60|verfluchte Bewerbungsgespräche

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M I R A

Mit Yaz befreundet zu sein, kann zu meiner Entscheidung, Absätze zu tragen, herrühren, denn neben ihr sehe ich immer kleiner aus, als ich es eigentlich bin. Im Alter von sechzehn hatte ich mein erstes Paar Schuhe mit acht Zentimeter Absätzen und von da an, bin ich kaum noch ohne herumgelaufen. Manchmal vergesse ich wie groß ich eigentlich bin und es erstaunt mich immer wieder, wenn ich die Welt zehn Zentimeter tiefer sehe, als an den meisten anderen Tagen.

So auch heute.
Dank dem traditionellen Sporttag gestern bin ich an meine Grenzen gekommen und habe Muskelkater an jeder erdenklichen Stelle, dass ich heute auf keinen Fall etwas anderes, als Sneakers tragen könnte.
Eine Weile lang möchte ich keine Sportgeräte mehr sehen. Und vielleicht auch Yaz nicht, weil sie topfit und ohne körperliche Anstrengung durch ihren Tag geht, während ich kaum ein Bein vor das andere bekomme.

„Guten Morgen.", begrüße ich Livia, die vom Computer hinter der Anmeldung aufsieht und lächelt. Ich lächle zurück und sehe wieder vor mich, während ich gehe, doch sobald ich die lange Schlange auf der Treppe sehe, werde ich langsamer. Wieso sind so viele Menschen dort?
Überwiegend Frauen in Bleistiftröcken, doch auch vereinzelt Männer in Hemd und Krawatte, warten auf den Stufen bis ganz nach oben, in jedermanns Hand eine Mappe oder sogar gleich mehrere.
Gibt es eine Großversammlung? Doch ich glaube nicht, dass all diese Leute hier arbeiten. Abgesehen davon, dass ich keines dieser Gesichter kenne, beweisen einzelne von ihnen bereits aus dieser Entfernung, dass sie keinerlei Modesinn besitzen.

Ich lasse mich von ihnen nicht beirren und gehe zum Teamraum hoch, in dem Leo und Nova als einzelne sind und sich neben den Fenstern stehend unterhalten. Sie unterbrechen ihre Konversation kurz, um mir einen guten Morgen zu wünschen und reden weiter.
Ich ziehe mir meine Jacke und die Tasche aus und lege beides um meinen Stuhl, bevor ich mich zu den beiden umdrehe.

„Wisst ihr, warum da so viele Menschen auf der Treppe stehen?", frage ich und lehne mich gegen meinen Tisch, weil ich einfach nicht mehr stehen kann.
„Sie sind für das Jobangebot hier.", antwortet Leo und trinkt von ihrer Tasse. Ein Jobangebot? Ich wusste gar nicht, dass es eine offene Stelle gibt. Auch noch eine, die so beliebt zu sein scheint, wenn man nach der Anzahl der Bewerber geht.
„Welche Stelle denn?", frage ich und drehe mich um, um die Mappen von meinen Tisch aufzusammeln.

„Herr Sezins persönliche Assistentin.", antwortet Nova und mir fallen alle Mappen wieder auf den Tisch.

Seine Assistentin?
Aber... Aber wieso?
Er hat es schon eine Woche ohne geschafft, wieso dann jetzt noch jemanden einstellen?
Ich schaue zur Tür, doch von hier sehe ich die Treppe mit den ganzen Menschen, die mich ersetzen sollen, nicht. Was fällt ihm nur ein?

„Wann hat das angefangen?", frage ich und schaue zurück zu den beiden.
„Vor einer halben Stunde oder so.", antwortet Leo schulterzuckend.
„Das wird sicher den ganzen Tag so weitergehen.", meint Nova und Leo nickt zustimmend.

Wie kann er so etwas nur tun, ohne etwas zu sagen? Ohne mich vorzuwarnen!
Das war schließlich meine Stelle und jetzt gibt er es einfach weiter wie eine Tüte Süßigkeiten.
Das Büro hat mir gehört.
Mein Büro...
Mein Fenster zu seinem Zimmer...
Das darf niemals einer anderen gehören! Das ist alles mein und ich habe es schon lange für mich beansprucht!

Ich stütze mich von Tisch ab und verlasse den Raum, eile so schnell es geht die Treppen hoch und stoße gegen einige Bewerber, die mich böse ansehen, doch nicht einmal wagen etwas zu mir zu sagen. Ich muss meine Aufregung wohl auch im Gesicht tragen.
Die Frau, die am Kopf der Schlange steht und auf die Tür zugeht, sagt aber sehr wohl etwas, als ich mich vordrängle und vor ihr das Zimmer betreten möchte.
„Hey-", beschwert sie sich, dass ich den Kopf zu ihr herumdrehe und sie aus Argusaugen ansehe.
„Ich darf das. Ich bin Frau Beerchen!"

Ohne anzuklopfen schiebe ich die Tür einen Spalt breit auf und quetsche mich hindurch, bevor ich sie wieder schließe.
Herr Sezin sitzt am Schreibtisch und liest eine Bewerbungsmappe, wahrscheinlich von der Person, die zuvor drinnen war.
„Guten Morgen-", sagt er, doch stockt, als er mich erblickt und runzelt daraufhin noch die Stirn. Ich stemme die Hände in die Hüften und bleibe vor seinem Schreibtisch stehen.
„Es ist kein guter Morgen! Wäre es ein guter Morgen, dann wären all diese Menschen nicht hier.", betone ich und zeige hinter mich zur Tür.

„Was machen Sie hier?", fragt er mit zusammengezogenen Brauen.
„Was machen Sie hier?", entgegne ich.
„Ich stelle jemanden ein, der sich um meinen Papierkram kümmert."
„Wieso? Das kriegen Sie schon selbst hin. Kein Grund für einen Assistenten."
„Aber jetzt habe ich mich daran gewöhnt einen zu haben und ich komme nicht mehr hinterher.", erklärt er und lässt die Mappe los, als er den Kopf schräg legt und mich argwöhnisch mustert,„Woher nehmen Sie sich überhaupt das Recht so in mein Büro zu stürmen und mich zur Rechenschaft zu ziehen?"

Ja, woher?
Mist, mir muss ganz schnell etwas einfallen, um mich zu verteidigen und nicht wie eine Irre dazustehen. Wobei ich in seinen Augen wohl ohnehin bereits irre erscheine.
Flüchtig sehe ich nach rechts durch das Fenster in mein altes Büro. Mein süßes Büro, das jetzt so trist und unbenutzt ist.

„Mein Büro!", rufe ich aus und zeige schnell hin,„Sie wollen mein Büro einfach weitergeben, als hätte ich da kein Mitspracherecht!"
„Sie haben auch kein Mitspracherecht.", fügt er hinzu und verschränkt die Finger auf dem Tisch,„Das ist auch nicht mehr ihr Büro."
„Wieso nicht?", frage ich aufgebracht und werfe die Arme in die Luft,„Es war so schön dort drinnen! Es war mein Reich!"

„Ich kann Ihnen doch keine Extrabehandlung geben." Das klingt gut. Ich gehe um den Tisch herum und dringe in seinen persönlichen Bereich an, dass er dezent überrascht davon mit seinem Stuhl an die Seite fährt und sich zu mir dreht.
„Natürlich können Sie. Wer will Ihnen denn etwas sagen? Sie sind der Chef.", stelle ich klar, denn ich will dort wieder hin. Er braucht es nur sagen und alle werden wieder glücklich. Vielleicht Nova nicht, doch ihr Glück ist mir herzlich egal.

„Und wo soll dann mein Assistent hin, wenn Sie nebenan bleiben?"
„Weg. Den brauchen Sie nicht."

„Gehen Sie schon. Sie reden wieder mal nur Bullshit.", scheucht er mich davon und dreht sich wieder zum Tisch hin. Nein, das werde ich nicht zulassen. Ich befürworte diese Idee einer neuen Assistenzkraft für ihn nicht.
„Weg jetzt.", wiederholt er und macht eine wegwerfende Handbewegung in meine Richtung, als könnte er mich damit verschwinden lassen.
Herr Sezin nimmt seinen Kugelschreiber und schreibt an den Rand der Bewerbung möglich, bevor er es zuklappt und auf einen von zwei Stapel mit Bewerbungsmappen legt. Sind das etwa schon fünf bei dem Möglich-Stapel? Nicht möglich!

Ich setze mich auf den Tisch.
Herr Sezin fährt mit seinem Stuhl fast bis nach hinten gegen das Bücherregal, doch hält sich nach einem Abstoß vom Tisch sofort wieder fest und starrt mich nur mit großen Augen an.
„Das ist mein Büro." Ich werde nicht aufgeben.
„Runter von meinen Tisch."
„Wenn ich meinen Tisch zurückbekomme."
„Sie sind doch verrückt.", schnaubt er und rollt wieder nach vorne, um seine Arbeit zu erledigen,„Raus jetzt. Dort draußen sind noch zig Leute, mit denen ich sprechen muss." Ich lehne mich so weit an die Seite, dass ich fast zum liegen komme.

„Ich kann alle wegschicken, dann gibt es kein Problem mehr."
Er schaut von den Papieren auf und unsere Köpfe sind genau auf Augenhöhe, dass wir uns direkt in die Augen schauen können. Er lehnt sich etwas vor, kommt mir noch näher, als ohnehin schon.
Mein Mund öffnet sich wie von selbst ein kleinwenig und ich vergesse zu atmen.
„Nein."

Herr Sezin steht auf und geht zur Tür herüber, dass ich mir über die Schulter schaue, um ihn sehen zu können, wie er auf die Tür deutet, sie jedoch nicht öffnet.
„Jetzt gehen Sie endlich und machen Sie Ihre Arbeit."
Ein eiskalter Stein, ist er! Wieso konnte ich ihn denn nicht ein winzig kleines Bisschen umstimmen? Taugen meine großen, blauen Augen denn irgendwas? Ich habe gehört blaue Augen bringen jeden zum schwächeln, wenn man nur richtig schaut! Ich muss wohl nicht richtig schauen. 

Schnaubend springe ich vom länglichen Tisch, auf den ich sicher zwei Mal passe, und stampfe zu ihm herüber.
„Ihre Geschenke habe ich übrigens sofort weggeschmissen!", lüge ich noch, bevor ich die Tür aufschiebe und ihn mit seinen wertvollen Bewerbern alleine lasse.




Demir sucht nach einer neuen AssistentIn!!
Ob er auch jemanden findet? Was Mira von der Sache hält ist wohl klar... auf keinen Fall Eifersucht, for sure 😉
So langsam fühlt sie sich ein wenig zu wohl oder? Sollte ich ihr einen Realitätsschlag verpassen?

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