Kapitel 23

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»Papa, was ...«

»Runter. Hab ich gesagt.« Hemmungslos zog Isabelles Vater Dag an seinen Haaren von seiner Tochter herunter und riss mit der anderen Hand ihre Musikanlage zu Boden, die abrupt verstummte.

»Was machst du?« Isabelle sprang sofort auf, um Dag auf die Beine zu helfen, doch ihr Vater schubste sie rabiat von ihrem Freund weg.

»Hey hey hey hey. Fassen Sie sie nicht so an.« , schrie Dag und stand auf.

»Wieder so einer? Ja? Bist du jetzt die Schlampe für obdachlose Jungs?« , plärrte der derweil seine Tochter an.

»Er ist nicht obdachlos.«

»Zieh dir was an.« , forderte er sie in einem autoritären Ton auf.

Isabelle griff nach ihrer Hose und zog sie an. Sie war den Tränen nahe. Das bestand schon von Kind an, wenn ihr Vater seine Stimme erhob. Es war ein automatischer Reflex in ihr.

»Pack deine Sachen.« , befahl er weiterhin.

»Was? Nein.« Ihre Unterlippe zitterte.

»Du packst deine Sachen und dann geht es ab nach Hause.«

»Ich will hier nicht weg.«

»Du willst? Du hast gar nichts zu wollen junge Dame. Meinst du deine blöden kurzen Anrufe an deine Mutter reichen aus? Nein. Du wirst wieder zur Schule gehen. Einen geregelten Tagesablauf haben und nicht die Dirne für irgendeinen Junkie abgeben.« Er griff nach einem Oberteil und warf es Isabelle ins Gesicht. »Zieh dich an.«

Sie bemerkte zwar, dass es Dags Shirt war, trotz alledem wollte sie nicht noch mehr Aufruhr erregen, daher zog sie es sich eilig über. »Papa bitte. Ich kann öfters anrufen, wenn ihr wollt, aber ich ... ich will hier nicht weg.«

»Können wir?« , hörte sie ihren sieben Jahre älteren Bruder Moritz sagen.

Mit Tränen in den Augen sah sie zur Türe. Dort stand er und betrachtete sie abwertend. So, als hätten sie Isabelle in einem Haufen Scheiße vorgefunden.

»Moritz, du musst Papa zur Vernunft bringen.« , heulte sie los, obwohl ihr klar war, dass er nicht anders drauf war.

»Vernunft? Du benötigst Vernunft. Ich hab direkt gesagt, die hätten dich damals schon aufs Internat schicken sollen, als du mit diesem einen Jungen da angekommen bist, aber jetzt ...« Er zeigte mit seinem Kopf Richtung Dag. »... was hast du dir in der Zwischenzeit angelacht? Wieder so einen? Und dafür willst du alles hinschmeißen?«

»Was schmeiße ich denn hin?« Während sie laut jammerte, räumte ihr Vater sämtliche Kleidung aus dem Kleiderschrank und schmiss sie unordentlich in einen Koffer.

»Du gehst wieder zur Schule. Du umgibst dich mit Leuten deinesgleichen und nicht mehr mit Abschaum aus der Gosse ... das wirst du tun.« , beantwortete ihr Bruder, der ihr sehr ähnlich äußerlich erschien, nur das seine Haare heller waren.

Ihr Vater knallte den Koffer zu und trat diesen raus in den Flur. Dann packte er Isabelle unsanft am Oberarm und manövrierte sie heraus aus ihrem Zimmer. Sie riss sich dessen ungeachtet los und lief Dag in die Arme.

»Ich will nicht weg von dir.« , weinte sie.

Dag umarmte sie ganz fest, als ihr Vater sie mit Gewalt von ihm wegzerrte.

»Haben Sie 'nen Knall? Sie tun ihr weh.« Er versuchte, nach Isabelles Hand zu greifen, doch ihm gelang es nicht, denn Moritz schlug ihm mit der Faust ins Gesicht.

»Das ist dafür, das du meine Schwester geknallt hast.«

»Daaaaaaaaag.« Isabelle schrie aus Leibeskräften. Ihr Vater hob sie an. Sie trat und schlug um sich herum, doch sie konnte sich nicht befreien.

Vincent eilte an ihnen vorbei und half Dag auf die Beine. Seine Nase blutete und dennoch ließ er sich kaum von seinem besten Freund festhalten und rannte hinaus in den Flur. »Isy.« , schrie er, wurde von Vincent jedoch wieder gepackt.

»Herr Menke.« , mischte nun Sascha sich ein. »Isabelle ist alt genug, um selbst entscheiden zu können. Sie können sie nicht einf...«

»Du hältst deine Fresse, haben wir uns verstanden? Nur weil deine Eltern einen Scheiß auf dich und deine Zukunft geben, musst du meine Tochter nicht mit in dein abartiges Leben ziehen.«

»Isabelle hat das alleine entschieden.«

Ebendiese krallte sich an dem Türrahmen fest, als ihr Vater versuchte, sie aus der Wohnung hinauszubefördern.

Moritz baute sich vor Sascha auf. »Du bist Kroppzeug. Genauso wie alle hier.« Angewidert spuckte er vor dessen Füße. Sascha rührte sich nicht.

»Lass mich los Vince.« Dag wehrte sich gegen den energischen Griff seines Freundes, doch auch Katja hielt ihn mittlerweile fest.

Mit einem fiesen Grinsen baute Isabelles Bruder sich nun vor ihm auf. »Oh bist du gegen meine Faust gerannt? Ooooooh. Das tut mir aber leid.«

»Lass mich los Vincent.« , wiederholte Dag mit zusammengekniffenen Zähnen. »Komm her. Du, ich. Alleine. Ganz fair, ohne Ablenkung. Glaub mir, ich polier' dir die Fresse.«

Moritz gab nur ein schnaufendes Lachen von sich und drehte sich um.

Isabelle schrie schon fast heiser und krallte sich vehement weiter am Türrahmen fest. »Bitte, ich will nicht weg. Ich liebe ihn.«

Moritz riss mit Gewalt ihre Finger vom Rahmen los, dann schloss er die Türe. Isabelles Koffer blieb vergessen in der Wohnung stehen, nur ihre Schreie nach Dag hallten noch für einen Moment durch den Hausflur.

»Lass mich endlich los.« , schrie Dag. »Isyyyyyy.«

»Du kannst nichts tun, okay.« , versuchte Vincent ihn zu beruhigen. »Sie ist weg.«

Dags Adrenalinpegel stieg an. Abermals wehrte er sich gegen den Griff und schaffte es schließlich, sich loszureißen. Er spurtete zur Türe, riss sie auf und lief die Treppe hinunter.

Vincent, Sascha und Katja wetzten ihm hinterher.

Dag sprang die Stufen runter und eilte aus dem Haus hinaus. Er sah sich um und erkannte Moritz, der in einem Auto hinten Platz nahm.

Isabelle sah er nun ebenfalls, die durch die Rückscheibe blickte und wie bei einer Entführungsszene gegen die Scheibe hämmerte.

»Isyyyyyy.« , schrie er wieder mal und rannte los, als der Wagen losfuhr.

Vincent war der Einzige, der ihm hinterher jettete.

Die Fenster des Autos waren geschlossen und nichtsdestotrotz vernahm er genau Isabelles Stimme, die nach ihm rief.

Er rannte immer schneller, doch gegen die Schnelligkeit eines Kraftfahrzeuges kam er nicht an.

Einige Leute öffneten ihre Fenster anhand der Schreierei auf der Straße. Er vernahm, sowie aus weitläufiger Ferne, einen älteren Herrn, der brüllte, er würde die Polizei rufen und doch war es Isabelles Schrei nach ihm, der Dag nochmals Kraft schenkte und ihn einen weiteren Sprint vorwärts machen ließ.

Als der Wagen jedoch an Tempo zunahm und über eine fast schon rote Ampel fuhr, sank Dag ungewollt zu Boden. Seine Knie trafen hart auf den Asphalt. Doch er nahm den Schmerz nicht wahr.

Vincent kam angerannt und ließ sich ebenso auf die Knie neben seinen Freund fallen.

»Sie ist weg. Isy ist weg.« , heulte Dag und boxte mehrmals mit Wut auf die Straßendecke.

»Ich weiß.« Vincent nahm ihn in den Arm.

Nicht immer drauf, doch für immer auf dir (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt