Femina Berlin

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„Das Gerede von der sexuellen Revolution erwies sich als sehr wertvoll für die Männer, wenn es auch keine Verbesserung für die Frauen brachte....Dadurch wurde ein neues Reservoir verfügbarer Frauen geschaffen und der magere Nachschub für die sexuelle Ausbeutung vergrößert, weil die Frauen sogar des geringen Schutzes, den sie sich so mühsam erworben hatten, beraubt wurden. "

Shulamit Firestone

Frauenbefreiung und sexuelle Revolution

Zu Nachfolgendem hat mich „Yalla Feminismus" von Reyhan Sahin (Lady Bitch Ray) inspiriert.

Yalla heißt auf türkisch übrigens „Steh auf".

Ein Mann geht ein Stück vor mir. Als er die Schillingbrücke erreicht hat, bleibt er stehen und wirft den schweren Gegenstand, den er auf der Schulter getragen hat, über das Brückengeländer in die nächtliche Spree. Am nächsten Tag melden die Zeitungen einen Leichenfund im Luisenstädtischen Kanal. Wir schreiben das Jahr 1921. Wieder mal hatte eine Frau, die allein aus der Provinz auf dem Schlesischen Bahnhof angekommen ist und hier in Berlin neu anfangen wollte, dem falschen Mann vertraut und ist ausgerechnet dem Serienmörder Carl Grossmann in die Arme gelaufen.

Das hätte meiner Großmutter auch passieren können, die aber erst ein paar Jahre später, mit Liebeskummer aber hoffnungsfroh aus Rostock kommend, auf dem Nordbahnhof (Stettiner Bahnhof) in der Invalidenstraße eingetroffen ist, um hier in Berlin bei einer Anwaltsfamilie aus Biesdorf als Dienstmädchen zu arbeiten und wahrscheinlich auch zu versuchen einen Mann zu finden, was aber nicht gelungen ist. Scheinbar wollte kein Anwalt und auch kein Bauarbeiter, mit dem sie in Klärchens Ballhaus und im Saalbau Friedrichshain das Tanzbein geschwungen hat, das tatkräftige norddeutsche Mädchen heiraten und mit ihr in einem der Berliner Vorder- oder Hinterhäuser und schon gar nicht in einer Vorortvilla wie in Biesdorf einen Hausstand gründen. Den frechen Berlinern ist das Bauernmädchen von der Ostsee wohl nicht gewachsen gewesen. Der schlagfertige Hans mit der glänzenden Tolle hatte sie am nächsten Tag gar nicht mehr angekuckt, auch nachdem er, als pragmatischer Berliner, mitgekriegt hatte, dass sie nur ein armes Dienstmädchen ohne große Ersparnisse war, sondern zog jetzt mit der kleinen Mizzy aus Stralau durch die Gegend. Bevor sie sitzenblieb, kehrte sie notgedrungen in ihre mecklenburgische Heimat zurück und heiratete noch auf den letzten Drücker, durch Vermittlung einen mürrischen Fischkopp, meinen Großvater.

Naja, wenigstens ist meine Großmutter nicht in der Spree gelandet und hat eine Familie gegründet. Statt ihrer ist ihre Enkelin 50 Jahre nach ihr in Spreeathen eingetroffen.

Marie oder Auguste oder wie die vielen ermordeten Frauen damals geheißen haben, haben natürlich keine andere Frau um Hilfe und Obdach gebeten. Das haben sie nicht gemacht, weil sie gewußt haben, dass sie von anderen Frauen nicht viel zu erwarten haben.

Die Frauenbewegung, die ja Solidarität von Frauen untereinander bedeutet, ist wie ein Silberstreif am Horizont des von Krankheit Geplagten.

Mit der frischen Brise, die nach der Wende von Westberlin nach Ostberlin rüberwehte, flatterten auch unbekannte Bücher zu uns. Gleich Anfang 1990, noch Monate vor der Währungsunion, hatte hier in der Sonntagsstraße am Ostkreuz ein freundlicher junger Mann aus Westdeutschland einen Büchersecondhandladen aufgemacht. Noch für Ostgeld erwarb ich einige schmale rote Bändchen, die er mir ans Herz gelegt hatte und kam erstmals in Berührung mit feministischem Gedankengut. Ich fand es erfreulich zu hören, dass es Frauen gab, deren ganzes Sinnen und Trachten sich nicht nur um Mann und Familie dreht.

Unter den Bluesfreaks und Hippies in Ostberlin war der Mann der König. Erst später ist mir klargeworden, dass viele davon bloß frustrierte Kleinbürger mit Machoattitüde waren. Die Frauen dagegen standen auf wackeligen Grund. Von der übrigen Umgebung wurden sie oft scheel angesehen, und in ihrer Clique bekamen sie auch wenig Rückhalt, waren oft nur Sexobjekt. Die Mädchen, die sich eingebildet haben, hier ohne Restriktionen, sie selber sein zu können, und das die Zwänge der restlichen Gesellschaft hier nicht gelten, wurden bald unsanft aus ihren Freiheitsträumen aufgeweckt. Alles was bei Frauen über ein gemäßigtes Ausflipping im frühesten Jugendalter hinausging, machte den Männern Angst. Ausgerechnet diejenigen, die sich selbst widerständig gaben, suchten in ihren eigenen Reihen Widerständigkeit zu unterdrücken, was ein Widerspruch an sich ist. Den Frauen war eine Doppelrolle zugedacht. Die Woche über sollte man die brave Sekretärin sein und am Wochenende die flippige Hippiebraut geben, was natürlich nicht geht. Diejenigen, die sich nicht an die Verhaltensregeln hielten oder halten konnten, wurden innerhalb der Cliquen gerne als Nutten, Schlampen oder Alkoholikerinnen tituliert.

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