ich wünschte ich wüsste, wie ich dieses emotionale Chaos stoppen kann. Vielleicht hilft es, sich anderen, erleichternden Gedanken zu zuwenden. Ethan zum Beispiel. Trotz der Niederlage über die für ihn verloren gegangene Saison, geht es ihm wenigstens gesundheitlich etwas besser. Nachdem er an jenem Tag auf Station gebracht wurde, hat weder Aiden noch ich oder irgendjemand anderes besucht. Niemand außer Josie und seine Eltern. Ihm scheint das Ganze wohl mehr zuzusetzen, als dem Team selbst. Eigentlich ziemlich verständlich. Zumindest für mich. Denn so, wie ich es am Spielfeldrand mitbekommen habe ist der Coach richtig sauer. Wenige, aber dennoch einige der Spieler halten stets zu ihrem Trainer. Das Geschrei am anderen Ende des Platzes kam ungedämpft bei mir auf der Tribüne an. Andere hingegen, glücklicherweise die überwiegende Mehrheit scheint zwar nicht begeistert, sieht die Situation allerdings etwas lockerer. Immerhin besteht das Team aus mehr als einer Person. Die Football Mannschaft unserer Highschool ist nun mal mehr als nur Ethan. Erst gestern Abend haben Josie und ich das letzte Mal telefoniert. Seit dem Unfall ihres Bruders verbringt sie ihre Nachmittage fast durchgehend in der Klinik. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Ethan davon inzwischen leicht genervt sein könnte. Allerdings ist sie es auch, die mich auf dem Laufenden hält, was Ethan angeht. So habe ich ihr ausführlich erklärt, dass der Großteil des Teams zwar traurig, aber keines Wegs sauer ist. Josies Zwillingsbruder soll sich also keine allzu großen Sorgen machen und sich lieber voll und ganz auf seine Genesung konzentrieren. Im Gegenzug teilte mir Jo mir mit, dass ihm das Rumliegen überhaupt gefällt. Dafür ist er schlichtweg zu unruhig. Umso erleichterter scheinen beide zu sein, dass Ethan bereits zu Beginn der nächsten Woche nah Hause darf, sofern er sich schont. Die, von den Ärzten für sinnvoll erachtete, Reha hat Ethan natürlich sofort abgelehnt. Was auch sonst. Mehr als zweimal die Woche Physiotherapie ist für ihn einfach nicht drin. Laut Josie droht ihr Bruder ihr damit, direkt am Montag wieder in die Schule zu kommen, wenn sie ihn weiterhin so bemuttert. Schließlich wäre es seine Aufgabe auf sie aufzupassen und nicht andersrum. Ein typisches hin und her zwischen den beiden. Da liegt die Freude über die Jos und Ethans Versöhnung umso leichter über uns allen. Die, Jo-ist-ihrem-Bruder-böse, weil-er-nichts-von-ihm-hält-und-Ethan ist-genervt,-weil-Jo-auf-ihn-steht-und-er-ihn-nicht-für-gut-genug-hält, Variante ist echt ein absoluter Albtraum gewesen. Ich bin ehrlich gespannt, wie das zwischen Jo und Mister Unbekannt noch ausgehen wird. Ob die beiden überhaupt ein erstes Kapitel aus einem dieser Bücher bekommen werden. Oder ob deren beider Geschichte zu Ende geht, bevor sie überhaupt begonnen hat. So wie  es vielleicht Aiden und mir ergehen könnte. Immerhin konnte ich den Gedanken an ihn wenigstens für ein paar Minuten in den hintersten Teil meines Kopfes verbannen. Nicht weil sie zu negativ sind, keineswegs. Sie übersteigen nur einfach jegliches Maß an Nervosität, das erträglich oder gar gesund ist. Das Gekritzel auf meinem Collegeblock vor mir wird kleiner und undeutlicher, als mir so langsam aber sicher der Platz ausgeht. Kleine Kreise, Rechtecke, Dreiecke, Gesichter, Kringel und leere Sprechblasen fügen sich wirr zu einem. Im Grunde spiegeln sie mein Gefühlchaos ziemlich gut wider. Mindestens genauso gut, wie ich weiß, dass es absolut keine Option ist, das Blatt einfach umzuschlagen und auf dem nächsten mit den gleichen Bildchen weiterzumachen. Denn die nächste Seite ist voll damit. Voll mit diesen Kritzeleien und noch schlimmer.
Mitten in ihnen eine Liste. Eine, die alles preisgibt, was in den wirklich guten Geschichten über die Liebe geschrieben steht. Und wenn es so zahlreich veröffentlicht wird, dann muss da ja wohl etwas dran sein. An all dem. Wenn Aidens und meine Geschichte ein genauso schönes Ende nehmen soll, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als diese ganzen Andeutungen Schritt für Schritt abzuhaken, um festzustellen, ob uns überhaupt ein derart tiefes Band verbindet. Sollte es so sein hätte ich allerdings kein allzu großes Problem damit die typischen Katstrophen und Tiefen auszusparen oder einfach zu überspringen. Ganz vielleicht tragen auch diese dämlichen Stichpunkte dazu bei, dass meine Hände nur noch mehr zu zittern beginnen.

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